Nach unserem mit einiger Erwartungshaltung absolvierten Besuch der Alten Bischofresidenz und dem lehrreichen Rundgang in deren beiden Museen bringt uns unser Reisebus zu dem im Norden der Altstadt gelegenen imponierenden Gröper Turm. Er ist der einzige, der von den ursprünglich drei spätmittelalterlichen Tortürmen in Wittstock bis heute erhalten geblieben ist.
Der in Basel am Rhein geborene, schweizerisch-deutsche Kupferstecher Matthäus Merian der Ältere dürfte mit seinen zahlreichen Stadtansichten und Kupferstichen in seinem umfangreichen Opus, Topographia Germaniae, unsere Vorstellung von turmreichen mittelalterlichen Städten mit ihren feudalen Toren, Rathäusern und Kirchen sowie ihren wehrhaften Mauern und Bastionen entscheidend mitgeprägt haben. In diesem Zusammenhang soll an die noch immer gut erhaltenen Stadtmauern mit ihren Basteien und Torzwingern im malerischen mittelfränkischen Rothenburg ob der Tauber, aber auch an die imposanten Wehranlagen des in unseren nördlichen Breiten gelegenen barnimschen Bernau bei Berlin oder im uckermärkischen Templin erinnert werden. Andererseits haben sich mit Wittstock an der Dosse und mit einigen anderen Städten nur noch wenige Orte erhalten, in denen noch heute eine nahezu unverbaute Sicht auf deren mittelalterliche Wallanlagen möglich ist.
Die auf einem Feldsteinsockel erbaute Stadtmauer im märkischen Wittstock ist allein schon deshalb bemerkenswert, weil das freie Gelände mit seinen Feldern und seinem Weideland im Vorfeld der backsteingemauerten Barriere einen ungehinderten Blick auf deren rote Türme, Wälle und Wieckhäuser für einstmals bewaffnete Wachtposten erlaubt. Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass auf den weiten Wiesen zwischen den Ufern der Dosse – einem Nebenfluss der Havel – und am Zufluss des Baches Glinze in die Dosse sowie an der im Süden Wittstocks gelegenen Stadtmauer im Jahre 2019 die Brandenburger Landesgartenschau stattgefunden hat.
Die Errichtung der Stadtmauer in Wittstock im 13. Jahrhundert
Die im 13. Jahrhundert wahrscheinlich zunächst aus einfachen Feldsteinen erbaute Stadtmauer in Wittstock wurde erst einige Jahrzehnte später einheitlich in roten Backsteinen komplettiert sowie mit zahlreichen Wieckhäusern und halbrunden Wehrtürmen verstärkt. Im Süden schützten neben der robusten Steinmauer und der hohen Wallanlage zusätzlich die sumpfigen Niederungen der Dosse und des Flüsschens Glinze die Stadt in der Ostprignitz. Im Norden hatten die Wittstocker Bürger ihre gemauerte Fortifikation sogar mit einem doppeltem Wall und einem zusätzlichen Graben verstärkt. Bis in unsere heutigen Tage ist die mittelalterliche Stadtmauer weitgehend erhalten geblieben. Wenngleich in alten Aufzeichnungen die Höhe der damaligen Wallanlage mit bis zu 11 Metern (!) angegeben wird, sind in unseren Tagen nur noch 7 Meter davon übrig. Allerdings haben sich von den einstmals etwa 40 Wieckhäusern, Bastionen und Halbtürmen noch viele sichtbar erhalten.
Die Alte Bischofsburg – wertvoller Bestandteil der mittelalterlichen Stadtmauer von Wittstock
Unser Buskompass-Autor hat es bereits in einem früheren Beitrag erwähnt, dass gegen Ende des 13. Jahrhunderts die einflussreichen Bischöfe von Havelberg die sogenannte Alte Bischofsburg in Wittstock als ihre gut zu verteidigende Wohnstätte und ihre bevorzugte Residenz genutzt haben. Aus diesem Grund hatten die geistlichen Herren ihren routinierten Baumeistern den Auftrag erteilt, ihre trutzige Burganlage mit in die backsteingemauerte Stadtbefestigung zu integrieren. In Folge dessen lehnt sich die ausgedehnte Bischofsresidenz an die Südspitze der prosperierenden Residenzstadt an der Dosse an. Ferner ist auch die Alte Bischofsburg von einer mit mächtigen Strebepfeilern verstärkten Backsteinmauer umgeben. Interessanterweise sind in diesem weitgehend noch intakten Abschnitt mittlerweile drei restaurierte Wieckhäuser erhalten geblieben.
Von dreien blieb nur einer erhalten – der Gröper Tortum
Ursprünglich führten im Norden, im Osten und im Westen drei Straßen durch drei Stadttore nach Wittstock hinein und wieder hinaus. Im Süden ist dies nicht möglich, weil dort die Alte Bischofsresidenz liegt. Bedauerlicherweise überdauerte von den drei Toren lediglich der in der Mitte des 15. Jahrhunderts im Norden der Altstadt erbaute Gröper Torturm der mittelalterlichen Stadtbefestigung bis in unsere heutige Zeit.
Im unteren Bereich des quadratischen Backsteinturms befindet sich die spitzbogige Durchfahrt, von der aus der Weg nach Mecklenburg verläuft. Stadteinwärts führt vom spätgotischen Turm die Straße zu der an der Südspitze Wittstocks gelegenen ehemaligen Alten Burg der Havelberger Bischöfe. Sowohl auf der Stadtseite als auch auf der Feldseite ist der Torturm, zur Gliederung seiner glatten Maueroberfläche und zur Vortäuschung von vielen kleinen, nicht existierenden Fenstern mit hohen spitzbogigen Blenden versehen worden.
In der Epoche seiner Konstruktion war der spätmittelalterliche Torturm zunächst mit einem in jener Zeit üblichen Staffelgiebel versehen worden, der auch Treppengiebel oder rein aus Vergnügen ‚Katzentreppe’ genannt wird. Bedeckt war der Turm zuerst mit einem klassischen Satteldach.
Gleich unterhalb des Dachs verläuft ein schmaler Maßwerkfries, um die vier oberen Seiten des Turmes herum. Unter dem Begriff ‚Maßwerk’ verstehen wir die filigranen Arbeiten der mittelalterlichen Steinmetze, mit denen sie ihre Bauwerke besonders ausschmücken wollten. In den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts ist der Gröper Torturm aufgestockt worden. Hingegen wurde das momentane, den Turm heute bedeckende Pyramidendach erst in der Mitte des 19. Jahrhundert angefertigt.
Weitere Tortürme – der Treptower Torturm in Neubrandenburg und der Berliner Torturm in Templin
Wer sich weitere spätmittelalterliche Türme anschauen möchte, der wird im mecklenburgischen Neubrandenburg fündig. Der an der Wende zum 15. Jahrhundert dort erbaute Treptower Torturm ist cirka 50 Jahre älter als der Gröper Turm.
Im Gegensatz zu seinem jüngeren ‚Cousin’ in Wittstock besitzt der Treptower Turm in Neubrandenburg noch seinen charakteristischen Staffelgiebel, die sogenannte ‚Katzentreppe’. Beiden großartigen Türmen gemeinsam sind die an allen Seiten angefügten Maßwerkblenden, mit denen sie verziert worden sind.
Last but not least soll an dieser Stelle der Berliner Torturm im uckermärkischen Templin vorgestellt werden. Der am Beginn des 14. Jahrhunderts aus roten Backsteinen über einem massiven Feldsteinsockel erbaute Berliner Turm ist ebenfalls mit einem Satteldach versehen, an seiner Stadt- und an seiner Feldseite mit jeweils einem gotischen Treppengiebel gestaltet sowie mit diversen Blenden dekoriert worden.
Allen mehrstöckigen Tortürmen sind ihre spitzbogigen Durchfahrten gemeinsam, die im Mittelalter mit einem heute nicht mehr vorhandenen Fallgitter bewehrt worden waren. Insgesamt sind die drei Templiner Tortürme die ältesten Beispiele dieses für Norddeutschland im 14. und 15. Jahrhundert weitverbreiteten aus Backsteinen gemauerten Torturmtyps. Ebenso lassen die detaillierten Backsteinverzierungen am Gröper Tor erahnen, dass die gut betuchten Bürger in Wittstock bereits vor 700 Jahren einen tieferen Sinn für die Verschönerung ihrer Stadt besaßen. Somit verkörpern sämtliche Tortürme die gestiegenen Repräsentationswünsche des aufkommenden und zu größerem Selbstbewusstsein und Wohlstand gelangten Bürgertums in den spätmittelalterlichen norddeutschen Städten an der Schwelle zur Neuzeit.
Hinweis
Der Gröper Torturm ist barrierefrei erreichbar.
Literatur
Badstüber, Sybille; Beate Becker, Christa Stepansky & Heinrich Trost: Kunstdenkmäler, Bildband II, hg. vom Institut für Denkmalpflege, Berlin 1975, S. 30, Nr. 123. Text zum Treptower Torturm in Neubrandenburg. Bildtafel: 123
dieselb.: Kunstdenkmäler, Bildband II, a.a.O. S. 7, Nr. 7. Texte zur Stadtmauer und zum Prenzlauer Torturm im uckermärkischen Templin. Bildtafel: 7
Büttner, Horst; Ilse Schröder & Christa Stepansky: Kunstdenkmäler, Bildband IV, a.a.O. Berlin 1987. S. 39, Nr. 70. Text zum Gröper Torturm in Wittstock. Bildtafel: 70
Dehio, Georg: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Neubrandenburg· Rostock· Schwerin. Berlin 1968, S. 235 zum Treptower Torturm in Neubrandenburg und S. 412f. zum Lychener, Berliner und Prenzlauer Torturm in Templin im Landkreis Uckermark