Nach unserem Besuch der barocken Kreuzkirche auf dem Spiegelberg steigen wir in unseren Reisebus, um in das heute nach Neustadt an der Dosse eingemeindete Kampehl zu fahren. In der Kapellengruft der dortigen Dorfkirche wollen wir ein über 300 Jahre altes Kuriosum anschauen.
Neustadt an der Dosse besitzt einen Ortsteil, ein kleines Dorf, das Kampehl heißt. In einer erhaltenen Urkunde aus dem Jahre 1307 stand zunächst der Name eines gewissen Heinricus de Campyl geschrieben. Anschließend wurde 1491 zum ersten Mal die Siedlung direkt als Campill genannt, dessen Begriff sich aus der slawischen Sprache ableiten lässt. Im Slawischen bezeichnet der Terminus einen zum Baden gehen einladenden Uferplatz.
Architektur und Inventar der Kampehler Dorfkirche
Die Kampehler Kirche weist die schlichte Bauform eines Rechtecksaals auf. Aufgrund dessen akkurat ausgeführtem Mauerwerk dürfte die Errichtung des Gotteshauses in das 13. Jahrhunderts datieren. Das Bauwerk wird von einem quadratischen Dachturm aus Fachwerk bekrönt, dessen westliche Wand wie die gesamte Dorfkirche aus dem gleichen regelmäßigen Feldsteinmauerwerk besteht. Sämtliche Fensteröffnungen an der Nordwand und die beiden äußeren Fenster der Dreifenstergruppe an der östlichen Kirchenseite wurden in der Barockzeit, um 1790, vergrößert. Allerdings konnten sowohl das Mittelfenster jener Dreifenstergruppe als auch zwei weitere frühgotische Spitzbogenfenster ihre ursprünglichen Backsteinformen bewahren. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren das West- und das Südportal des kleinen Kirchleins verändert worden. In der Zeit erfolgten weitere Umbauten in ihrem Inneren, wobei die kostspielige Patronatsloge mit ihrer Bestuhlung angefügt sowie die Westempore und der barocke Kanzelaltar hinzugefügt wurden.
Wer war Ritter Kahlbutz?
In der vermutlich zuvor als zweckdienliche Sakristei dienenden und im 19. Jahrhundert erneuerten Gruftkapelle der Kirche befindet sich in einem doppelten Eichensarg die mumifizierte Leiche des am 3. November 1702 verstorbenen Ritters Christian Friedrich von Kahlbutz. Wobei die andere Schreibweise ‚Kalebuz’ einem Kirchenbucheintrag in Neustadt an der Dosse entspricht. Von Kahlbutz hatte als Cornet, als rangjüngster Offizier, im tapferen Kavallerieregiment des legendären Prinzen von Homburg an der Seite des Großen Kurfürsten in der für Brandenburg-Preußen siegreichen Schlacht bei Fehrbellin gegen die schwedischen Truppen 1675 gekämpft. Verheiratet war er mit Margarethe von Rohr aus dem alteingesessenen Adelsgeschlecht der ‚Herren von Rohr’. Unser Buskompass-Autor berichtete uns bereits von Conrad von Rohr, dem stolzen Besitzer des Alten Schlosses in Freyenstein, und vom Bischof von Havelberg, Otto I. von Rohr, der im 15. Jahrhundert in der Alten Bischofsburg in Wittstock an der Dosse residiert hatte.
Der mumifizierte Ritter Kahlbutz in der Kampehler Dorfkirche
Zahllose größere Städte, aber auch kleinere Orte in Deutschland besitzen ein repräsentatives Schloss, eine hübsche gotische oder barocke Stadtkirche, ein attraktives Rathaus, ein berühmtes Opernhaus oder Theater und vielleicht eine ansehenswerte Altstadt, die als Magneten für die zu erwartenden, manchmal mit dem Reisebus anreisenden Touristen dienen sollen. Die beschauliche Gemeinde Kampehl hingegen kann mit einer gänzlich anderen Touristenattraktion für seine zahlreichen Gäste aufwarten. Im kommenden Jahr, 2022, werden es 320 Jahre sein, dass sich in der gut besuchten Gruftkapelle der Dorfkirche die mumifizierte 1,70 Meter lange und 9,8 Kilogramm schwere Leiche des Ritters Kahlbutz befindet, dessen Haare, wenngleich nicht mehr sehr viele, sowie dessen Zähne und Nägel noch immer gut erhalten sind. Bis heute kann sich niemand erklären, warum der nicht einbalsamierte Körper mumifizierte. Sowohl der renommierte Arzt Rudolf Virchow als auch der wohl bedeutendste Chirurg des 20. Jahrhunderts, Ferdinand Sauerbruch, die beide die Mumie untersuchten, haben keine eindeutige wissenschaftliche Erklärung für dieses sonderbare Phänomen der Mumifizierung gefunden. Allerdings ergaben intensive Nachforschungen, dass es sich bei dem sagenumwobenen Toten tatsächlich um einen Angehörigen der adligen Familie Kahlbutz handelt, die zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert ein eigenes Rittergut in Kampehl besaß, auf dem sie ein abenteuerliches Leben führte. Folglich wird die Mumie, der am 6. März 1651 geborene Junker Christian Friedrich von Kahlbutz sein, der nun als unverwester Leichnam weitaus populärer ist, als er es in seinen zwielichtigen Lebensjahren jemals gewesen war.
Legenden um den Ritter Kahlbutz
In einer Legende wird uns berichtet, dass Ritter Kahlbutz einstmals den unschuldigen Schäfer Pickert am Bückewitzer See erschlug, weil dessen soeben angetraute Ehefrau, die Magd Maria Leppin, dem aufdringlichen Edelmann die erste Nacht verweigert haben soll. Ein damals in vielen abendländischen Ländern angewandtes, wenngleich ungeschriebenes Gesetz, das Jus primae noctis1, besagte unter den Adligen, dass, wenn ein Leibeigener heiraten wollte, die Hochzeitsnacht dem Gutsherren gebühre. Im Verlauf des langen Strafprozesses beteuerte Kahlbutz jedoch seine Unschuld und erklärte: „Wenn ich doch der Mörder war, so soll mein Leib nicht verwesen.“ Aufgrund der eidlich versicherten Aussage und weil es keine Zeugen gab, wurde dem früheren Cornet Kahlbutz geglaubt, so dass das zögernde Schwurgericht ihn letztendlich freisprach. Gegen Ende des 18. Jahrhundert war der doppelte Eichensarg geöffnet worden, in dem der mumifizierte Ritter vorgefunden wurde, wie er noch heute zu sehen ist. Kahlbutz hatte sich seinerzeit mit seiner Totenmütze, seinem wehrhaften Harnisch, mit seinen – inzwischen verschlissenen – Ordensbändern und mit zwei aus der sieggekrönten Schlacht von Fehrbellin als Souvenir mitgebrachten Kanonenkugeln bestatten lassen.
Noch immer soll er nicht nur ruhelos umherwandeln, sondern dabei auch den arglos Lebenden gefährlich werden.
Während der Napoleonischen Besatzungszeit in Preußen dürfte im Jahre 1806 ein französischer Hauptmann, ein Capitaine, das Grab des Ritters Kahlbutz in dessen geheimnisvoller Gruft aufgesucht und seinen ätzenden Spott mit dem unglückseligen Toten getrieben haben. Nicht nur dass der frivole Hauptmann die mumifizierte Leiche aus ihrer unterirdischen Grabkammer genommen hatte, sondern er bespuckte und beschimpfte sie auch noch als teuflisches Scheusal und Mörder. Anschließend legte der Capitaine den unheilbringenden Verstorbenen wieder verkehrt herum in den Eichensarg hinein, wobei er Kahlbutz aufforderte, ihn des Nachts zur Geisterstunde zwischen Zwölf und Eins in seinem Quartier zu besuchen. Am nächsten Morgen wurde der französische Offizier jedoch mit gebrochenem Genick aufgefunden. Obwohl behauptet wurde, dass der vorlaute Capitaine ermordet worden sei, konnte das ratlose Gericht keine stichhaltigen Beweise für diese These finden. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass alle Türen und Fenster fest verschlossen waren, so dass niemand von außen in das Logis des Napoleonischen Offiziers kommen konnte, ohne dabei bemerkt zu werden.
Es wurden noch mehrere Übergriffe auf den toten Ritter begangen, wobei er immer wieder aus seiner dunklen Gruft geholt, einmal auf die Friedhofsmauer gesetzt oder ein anderes Mal auf das Dach der dörflichen Schule gelegt worden war. Die Liste jener üblen Grabschändungen ließe sich endlos fortführen.
Theodor Fontane zu Besuch bei Kahlbutz
Selbstverständlich hatte das Dorf Kampehl und dessen örtliche Kirchengruft mit der mysteriösen Mumie des Ritters Kahlbutz auch das Interesse bei unserem märkischen Chronisten Theodor Fontane geweckt, jenen sonderbaren Edelmann einmal näher zu besichtigen. Als sich Fontane in der Gegend an Rhin und Dosse umhörte, wurden ihm einige gruselige Anekdoten berichtet, um der sogenannten ‚Kahlbutz-Affäre’ mehr Nachdruck zu verleihen – wie es uns unser Historiograf selbst mitteilte. Makabererweise sollen während der napoleonischen Fremdbesatzung im Jahre 1807 übermütige Besatzungssoldaten die Mumie des Ritters aus seinem Sarg in der feuchten Gruftkapelle in die obere Kirche geschafft haben, um sie dort zu kreuzigen und auf den geweihten Altar zu stellen. Als die linke Hand des Junkers festgenagelt werden sollte, sei jedoch einem anderen Franzosen die steife Mumie entglitten und nach vorne gekippt. Infolgedessen soll der ausgebreitete Arm des Kahlbutz’ in seine ursprüngliche Position zurückgeschnellt sein, wobei die gichtgekrümmte Hand des Ritters das angsterfüllte Gesicht eines weiter unten stehenden Soldaten getroffen hätte, der alsdann vor Schreck tot umfiel. Fontane war von dem ihm Erzählten tief beeindruckt. Einige Zeit später hatte unser rastloser Chronist mit seinem markanten Knotenstock seine unermüdlichen Wanderungen durch die Mark wieder aufgenommen, um ein neues Kapitel ‚An Rhin und Dosse’ schreiben zu können.
Im Verlauf seiner Reise besuchte Fontane auch den tüchtigen Lehrer Leopold Schaumann im Dorf Kampehl, der ihm nicht nur die geheimnisumwitterte Mumie des Kahlbutz in der rustikalen Gruftkapelle zeigte, sondern der ihm auch einige historisch gesicherte Erkenntnisse über den sinistren Rittersmann berichtete.
Nachdenklich betrachtete Fontane die vor ihm liegende Mumie des Kahlbutz, wobei er immer wieder ungläubig den Kopf schüttelte. Als ob der tote Ritter gestern in seinen Sarg gelegt worden war, lag jener mit gefalteten, wie zusammengewachsenen Händen vor den kritischen Augen des märkischen Dichters. Demnach konnten die schaurigen Geschichten, die unserem routinierten Romancier über die schreckliche Franzosenzeit, 1806-13, erzählt worden waren, keinesfalls der ganzen Wahrheit entsprochen haben.
Fontane rang sich durch: ‚Für die Wanderungen nicht geeignet!’
Darüber hinaus berichtete Lehrer Schaumann dem berühmten Autor der märkischen Wanderungen, dass die Mumie des diabolischen Ritters überall sehr populär sei und vor allem naive Handwerksburschen aus aller Herren Länder in die kleine Dorfkirche nach Kampehl gepilgert kämen, um von Kahlbutz zu sehen. Dabei wollten die neugierigen Gesellen den unergründlichen Toten möglichst auch noch berühren, weil sie glaubten, danach gegen sämtliche Verwünschungen immun zu sein. Kurzerhand zog Fontane seine berühmte Kladde aus der tiefen Rocktasche, in der er schon einige Anekdoten über Kampehl und Kahlbutz festgehalten hatte, um das ursprüglich Geschriebene wieder durchzustreichen. Lapidar vermerkte er dabei: ‚Für die Wanderungen nicht geeignet!’ Bedauerlicherweise ist es der literarisch interessierten Nachwelt nicht bekannt geworden, warum der große Geschichtsschreiber die erwähnenswerte ‚Kahlbutz-Affäre’ nicht in seinem 1. Band ‚Die Grafschaft Ruppin’ aufgenommen hat. Fontane sprach auch später mit niemandem mehr über seinen einstigen Besuch in Kampehl. War der märkische Dichter über das ungebührliche Benehmen der napoleonischen Besatzungssoldaten entsetzt, weil er als gebürtiger Hugenotte selber französische Wurzeln besaß? Wir werden es nicht mehr erfahren.
Hinweis
1Anm. Das lateinische Jus primae noctis wird im französischen Sprachraum mit droit de cuissage bezeichnet und in der englischen Sprache droit du seigneur genannt.
Öffnungszeiten der Gruftkapelle in der Kampehler Dorfkirche
März – November
Freitag – Sonntag: 11 – 16 Uhr
Gruppenanmeldung im Pfarramt Neustadt/Dosse
Tel. 033970-13265
Link
www.kalebuz.de
Wehrkirche Kampehl, Prignitz, Kampehl
Literatur
Vgl. Dehio; Georg und Gerhard Vinken: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Brandenburg, 2000
Vgl. Reinhard E. Fischer: Die Ortsnamen der Länder Brandenburg und Berlin, 2005