Die schnellste Route im bequemen Reisebus oder im spritzigen Auto vom Berliner Zentrum zum malerisch am großen Wutzsee gelegenen altehrwürdigen Zisterziensernonnenkloster Lindow legen wir in einer guten Stunde Fahrzeit auf der A111 und B96 zurück. Im Verlauf der Fahrt bietet es sich an, in Theodor Fontanes informativen ‚Wanderungen durch die Mark Brandenburg’ und in seinem eminenten Alterswerk – ‚Der Stechlin’ – zu lesen, um uns auf den Besuch der stimmungsvollen Ruinen sowie des weitläufigen Klosterparks und –friedhofs der ehemaligen Lindower Abtei einzustimmen.
Die vom märkischen Historiographen und Dichterfürsten Theodor Fontane in seinem Band die ‚Grafschaft Ruppin’ – dem 1. Teil seiner lehrreichen ‚Wanderungen durch die Mark Brandenburg’ – beschriebene Abtei liegt in der kleinen Gemeinde Lindow im heutigen Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Kenntnisreich berichtete uns der brandenburgische Chronist mit hugenottischen Wurzeln, dass Lindow „reizend wie sein Name“ sei, von „Schatten alter Linden aufgenommen wird“ und dass dessen geheimnisvolles Kloster auf einer schmalen Landenge zwischen „drei Seen [Anm. Wutz-, Vielitz- und Gudelacksee] aufwächst“.1 Weiter führte Fontane in einem kurzen Gedicht über den reizvollen Ort aus:
Lindow
„Wie seh ich, Klostersee, dich gern!
Die alten Eichen stehn von fern,
Und flüstern, nickend, mit den Wellen.
Und Gräberreihen auf und ab;
Des Sommerabends süße Ruh
Umschwebt die halbzerfallnen Grüfte.“2
Gründungsgeschichte des Nonnenklosters Lindow – Hauskloster der Grafen von Arnstein
Um das Jahr 1230 hatten die Grafen von Arnstein das Zisterziensernonnenkloster als ihr Hauskloster gestiftet. Hausklöster waren Klöster, die in engen Verbindungen zu Adelsfamilien standen, weil sie von jenen häufig gegründet worden waren. Im Lindower Fall ließen die Arnsteiner der Abtei vor allem Ländereien und Kapital zukommen. Mittels dieser großzügigen Schenkungen sicherten sie sich ihre künftige Grablege (Bestattung) sowie ihre Memoria (Toten-Erinnerung) durch Gebete frommer Nonnen für ihre in der Klosterkirche beigesetzten adligen Familienmitglieder. Chroniken jener Klöster schildern uns die Verdienste und die Historien der Stifterfamilien.
In der Mark war die Zisterzienserabtei Lehnin – auf der trockenen Hochfläche der Zauche gelegen – das Hauskloster der Askanier, der ersten Markgrafen und Landesherren von Brandenburg (Regierungszeit 1157-1320).
Nach dem baldigen Erlöschen des von den Arnsteinern abstammenden Lindower Grafenhauses gelangte Lindow 1524 in die zupackenden Hände der Brandenburger Markgrafen aus der Dynastie der Hohenzollern (Regierungszeit 1415-1918). In jener Epoche zählte es zu den reichsten märkischen Abteien. Zum umfangreichen Besitz des Zisterziensernonnenklosters gehörten neben der etwas abseits gelegenen Landstadt Lindow 18 Dörfer, zwanzig wüst liegende Feldmarken, 9 Wassermühlen, diverse Weiher und umliegende Seen, darunter auch der sagenumwobene Große Stechlinsee, der mit seinen 70 Metern das tiefste Gewässer Brandenburgs ist.
Ein Markgraf ‚schreibt’ Geschichte – die Reformation in der Mark – Kloster Lindow wird evangelisches Damenstift
1539 führte Markgraf Joachim II. ‚Hector’ die Reformation in Brandenburg ein. In deren Folge wandelte der kraftvolle Landesherr mit dem legendären Beinamen des antiken Helden aus Homers berühmtem Epos Ilias die Lindower Abtei in ein evangelisches Damen- bzw. Frauenstift um. Im Verlauf der blutigen Wirren des Dreißigjährigen Krieges (1618-48), der die Mark besonders heimgesucht hatte, zerstörten marodierende kaiserliche Truppen die prächtige Klosteranlage [1638] samt seiner kostbaren Bibliothek, den wertvollen Inkunabeln und den Urkunden. Folglich überdauerten auch die alten Klostergebäude jene chaotischen Zeiten nur partiell als Ruinen. Allerdings blieben die gotische Klosterschule (15. Jahrhundert) – schola claustri – bis heute erhalten, ebenso wie das Waschhaus und eine Scheune als einzige Wirtschaftsgebäude. Stimmungsvoll ist die einstige Abtei von einer weitläufigen Parkanlage umgeben. In ihr liegt der Friedhof, auf dem historische Grabsteine und –kreuze der Stiftsdamen stehen, die wir gerne betrachten können. Heute bietet das gesamte Terrain Möglichkeiten für kulturelle Aufführungen.
Kloster Wutz – alias Lindow – in Theodor Fontanes großem Alterswerk – ‚Der Stechlin’
Nicht nur in Theodor Fontanes ‚Wanderungen durch die Mark Brandenburg’ finden wir liebevoll geschriebene Passagen über das mittelalterliche Zisterziensernonnenkloster Lindow. Gleichermaßen stand das spätere Damenstift Pate in seinem letzten großen Altersroman ‚Der Stechlin’ – verfasst in den Jahren 1895-97 für das dortige Kloster Wutz – alias Lindow. Die markante Schlüsselfigur des Werks ist der letzte aus einem fiktiven märkischen Adelsgeschlecht stammende 66jährige Spross, Major a.D. und märkischer Schlossherr Dubslav von Stechlin. Er führt denselben Namen wie der nahegelegene See, der majestätisch mit der Ruppiner Landschaft verwoben ist. Die weitgefächerte Handlung dieses stimmungsvollen Jahrhundertromans spielt in der Zeit seiner Niederschrift, am Beginn eines tiefgreifenden Umbruchs in eine neue Epoche. Dialoge und Konversationen reflektieren die Melancholie einer verlöschenden Ära, die mit nagenden Zweifeln angefüllt ist.
Gegen Ende hellt sich jedoch die düstere Atmosphäre harmonisch auf. Die mit viel Sympathie geschilderten Charaktereigenschaften des Hauptprotagonisten Major a.D. von Stechlin gleichen jenen des Autors – der kurze Zeit später verstarb, nachdem das voluminöse Buch, das schnell eine zahlreiche Leserschaft finden wird, publiziert worden war.
Fontane selbst kommentierte das Sujet seines Romans augenzwinkernd. Die imaginäre Abtei Wutz – alias Lindow – wird von Adelheid von Stechlin, der älteren Schwester des Majors a.D. auf der Position einer Domina – der Stiftvorsteherin – geleitet, die sich als sauertöpfische Pietistin (lat. pietas = Frömmigkeit) entpuppt. Letztendlich wird ein Alter – Major Dubslav von Stechlin – sterben, bemerkte der verschmitzte Autor, während sich ein junges Paar heiratet. Damit ist fast der gesamte Inhalt der auf 500 Seiten ablaufenden Dichtung erzählt.
Hinweis
Für die mit einem komfortablen Reisebus ankommenden Besucher und Gäste befindet sich ein behindertengerechter Parkplatz am Gudelacksee 28 in Lindow (Mark), von dem es lediglich eine kurze Wegstrecke zum zauberhaften Klosterareal ist.
Link
www.kloster-lindow.de
Literatur
1+2Zit. Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 1, Die Grafschaft Ruppin. Das Oderland, hg. v. Christfried Coler, Berlin 1960. S. 283
Feuerstake, H. Jürgen & Oliver H. Schmidt (Hgg.): Zisterzienserklöster in Brandenburg – ein kulturhistorisch-touristischer Führer, Berlin 1998. Zum Kloster Lindow, S. 99-104
Müller, Hans: Dome ∙ Kirchen ∙ Klöster – Kunstwerke aus Jahrhunderten, ein Tourist-Führer. Berlin/Leipzig 21986. Zu Lindow, S. 148
Bergstedt, Clemens: Kirchliche Siedlung des 13. Jahrhunderts im brandenburgisch-mecklenburgischen Grenzgebiet, in: Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser, Berlin 2002, Bd. 15, S. 123f. Zum Besitz des Klosters Lindow