Nach unserem Besuch der Humboldt-Universität zu Berlin schlendern wir zur benachbarten Staatsbibliothek am Linden-Boulevard 8. Unser Autor berichtet vom wilhelminischen Repräsentationsstil, den der Architekt Ernst von Ihne an der Staatsbibliothek verwirklichte.
Ein Intermezzo weist auf das Haus 2 der Staatsbibliothek als Teil des Kulturforums hin.
Der preußische Oberhofbaurat Ernst von Ihne war eine stadtbekannte Persönlichkeit. Der im östlichen Rheinland geborene Hofarchitekt erbaute nicht nur den Neuen Marstall am Berliner Schlossplatz und den sogenannten Kaiserbahnhof Potsdam, sondern auch das heutige Bode-Museum auf der Museumsinsel. In Bonn ging die großzügige Erweiterung des schlossähnlichen Palais Schaumburg, des ersten Amtssitzes des späteren Bundeskanzlers, auf die Pläne des gefeierten Architekten von Ihne zurück. Außerdem wurde am charmanten Prachtboulevard Unter den Linden die Staatsbibliothek zu Berlin am Beginn des 20. Jahrhunderts nach einem Entwurf von Ernst von Ihne anstelle der in der Mitte des 18. Jahrhunderts von Jan Bouman dem Älteren errichteten Preußischen Akademie der Wissenschaften und Künste fertig gestellt. Der damals moderne Neubau am Linden-Boulevard war für die Aufnahme der inzwischen zu klein gewordenen Königlichen Bibliothek am Bebelplatz, der „Kommode“, der Universitätsbibliothek und der Akademie der Wissenschaften bestimmt. Zu den mannigfaltigen Handschriften, Autographen, Zeitungen und Buchbeständen aus allen Wissenschaftsgebieten, Sprachen und Ländern gehören zudem eine umfangreiche Kartensammlung von Plänen und Stadtansichten sowie zahlreiche bemerkenswerte Porträts und Porträtplastiken. Heute ist die Staatsbibliothek zu Berlin mit mehr als 32 Millionen Medien die größte wissenschaftliche Universalbibliothek in Deutschland.
Das Hauptgebäude atmet den strengen Geist des preußischen Neobarocks
Der ausgedehnte, mit mehreren Binnenhöfen erbaute Gebäudekomplex orientierte sich an den Formen des strengen, auf preußische Tradition zurückgehenden Neobarocks. Die sandsteinverkleideten Fronten des dreistöckigen Gebäudes erheben sich über einem rauen, „rustizierten“ Sockel. Die beiden monumentalen, durch vorspringende Risalite mit korinthischen Kolossalsäulen gegliederten Hauptgeschosse waren charakteristisch für das gesteigerte Repräsentationsbedürfnis der wilhelminischen Ära am Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie ahmten nicht nur die historisierenden Formen des klassisch geprägten Barock nach, sondern sie knüpften auch an einheimische Bautraditionen an. Weiterhin wird die am breiten Linden-Boulevard gelegene Fassade durch die beiden an den Ecken des Gebäudes befindlichen Seitenrisalite belebt, die einerseits mit korinthischen Halbsäulen, sogenannten Pilastern, und anderseits mit jeweils zwei von Otto Lessing angefertigten Fassadenplastiken versehen sind.
Vor dem steilen Dach des lindenseitigen Hauptrisalits, in dem sich auch das Eingangsportal befindet, ist der Dreiecksgiebel mit einem von Hermann Feuerhahn geschaffenen allegorischen Relief zu sehen. Das Motto der dargestellten Plastiken lautet: „Kunst und Technik huldigen der Göttin Athene“.
Hauptportal und Eingangshalle der Staatsbibliothek
Hinter dem am Lindenflügel gelegenen Hauptportal gelangen neugierige Besucher und Leser in die loggienförmige Eingangshalle, über dem sich der große Festsaal des Hauses befindet, aus dessen hohen Fenstern ein Blick auf den pulsierenden Linden-Boulevard möglich ist. In der Mittelachse des Gebäudes liegen weitere Haupt- und Repräsentationsräume angeordnet.
Der Ehrenhof mit seinem Springbrunnen lädt zu einer Studierpause ein
Es folgt der mit grünen Ranken bewachsene Ehrenhof der Staatsbibliothek, in deren Mitte ein Springbrunnen zentriert ist. Im Hof befinden sich eine ansehenswerte Bronzestatue und eine mit einem Gedicht von Bertolt Brecht versehene Bronzetafel. Überdies erinnern figürliche Reliefszenen an die wegweisende Gründung der ersten „Churfürstlichen Bibliothek zu Cölln an der Spree“ durch den legendären Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, des Siegers der Schlacht von Fehrbellin, im sogenannten Apothekenflügel des Berliner Stadtschlosses. Die hübschen Reliefs wurden im Jahr 1961 anlässlich der Dreihundertjahrfeier dieses denkwürdigen Jubiläums angebracht. Vom schattenspendenden Ehrenhof gelangen die Bibliotheksbesucher durch einen wiederum mit einem preußischen Adler übergiebeltem Risalit in den kolossalen Hauptflügel des Gebäudes.
Vom Vestibül aus führte das breite Treppenhaus zum großartigen oktogonalen Kuppellesesaal, der im Zweiten Weltkrieg leider ein Raub der Flammen geworden war. Über weitere Gänge kommen wir in die einzelnen Lesesäle, in die Musikabteilung in der zweiten Etage und in den im dritten Stock gelegenen Kartenlesesaal der Staatsbibliothek.
Eine Bibliothek in zwei Häusern
Heute prägen zwei monumentale Gebäude das öffentliche Bild der Staatsbibliothek zu Berlin. Wie wir soeben gelesen haben, befindet sich das seit dem Jahr 1914 für Leser geöffnete Haus 1 am Linden-Boulevard. In den Zeiten der Teilung entstand an der Potsdamer Straße ein von dem Architekten Hans Scharoun am Kulturforum erbautes neues Gebäude, das 1978 seine Pforten für das Lesepublikum öffnete. Nach der glücklichen Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurde die Staatsbibliothek als eine Institution in zwei Häusern konzipiert. Infolgedessen fungiert das altehrwürdige Haus 1 Unter den Linden als historische Forschungsbibliothek, in der ausschließlich Publikationen bis in die frühen 1950er Jahre zu finden sind. In ihren diversen Lesesälen sind wissenschaftliche Bücher und Nachlagewerke – beispielsweise die Encyclopædia Britannica, die L’année philologique und Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft – in einer stetigen Präsenzbibliothek untergebracht, die permanent an ihrem jeweiligen Standort verbleiben. Sonderabteilungen bewahren wertvolle Handschriften, Inkunabeln, Kinder- und Jugendbücher, Jahrbücher, historische Atlanten und Landkarten, Kupferstiche, Zeitschriften und Noten auf. Als ein besonderer Schatz ist an dieser Stelle die handschriftliche Partitur von Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie zu nennen.
Des Weiteren existiert ein großes Magazingebäude am Westhafen, aus dem wissbegierige Leser innerhalb von wenigen Stunden ihre gewünschten Buchbestellungen in den jeweiligen Lesesälen entgegen nehmen können.
Hingegen befindet sich im Haus 2 an der Potsdamer Straße eine Forschungsbibliothek der Moderne.
Sie bewahrt die neueren Publikation, regionale Sammlungen zu Osteuropa, zum Orient und zu Ostasien auf. Besucher müssen sich aber darauf einstellen, dass derzeit an beiden Standorten umfangreiche Bauarbeiten stattfinden.
Hinweis
Staatsbibliothek zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Unter den Linden 8, 10117 Berlin-Mitte
Telefon: 030 226 0
Öffnungszeiten-Lesesäle: Mo-Fr 9-21 Uhr, Sa 10-19 Uhr
Die Staatsbibliothek ist nur mit einem gültigen Nutzerausweis begehbar.
Das Haus 1 Unter den Linden ist über Rampen und Lifte mit einem Rollstuhl befahrbar.
Regelmäßige kostenlose Führungen für bis zu fünf Personen sind möglich.
Anfahrt: Buslinien 100, 300 & N5. Haltestelle: Staatsoper. 200 Meter entfernt
Lesenswert
Ederer, Walter & Werner Schochow (Hg.): 325 Jahre Staatsbibliothek in Berlin. Das Haus und seine Leute. Wiesbaden 1986
Schochow, Werner: Geschichten aus der Berliner Staatsbibliothek. 41 Miniaturen. Berlin 2014