An dieser Stelle soll die weitere Historie des Neuruppiner Tempelgartens unter der Ägide der Kaufmannsfamilie Gentz im 19. Jahrhundert geschildert werden. Ansehenswerte sächsische Sandsteinfiguren, ein populärer Orientalistik-Architekt, ein ostasiatischer Ginkgo-Baum und ein modernes Parkcafé kommen in dieser bis in unsere heutigen Tage andauernden Geschichte vor.
Wie wir bereits erfahren haben, war der Neuruppiner Tempelgarten nach Friedrichs II. Tod im Jahre 1786 in Potsdam, der volkstümlich schon längst der ‚Alte Fritz’ genannt worden war, im Laufe der nachfolgenden Dekaden verwildert. In der Mitte des 19. Jahrhunderts erwarben den verwahrlosten Garten die musisch ambitionierte Neuruppiner Unternehmerfamilie Gentz, über die uns bereits Theodor Fontane berichtete.1 Johann Christian Gentz ließ, zusammen mit seinem ältesten Sohn Ludwig Alexander, dem jüngeren Bruder des Malers Karl Wilhelm Gentz, das Gartenensemble restaurieren, um die Erinnerung an den Aufenthalt des Kronprinzen Friedrich wieder zu beleben und ‚jedermann den öffentlichen Zutritt’ in die Parkanlage zu erlauben. Somit beauftragte die Familie Gentz mit den dafür erforderlichen Arbeiten 1853/56 den seinerzeit berühmten Orientalistik-Architekten Carl von Diebitsch.
Diebitsch wird einige bemerkenswerte Gebäude im ‚maurischen Stil’, darunter eine prunkvolle ‚Türkische Villa’, die sogenannte ‚Gentz-Villa’, ein schmuckes Gartenhaus mit imitiertem Minarett, sowie die markanten Eingangsportale und Umfassungsmauern samt einer rudimentären Bastei in charakteristischen, morgenländischen Bauformen in die weitläufige Gartenanlage einfügen. Eine regelrechte Orienteuphorie war im gesamten 19. Jahrhundert in weiten Kreisen der europäischen Bevölkerungen en vogue geworden, so dass es zu einem intensiven kulturellen Transfer zwischen dem geheimnisvollen Orient und dem abendländischen Okzident gekommen war.
Gleichzeitig wurden für die exquisite Ausgestaltung des nunmehr wieder gepflegten Parks zahlreiche barocke Sandsteinskulpturen zumeist Dresdener Provenienz von Alexander Gentz erworben und im Amalthea-Garten aufgestellt. Dazu gehören vier Statuen aus der Werkstatt des sächsischen Bildhauers Johann Benjamin Thomae. Sie verkörpern Sultan Soliman/Süleyman I. ‚den Prächtigen’, den römisch-deutschen Kaiser Karl V. und dessen frommen Sohn, König Philipp II. von Spanien, den Erbauer der großartigen Palast- und Klosteranlage El Escorial sowie einen namenlosen orientalischen Herrscher. Alle Skulpturen wurden in den Jahren 1718/19 angefertigt.
Des Weiteren schuf der Skulpteur am sächsischen Hof Augusts des Starken, Christian Kirchner, um 1719 zwei Satyrn, zwei Dämonen im Gefolge des griechischen Wein- und Fruchtbarkeitsgottes Dionysos, die jetzt im Neuruppiner Garten stehen. Ferner fertigte der sächsische Plastiker Johann Gottfried Knöffler 1764 eine Skulptur der Flora an, die die antike Frühlingsgöttin und Göttin der Getreideblüte verkörpert. Flora befindet sich gemeinsam mit der 1769 geschaffenen Plastik des Weingottes Bacchus, der nur ein anderer Name des Dionysos ist, im märkischen Tempelgarten.
Sämtliche Skulpturen gelten als Hauptwerke sächsischer Barockplastik.
Im Neuruppiner Garten gibt es weitere beachtenswerte Sandsteinskulpturen zu sehen. An dieser Stelle sind 9 Figuren eines Monats- und Jahreszeitenzyklus, aus dem 18. Jahrhundert zu nennen. Barocke Vasen und Torsi, von italienisch: ‚Torso’, bei denen es sich um plastische Darstellungen des menschlichen Körpers ohne Gliedmaßen handelt, schmücken ebenfalls die Amalthea-Gartenanlage. Schließlich können Interessierte eine beachtliche Jupiterstele bewundern, die in die Zeit um 1850 datiert.
Jupiterstelen sind authentische Nachbildungen klassischer Jupitersäulen, die sich zur Zeit des Imperium Romanum großer Beliebtheit erfreuten. Archäologische Funde belegen, dass diese germanisch-keltisch-römischen Weihedenkmäler für den obersten Himmelsvater Jupiter und dessen Gemahlin Juno in der römischen Provinz Niedergermanien, Germania inferior, in westlich des Rheins gelegenen Regionen der heutigen Niederlande, Deutschlands und auch Belgiens, auf zahllosen Gutshöfen, villae rusticae, sowie in antiken Siedlungen aufgestellt worden sind.2 Gut bekannt ist die 12,50 Meter hohe ‚Große Mainzer Jupitersäule’ aus dem 1. Jahrhundert n. Chr., deren eindrucksvolle Replik auf dem Platz der Mainzer Republik 1 vor dem Landtag in Rheinland-Pfalz steht.
An dieser Stelle sollen die in die wehrhaft wirkende Außenmauer des Neuruppiner Tempelgartens in der Mitte des 19. Jahrhunderts eingefügten figürlichen Terrakotten des Töpfermeisters Tobias Feilner aus Berlin nicht vergessen werden.
Botanische Raritäten im Tempelgarten – Goethes Gingo biloba
Alexander Gentz ließ den Garten darüber hinaus mit botanischen Raritäten bepflanzen. Dazu gehört ein imposanter Ginkgo-Baum, der nicht nur aufgrund seiner essbaren Samen geschätzt ist, sondern der auch seit Jahrhunderten als asiatischer Tempelbaum kultiviert wird. Der bis zu einer kolossalen Höhe von 40 Metern wachsende Ginkgo zählt zu den ältesten Bäumen der Erde, der wegen seiner robusten Natur ursprünglich nur in einem chinesischen Provinzgebiet die Ewigkeiten überdauert hat. Holländische Seefahrer brachten den allseits beliebten Baum aus dem fernöstlichen Japan nach Europa mit, wo er nun seit dem 18. Jahrhundert als begehrter Zierbaum in vielen Gärten und Parks angepflanzt wird. Beispielsweise steht ein stattlicher Ginkgo vor dem großen Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin, ein zweiter befindet sich auf dem Campus der Alma Mater Berolinensis.
Kein geringerer als der Weimarer Geheimrat und Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe widmete dem von ihm geschätzten ‚Gingo’ ein eigenes Gedicht in seinem Buch Suleika, in seiner umfangreichen Lyriksammlung West-Östlicher-Divan. Allerdings fehlt in Goethes Poem der Buchstabe ‚k’ im Gingo, wobei sich die neue, korrekte Schreibweise ‚Ginkgo’ erst im 20. Jahrhundert durchgesetzt haben dürfte.
Gingo Biloba
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut.
Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Dass man sie als eines kennt?
Solche Frage zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Dass ich eins und doppelt bin?3
Kronprinz Friedrichs Tempelgarten in unserer Zeit
Nach dem wirtschaftlichen Niedergang und dem anschließenden Konkurs der glücklosen Fabrikanten Gentz musste die nun verarmte Kaufmannsfamilie ihren geliebten Garten im Jahre 1880 an das damalige ‚Amt Ruppin’, heute heißt es Landkreis Ruppin, veräußern. Leider war in den folgenden Jahrzehnten und in den beiden Weltkriegen der geschichtsträchtige Tempelgarten sträflich vernachlässigt und nur sporadisch gepflegt worden. Erst 20 Jahre nach dem verheerenden Ende des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1965, konnte zum ersten Mal ein gediegenes Caféhaus in der früheren ‚Villa-Gentz’ eröffnet werden. Zu guter Letzt erwarb im Sommer 1995 die Stadt Neuruppin den bislang missachteten Garten vom Landkreis Ostprignitz-Ruppin zurück. Seitdem sind die unermüdlichen und beharrlichen Mobilisierungen von Seiten der sich ihrer reichhaltigen Kultur bewusst gewordenen Fontanestadt und ihrer engagierten Bürger – besonders des tüchtigen Tempelgartenvereins – mit verdientem Erfolg belohnt worden. Glücklicherweise konnte nicht nur die gärtnerische sondern auch die bauliche Substanz des gesamten Gartenensembles als ein relevant gebliebenes Zeugnis des preußischen Kronprinzen Friedrich, in dessen erster, noch verhältnismäßig sorgenfreier Periode seines jungen Lebens als Erwachsener und zukünftigen Souveräns rekonstruiert und für kommende Generationen bewahrt werden. Bestimmt ist die pittoreske, unweit des Ruppiner Sees im Grünen gelegene Gartenanlage mit ihren wertvollen alten Gebäuden, ihren hübschen Sandsteinskulpturen, seltenen Pflanzen und Bäumen sowie ihrem gern frequentierten Parkcafé jetzt endlich wieder eine ansehenswerte Idylle Neuruppins geworden, die uns zum Promenieren, zum Fotografieren und zum längeren Verweilen einlädt.
Hinweise
Café & Restaurant Tempelgarten, Präsidentenstraße 64, in 16816 Neuruppin.
Anschrift & Kontakt Tempelgarten e.V. Präsidentenstraße 64. 16816 Neuruppin. Ansprechpartner Dr. Helmut Behrendt. Tel.: 03391 507056
Links
www.tourismus-neuruppin.de
www.reiseland-brandenburg.de/erlebnisberichte/ruppiner-seenland/der-kronprinz-und-sein-tempel/
Literatur
1Vgl. Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 1, Die Grafschaft Ruppin. Hg. von Christfried Coler, Berlin 1960. Kapitel: Am Ruppiner See. 10. Johann Christian Gentz
2Vgl. Noelke, Peter: Neufunde von Jupitersäulen und -pfeilern in der Germania inferior nebst Nachträgen zum früheren Bestand, in: Bonner Jahrbücher 210/211, 2010/2011, S. 149–374
3Zit. Goethe, Johann Wolfgang von: West-Östlicher Divan, Buch Suleika, in: Goethes Werke in zehn Bänden, Das Alterswerk nach Schillers Tod III, Band 9, Weimar 1961. S. 112-113. GINGO BILOBA
Vgl. Krumbholz, Hans: Burgen, Schlösser, Parks und Gärten, in: Tourist-Führer, Berlin · Leipzig, 31988. S. 107. Tempelgarten