Wir spazieren vom hübschen Kronprinzenpalais am Linden-Boulevard die Oberwallstraße entlang und erreichen den Werderschen Markt.
Er war das Zentrum einer früheren Berliner Vorstadt. Auf dem Platz erhebt sich die von Karl Friedrich Schinkel erbaute Friedrichswerdersche Kirche.
Sie ist das erste neogotische Backsteingebäude Berlins. Unser Autor berichtet.
Der einstmals mit Linden bepflanzte Werdersche Platz war das ursprüngliche Zentrum Friedrichswerders. Dabei handelte es sich um eine gleichnamige ehemalige Berliner Vorstadt. Der kleine Platz ist durch die Straße Am Packhof, der heutigen Werderstraße, mit der Schleusenbrücke verbunden. Sie führt zum Schlossplatz. An der Westseite des Werderschen Markts stand das im 17. Jahrhundert erbaute Werdersche Rathaus. Hingegen erhob sich an dessen Nordseite die erste Friedrichswerdersche Kirche. Sie wurde von dem Berliner Stadtplaner Karl Friedrich Schinkel in den Jahren von 1824-30 durch einen mustergültigen Neubau ersetzt. Von den früheren, den Werderschen Platz begrenzenden klassizistischen Gebäuden blieb als einziges die imposante Friedrichswerdersche Kirche trotz der zahlreichen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs weitgehend als bewahrenswerte Ruine erhalten.

Die Friedrichswerdersche Kirche – das erste neogotische Backsteingebäude Berlins
Die feierliche Grundsteinlegung zur Erbauung der Friedrichswerderschen Kirche erfolgte im Jahr 1824. Sie ist das erste neogotische Backsteingebäude in Berlin. Aufgrund ihrer leuchtenden Vorbildfunktion gewann das Friedrichswerdersche Gotteshaus eine große Bedeutung für den allgemeinen Kirchenbau des 19. Jahrhunderts. Einen ersten Entwurf lieferte Baumeister Schinkel bereits im Jahr 1821/22. Zunächst orientierte er sich an der klassischen Bauform eines antiken Tempels. Schinkel griff auf den bis in unsere Tage hervorragend erhaltenen römischen Tempel, die Maison Carrée, zurück. Jener erhebt sich auf dem rechteckigen Marktplatz, der heutigen Place de la Maison Carrée, dem einstigen antiken Forum der südfranzösischen Stadt Nîmes.
Im Jahr 1823/24 legte der geniale Architekt Schinkel zwei weitere alternative Entwürfe als Konzept für den Bau der Friedrichswerderschen Kirche vor. In den beiden Entwürfen nahm sich der inzwischen zum Geheimen Oberbaurat ernannte Schinkel den Baustil englischer gotischer College-Chapels zum Vorbild. Auf einem seiner beiden Entwürfe war ein Kirchturm vorgesehen. Auf dem zweiten Bauplan konzipierte Schinkel indessen zwei Türme. Schließlich fiel die Entscheidung zugunsten des zweitürmigen Entwurfs. Es soll erwähnt werden, dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts zwei maßgebliche Baustile zur engeren Auswahl standen. In diesem Zusammenhang können wir von einer Austauschbarkeit des Formenkleids sprechen. Zum einen gab es die antike, zum anderen die neogotische Variante. Im Fall der Friedrichswerderschen Kirche setzte sich – auf Anregung des architekturbegeisterten Kronprinzen Friedrich Wilhelm (IV.) – die sogenannte neogotische Variante durch. In diesem Baustil wurde die Friedrichswerdersche Kirche im Jahr 1830 erfolgreich vollendet.
Die Architektur der Friedrichswerderschen Kirche

Die Friedrichswerdersche Kirche ist ein Backsteinbau, der aus einem einzigen Kirchen-Schiff erbaut wurde. Im polygonalen, ergo vieleckigen Chorabschluss befindet sich der Altarraum. Die nach innen in das Kirchenschiff gezogenen Strebepfeiler erkennen wir an den beiden Längsseiten des Bauwerks als 12 kleine Türmchen. Unterhalb der beiden hohen zum Werderschen Markt gerichteten Doppeltürme verläuft ein Fries um die gesamte Friedrichswerdersche Kirche herum. Er wird lediglich durch fünf an jeder Kirchenseite befindliche Maßwerkfenster unterbrochen. Mit dem Terminus Maßwerk bezeichnen wir in der Architektur die Gestaltung eines Fensters aus feingliedrigen geometrischen Schmuckformen. Dabei entstanden die geometrischen Muster in filigraner Steinmetzarbeit, durch den handwerklich routinierten Vorgang der Skelettierung der Steine. Die beiden Friedrichswerderschen Türme sind aus fünf Geschossen aufgebaut. Allerdings haben die beiden oberen Geschosse an allen vier Seiten drei große Spitzbogenöffnungen. Zwischen den zwei großen Türmen befindet sich das prächtige Hauptportal. Ein vergleichbares Nebenportal liegt an der östlichen Längsseite der Friedrichswerderschen Kirche. Das über dem Hauptportal angebrachte singuläre spitzbogige Fenster entspricht den fünf seitwärtigen Fenstern des Kirchenschiffs. Insgesamt setzt sich das Hauptportal aus zwei kleineren spitzbogigen Portalen zusammen. Sie sind wiederum mittels Maßwerk-Rosetten im Bogenfeld geschmückt. In den dreiseitig begrenzten oberen Flächen, den sogenannten Zwickeln, sind zwei Terrakottareliefs zu sehen, auf denen wir kranzhaltende Engel erkennen. Die markante mittlere Figur stellt den bekannten Erzengel Michael dar.
Sankt Michael, der Engel mit dem flammenden Schwert, der den geflügelten Drachen tötet

Nach der Überlieferung ist der Heilige Michael der Erzengel mit dem flammenden Schwert, der Adam und Eva aus dem Paradies vertrieb und den Lebensbaum bewacht. In den Darstellungen der Johannes-Offenbarung erfüllt Sankt Michael eine besondere Aufgabe beim jüngsten Gericht. Seine Posaune erweckt die Toten aus ihren Gräbern. Im endzeitlichen Kampf tötet er den mit martialischen Flügeln gerüsteten Drachen, der sich zu den Füßen des Heiligen befindet. Weil er als der ranghöchste Engel gilt, wird er als barmherzig charakterisiert. Zudem ist der immer jugendlich dargestellte Erzengel der gütige Patron von Jena, Andernach am Rhein, Zeitz, Ohrdruf, Neudenau an der Jagst sowie von Brüssel und von Kiew.
Der Bildhauer Christian Friedrich Tieck aus der berühmten Berliner Bildhauerschule
Die gusseisernen Flügeltüren des Hauptportals der Friedrichswerderschen Kirche weisen zwei Engelstondi, zwei runde Reliefs, auf. Sie wurden nach Modellen des in Berlin geborenen Bildhauers Christian Friedrich Tieck angefertigt. Als prominenter Vertreter der Berliner Bildhauerschule ist uns Tieck bereits bekannt. Folglich fertigte er die rossebändigen Dioskuren auf dem Dach des Alten Museums im Berliner Lustgarten an, über die unser Buskompass-Autor seinen geneigten Lesern bereits berichtete.
Der Innenraum und die Innenausstattung der Friedrichswerderschen Kirche

Der feierliche Innenraum der Friedrichswerderschen Kirche wird durch hohe Kreuzrippengewölbe begrenzt. Zusätzlich aufgemalte Rippen erweiterten die Handwerker der Bauhütte zu prägnanten Sternengewölben. Zwischen den nach innen gezogenen Strebepfeilern verläuft der Emporenrundgang.

Bedauerlicherweise ist die von Schinkel entworfene Innenausstattung der Friedrichswerderschen Kirche zum überwiegenden Teil in den beiden Weltkriegen verloren gegangen.

Allerdings gibt es in dem heute säkularisierten Gotteshaus eine überlebensgroße Statue von Christian Friedrich Tieck zu bestaunen, die das geniale Multitalent Karl Friedrich Schinkel darstellt.

Wer sich für weitere Skulpturen des Berliner Bildhauers interessiert, der wird am Berliner Schauspielhaus fündig, wo die bemerkenswerten Skulpturenpaare Panther mit Genius der Musik und Apollo mit Greifen zu sehen sind. Ebenso stammt das ansehenswerte Denkmal für den preußischen König und wenig geliebten Neffen des Alten Fritz, Friedrich Wilhelm II., im märkischen Neuruppin von dem versierten Bildhauermeister Tieck.
Hinweis
Friedrichswerdersche Kirche, Werderscher Markt 1, 10117 Berlin-Mitte
Telefon: (030) 266 424 242
Öffnungszeiten: Di.-So. 10-18, Do. 10-20 Uhr
Barrierefrei: eingeschränkt rollstuhlgeeignet
Buslinien 100, 300 & N5. Haltestelle: U-Bahnhof Museumsinsel, 300 Meter zu Fuß
Lesenswert
Chod, Kathrin; Herbert Schwenk & Hainer Weisspflug: Friedrichswerdersche Kirche. Berlin, 2003