Nachdem wir die Architektur der Sankt Gotthardtkirche anschauten, betreten wir deren Innenraum, um das kostbare Interieur zu bewundern.
In der Taufkapelle sehen wir das älteste Kunstwerk des Gotteshauses, das romanische Taufbecken.
Derweil berichtet unser Autor von dem berühmtesten Täufling der Kirche und Ehrenbürger Brandenburgs, dem Humoristen Loriot, alias Vicco von Bülow.
Gegen Ende der Hauptbauperiode nach der Mitte des 15. Jahrhunderts wurde an der Nordseite der spätgotischen Hallenkirche eine Kapelle angebaut, in der die zahlreichen in katholischer Zeit gestifteten Altäre untergebracht sind. Es wird berichtet, dass vor der Reformation in der Sankt Gotthardtkirche achtzehn Altäre existierten. Ebenso wurden an der südlichen Seite des spätmittelalterlichen Gotteshauses drei Seitenkapellen angefügt. Die mittlere Weihestätte der Südseite wird seit dem Jahr 1906 als Taufkapelle genutzt. Aus diesem Grund befindet sich in jener Kapelle auch das bronzene romanische Taufbecken aus dem 13. Jahrhundert, das als das älteste Kunstwerk in der Sankt Gotthardtkirche gilt. Das in einer niedersächsischen Eisenhütte gegossene Taufbecken, welches im norddeutschen Sprachraum auch Tauffünte genannt wird, stand bereits in der ersten romanischen Feldsteinbasilika.
Loriot – berühmtester Täufling Sankt Gotthardts und Ehrenbürger Brandenburgs
Der aus heutiger Sicht berühmteste Täufling hieß Vicco von Bülow, der bis zu seinem Tode im Jahre 2011 als Loriot zu den bekanntesten und beliebtesten deutschen Humoristen gehörte. Der 1923 in Brandenburg geborene Ehrenbürger der Havelstadt hatte seine großartige Taufkirche Sankt Gotthardt niemals vergessen. In puncto seines feierlichen Taufritus erinnerte sich Loriot einmal: Damals beabsichtigte noch ein weiterer, mir unbekannter weiblicher Säugling, sich am selben Tage taufen zu lassen. Kirchlicherseits war man auf diesen Andrang offensichtlich weder räumlich noch moralisch vorbereitet, denn wir wurden bis zum Beginn der Feierlichkeiten abseits in einen gemeinsamen Wagen gebettet. Für Säuglinge von heute unbegreiflich: Ich mißachtete die Gunst der Stunde. Mit einer großzügigen Stiftung hat der unvergessliche Vicco von Bülow mit zu der erfolgten Restaurierung der spätgotischen Sankt Gotthardtkirche beigetragen. Interessierte Besucher können eine kleine und feine Ausstellung zu Loriot und zu seiner alten Heimatstadt Brandenburg in der hübschen Kirche anschauen.
Das spätgotische Triumphkreuz aus der Zeit um 1500
In den Jahren von 1904 bis 1906 erfolgten in der ehrwürdigen Sankt Gotthardtkirche umfangreiche Renovierungen, Instandsetzungen und Modifikationen. Nach dem Ende jener Arbeiten erschien zur Wiedereröffnung der evangelischen Pfarrkirche eine bebilderte Festschrift, aus der unser Buskompass-Autor zitiert: Ein besonderes Verdienst um die Erhaltung der alten Kunstschätze erwarb sich der Polier. Er ließ die bedeutendsten Teile des noch aus der spätmittelalterlichen Epoche stammenden Hochaltars in der Form eines neuen Triumphkreuzes zwischen den beiden den Altarraum nach Westen hin abgrenzenden Pfeilern anbringen. Es handelt sich um die aus Holz geschnitzten überlebensgroßen Figuren des Gekreuzigten, sowie die der Maria und des Johannes. Auf der Rückseite des Triumphkreuzes befindet sich ein gemalter Kruzifix, der allerdings aus neuerer Zeit stammen dürfte.
Diese neue, aus facettenreichen Elementen der Spätgotik des 15. Jahrhunderts zusammengesetzte und mit aufgemaltem Blattwerk versehene Triumphkreuzgruppe wertet das gesamte Kirchenschiff optisch in höchstem Maße auf.
Die Triumphkreuzgruppe im Detail – Maria und Johannes sowie die Namen und die Symbole der vier Evangelisten
Zu Füßen des Kreuzes befinden sich links Maria und rechts der immer bartlos dargestellte Johannes, der Lieblingsjünger Jesu. An den vier Enden des Kreuzes sehen wir die Namen und die Symbole der Evangelisten. Der Stier unten steht für Lukas. Links befindet sich ein Löwe für den Autor des ältesten Evangeliums, Markus. Rechts erkennen wir den Engel für Matthäus. Schließlich ist oben der Adler für den jugendlich aussehenden Lieblingsjünger Johannes auszumachen. Ein wichtiger Hinweis sei noch für alle Besucher gegeben, die die oberen drei Symbole nicht ausreichend lokalisieren können. Im Chorumgang rechts vom zentralen Hochaltar können Sie in einem reich verzierten Kirchenfenster noch einmal die himmlischen Figuren der vier Evangelisten näher betrachten. Im unteren Teil sind deren legendäre Namen und ihre dazugehörigen Symbole diesmal wesentlich besser wahrzunehmen.
Die Tuchmacherkanzel der Tuchmachergilde aus dem Jahr 1624
Die von dem bei Halberstadt geborenen Georg Zimmermann aus Holz und Sandstein geschaffene Tuchmacherkanzel ist von bemerkenswerter Qualität. Wunderbar ist ihr reicher Relief- und vergoldeter Figurenschmuck anzusehen. Der dekorative Kanzelkorb wird von der lebensgroßen Skulptur des urchristlichen Missionars und Apostels Paulus von Tarsus getragen. Darüber befindet sich ihr hölzerner Schalldeckel. Eine dazugehörige Sanduhr datiert in die Mitte des 17. Jahrhunderts. An dem daneben befindlichen sogenannten Kanzelpfeiler wurde eine informative Sandsteintafel zum ewigen Gedächtnis an die durch die altstädtische Tuchmachergilde im Jahre 1624 erfolgte pekuniäre Stiftung der Kirchenkanzel angebracht. Auf der farbenfrohen Tafel sind die Namen von rund 100 Tuchmachern der Altstadt mit ihren persönlichen Firmensignets verzeichnet. Der zentrale Standort der prächtigen Kanzel hebt die wichtige Funktion der Predigt im Gottesdienst der evangelischen Sankt Gotthardtkirche hervor.
Die barocke Orgel des führenden Orgelbauers Joachim Wagner aus Berlin 1737
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte der zu jener Zeit maßgebende Orgelbauer Norddeutschlands, Meister Joachim Wagner aus Berlin, eine barocke Pfeifenorgel für die altstädtische Sankt Gotthardtkirche entworfen.
Im Jahre 1737 konnte Maître Joachim sein neu konstruiertes Musikinstrument der Brandenburger Gemeinde übergeben.
Der verheerende Kirchenbrand am Sankt Godehardstag, dem 5. Mai 1972
Ausgerechnet am traditionellen Sankt Godehardstag, beziehungsweise am Sankt Gotthardtstag, dem 5. Mai 1972, wurde aufgrund einer fahrlässigen Gedankenlosigkeit von Kirchenbesuchern ein verheerender Brand ausgelöst, der die barocke Orgel und die gesamte Kirche durch Flammen, Rauch und Löschwasser ruinierte. Insgesamt war der katastrophale Orgelbrand für alle ein schwerer Schlag. Nicht nur die viermanualige Wagnerorgel und der kostbare Prospekt, das äußere Erscheinungsbild des großen Tasteninstruments, waren unwiederbringlich verloren, sondern auch der gesamte Innenraum der Gotthardtkirche hatten einen ernsthaften Schaden genommen. Folglich wusste die geschockte Gemeinde zunächst nicht, wie es weitergehen sollte?
Was die Einen als Ironie der Geschichte bezeichnen, charakterisieren die Anderen als Gottes wundersame Fügung. Letztendlich musste die staatliche Versicherung der atheistischen DDR die Kosten für einen Orgelneubau und die Innenausmalung der Sankt Gotthardtkirche übernehmen. Dass es weitere vierzehn Jahre lang bis zum Einbau der neuen Orgel dauerte, lag einerseits daran, dass es zunächst viele Hindernisse zu überwinden galt, unter den schwierigen Bedingungen des real existierenden Sozialismus einen Orgelneubau und eine Kirchenrestaurierung überhaupt zu organisieren. Andererseits war sich die Sankt Gotthardtgemeinde darüber uneinig, ob ihre wundervolle Kirche überhaupt weiter genutzt werden konnte?
Die neue Orgel wird 1986 festlich eingeweiht
Am 7. September 1986 war es aber endlich soweit. Mit einem festlichen Gottesdienst wurde das neue Instrument eingeweiht. Entstanden war eine der schönsten Orgeln im Havelland, auf der sämtliche musikalischen Stilarten von der sogenannten Ars antiqua des 13./14. Jahrhunderts über die romantisch-symphonische Orgelmusik des 19. Jahrhunderts bis hin zur Moderne gespielt werden können. Insgesamt besitzt das originelle Musikinstrument weit über 3000 Pfeifen sowie 44 Register auf drei Manualen und dem Pedal. Außerdem ist die klassische Prospektgestaltung, die sich harmonisch in die Westfront der spätgotischen Hallenkirche einfügt, ein gelungenes Werk des Hallenser Restaurators, Malers und Denkmalpflegers Fritz Leweke.
Loriot und seine ausgewilderten Waldmöpse machen ganz Brandenburg unsicher
Nachdem wir die beeindruckende Sankt Gotthardtkirche wieder verlassen haben, treffen wir auf eine besondere plattnasige Brandenburger Spezies. Sie stehen, sitzen, liegen, sind freundlich oder bissig – die ausgewilderten Waldmöpse mit ihren putzigen Ringelschwänzchen. Auf Schritt und Tritt fühlen wir uns in der mehr als 1000 Jahre alten Domstadt von ihnen beobachtet.
Sie sind klein, keinen halben Meter groß und tragen ein Geweih auf der Stirn. Sie können in der gesamten Havelstadt gefunden werden – am Springbrunnen am Altstädter Markt, an öffentlichen Plätzen und natürlich am sehenswerten Denkmal ihres genialen Schöpfers: Loriot – alias Vicco von Bülow. Wie sagte der zeitlose Humorist mit ungebrochenem Kultstatus treffend: Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos.
Hinweis
Sankt Gotthardtkirche ∙ Gotthardtkirchplatz ∙ 14770 Brandenburg an der Havel ∙ Altstadt
Telefon: 0 33 81 / 52 20 62
Öffnungszeiten: Mo-Sa: 12.00 bis 15.00 Uhr ∙ So: 12.00 bis 15.00 Uhr, nach dem Gottesdienst
Regeneration
Terrassen ∙ Café ∙ Restaurant Marienberg ∙ Marienberg 1 ∙ 14770 Brandenburg an der Havel ∙ Altstadt
Telefon: 0 33 81 / 79 66 100 ∙ Öffnungszeiten: Mo-So: 10.00 bis 22.00 Uhr
Inmitten eines wunderschönen Parks finden Sie im Restaurant Marienberg diverse Räume für jeden Anlass und Sie genießen einen zauberhaften Blick auf Brandenburg. Für Hochzeiten, Geburtstage, Jubiläen, Familienfeiern, Tagungen oder Betriebsfeiern stehen ein großer Gastraum, zwei Wintergärten und bei schönem Wetter der Biergarten zu Ihrer Disposition.
Lesenswert
Badstübner, Ernst: Stadtkirchen der Mark Brandenburg. Berlin 1983
Loriot: Möpse & Menschen. Eine Art Biographie. Zürich 1983