Das Visier wird heruntergeklappt. Das Pferd schnaubt. Die Lanze wird gestreckt. Ein Wettkampf um Preis, Ehre und Ruhm!
Wir laden Sie ein, sich in der Dresdener Altstadt auf Spurensuche zu begeben. Der Stallhof am Dresdener Residenzschloss verzaubert mit seiner Architektur und Historie!
Der Stallhof in Dresden ist der älteste erhaltene Turnierplatz der Welt. So wird es jedenfalls verkündet in der sächsischen Landeshauptstadt. Hier fanden Wettkämpfe zu Pferd und fürstliche Feste statt. Wir begeben uns heute auf die Reise, um die wechselvolle Geschichte dieses spannenden Areals zu erkunden. Umgeben ist der unweit der Frauenkirche gelegene Stallhof von Teilen des Residenzschlosses, vom ehemaligen Stallgebäude, vom Verbindungsbau (Langer Gang) zwischen Schloss und Pferdestall und vom Haus der Kathedrale, dem Hauptsitz des Dresdener Bischofs. Der Hof hat eine Länge von etwa einhundert Metern und ist an seiner ausgedehntesten Stelle halb so breit. Wir betreten den Stallhof am besten von der Augustusstraße aus. Wir befinden uns keine 200 Meter vom Neumarkt entfernt, an welchem die wiederaufgebaute Frauenkirche steht, die bis heute das wichtigste und bekannteste Symbol Dresdens ist. Wir aber schreiten durch ein sich über Jahrhunderte hinweg erhaltenes Tor, über dessen Portal noch immer ein Löwenkopf prangt als Symbol der Stärke des sächsischen Königshauses. Zu seiner rechten und zu seiner linken blicken zwei steinerne Pferdeköpfe auf uns herab, um unmissverständlich aufzuzeigen, wer die wirklichen Herrscher des Stallhofes waren.
Wettkämpfe hoch zu Ross im Stallhof
Der Stallhof wurde während der Regentschaft des früh verstorbenen Kurfürsten Christian I. (1560-1591) errichtet und in seinem Todesjahr 1591 fertiggestellt. Von den Festen für den adligen Hof und von den Reitturnieren dürfte er also leider nicht mehr viel gehabt haben. Dies ist bedauerlich, da er sich sowohl als enthusiastischer Reiter als auch ebensolcher Trinker einen Ruf erworben hatte. Der Stallhof fungierte als Austragungsort für Wettkämpfe. Insbesondere das Ringstechen erfreute die Hofgäste, die eigens von Plätzen über dem Arkadengang das Spektakulum erleben durften. Bei diesem äußerste Konzentration und Geschicklichkeit erfordernden Wettkampf standen sich zwei Reiter gegenüber oder dicht nebeneinander. Sie hielten ihre langen Lanzen mit angespanntem Unterarm, beschleunigten ihre Pferde auf kürzester Distanz bis zum Galopp und hielten aufeinander zu oder flogen nebeneinander dahin. Doch sofort war der entscheidende Moment gekommen. An zwei bronzenen kräftigen Säulen waren Ringe aufgehängt worden, die von den Teilnehmenden mit ihren Lanzen durchstoßen wurden. Mit dem auf der Lanze aufgespießten und mit bunten Bändern verzierten Ring ritten die Kontrahenten entlang der Tribünen des Langen Ganges. So unglaublich es klingt, die bronzenen Relikte haben sich tatsächlich über 400 Jahre erhalten und stehen noch heute im Stallhof. Es könnte also jederzeit wieder losgehen mit dem Kräftemessen zu Hofe!
Die Pferdeschwemme im Stallhof
Voller Staunen blicken wir uns um, wenn wir in diesem Ensemble von Renaissancearchitektur stehen. Tatsächlich ist das meiste, was wir erblicken, wieder aufgebaut worden, also nur teilweise im Original erhalten. Aber dadurch erscheint es uns nicht weniger faszinierend. Am auffälligsten ist der langgezogene Arkadengang, der von 22 Säulen flankiert und geschmückt wird. Dazwischen die Wappen der hier lange herrschenden Wettiner. Zwischen den Rundbögen der Arkaden leuchten uns Banner, Löwen und Zeichen der mächtigen Regentschaft entgegen. In unserem Rücken auf Höhe der bronzenen Säulen entdecken wir drei Bögen in der Mauer, in denen damals die Preisrichter in sogenannten Judicir-Logen das Geschehen verfolgten. Ein Hauch von Olympischen Spielen oder Pferderennen umweht uns. Weht kein Lüftchen, so kann sich im Stallhof im Sommer die Hitze des Tages so richtig sammeln und nimmt uns gefühlt in die Zange. So unerbittlich, wie auch die Reiter ihre Pferde in die Beinpresse genommen haben, um sie anzutreiben. Offenbar war allerdings auch der Wunsch nach Abkühlung bereits in vergangenen Zeiten groß. Nicht anders ist es zu erklären, dass an einem Ende des Stallhofes, dort, wo sich der Platz weitet, im Jahr 1745 eine Pferdeschwemme angelegt wurde, die sich ebenfalls bis heute erhalten hat. Dort hinein ins hüfthohe Wasser wurden die Pferde geleitet, um sie säubern und erfrischen zu können. Leider wird der einem flach abfallenden Brunnen nicht unähnliche Pferdepool nur zu ganz besonderen Anlässen geflutet. Dann plätschert das Wasser durch ein steinernes Steinbockhaupt und wir sehen vor unserem geistigen Auge, wie die wilden Pferdemähnen die selbst erzeugte Gischt durch die Luft wirbeln.
Das Stallgebäude und der Lange Gang
Das angrenzende Stallgebäude ist ebenfalls prächtig anzusehen, beherbergt heute das Verkehrsmuseum und wurde im 16. Jahrhundert erbaut. Im Erdgeschoss waren die Pferde untergebracht, im Obergeschoss die Rüstkammer mit Waffen und Rüstungen. Die Rüstungen wurden auch für die Festivitäten angelegt, die Waffen wanderten im Laufe der Geschichte aus dem Johanneum (so der heutige Name des ehemaligen Stallgebäudes) in den Langen Gang. Auch heute noch werden dort hinter Vitrinen historische Waffen wie Jagdgewehre präsentiert. Die Restaurierungen der letzten Jahrzehnte würden Paul Buchner (1531-1607) sicher hocherfreuen, wenn er nicht schon seit gut 400 Jahren auf dem Dresdener Frauenkirchhof begraben läge. Er war im 16. Jahrhundert einer der Hofarchitekten und hatte die Gestaltung des Stallhofes übernommen. Der Lange Gang, auf dessen Außenseite der 100 Meter lange Fürstenzug auf Porzellankacheln aus Meißner Porzellan dargestellt ist, ist sein Werk. Errichtet wurde er auf den Grundmauern der mittelalterlichen Stadtmauer Dresdens.
Das Haus der Kathedrale am Stallhof
Das Haus der Kathedrale hieß nicht immer so. Tatsächlich handelt es sich um eine relativ neue Nutzung des Gebäudes. Es wurde in den 90er Jahren ziemlich detailgetreu in dem Stil errichtet, in dem es bis zur Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg Bestand gehabt hatte. Es war die erste Kanzlei und somit das erste Verwaltungsgebäude Dresdens überhaupt. Im 16. Jahrhundert war es mit den Treppentürmchen und Renaissancegiebeln errichtet worden. Die Nutzung des zum Residenzschloss gehörenden Gebäudes wechselte im Laufe der Zeiten. So war es im 19. Jahrhundert Sitz des sächsischen Kriegsministeriums, Hofapotheke und später Münzkabinett. Heute wohnt hier der Bischof des Bistums Dresden-Meißen. Der Klerus, der Adel und das Geld spielen also noch immer eine Rolle im Herzen der Dresdener Altstadt. Wenn Sie Ihren Reisebus besteigen für die Rückfahrt, wünschen wir Ihnen, dass Sie sich weniger von Titeln und Macht haben beeindrucken lassen, sondern von Architektur und Geschichte!
Hinweise
- Der Stallhof gehört heute zur Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten GmbH. Weitere Informationen erhalten Sie unter Telefon: 0351-438370320 oder wenn Sie sich per E-Mail an festung.dresden@schloesserland-sachsen.de wenden
- Der Stallhof ist barrierefrei und kostenlos zugänglich; Öffnungszeiten sind täglich von 7.00 Uhr – 20.00 Uhr
- Ein besonderes Highlight ist der mittelalterliche Weihnachtsmarkt, der jedes Jahr im Stallhof veranstaltet wird. Dieser geht übrigens nach den Weihnachtsfeiertagen als Markt der Rauhnächte bis zum 06. Januar des kommenden Jahres weiter; genug Zeit also, um den Stallhof auch einmal in winterlicher und ganz besonders festlicher Atmosphäre erleben zu können
Lesenswert
Wer sich mehr für die Spiele, Reitwettkämpfe und Feste des Mittelalters interessiert, dem können wir den Band Ritterturniere im Mittelalter: Lanzenstechen, Prunkgewänder, Festgelage von Werner Meyer empfehlen.