Unsere Bustour bringt uns nach Brandenburg an der Havel.
Wir wollen das Altstädter Rathaus, den administrativen Mittelpunkt der Havelstadt anschauen.
Bevor wir die spätgotische Architektur des Backsteingebäudes betrachten, wenden wir uns dem davor stehenden Roland zu. Derweil berichtet unser Buskompass-Autor von weiteren Rolandstandbildern, die vor den Rathäusern der Städte stehen.
Der aus Sandstein jünglingshaft gestaltete Roland vor dem Altstädter Rathaus in Brandenburg gehört zu den schönsten Figuren dieses Typs im norddeutschen Raum. Vergleichbare Statuen gibt es in zahlreichen Städten von Norddeutschland über das Baltikum bis in das südliche Kroatien auf den Marktplätzen sowie vor den Rathäusern zu sehen.
In Norddeutschland dürfte der vor dem Bremer Rathaus befindliche Roland sicherlich der bekannteste Vertreter dieser Art sein. Dieses populäre Wahrzeichen teilt sich seit dem Jahr 2004 zusammen mit dem ansehenswerten Rathaus der alten, beiderseitig der Weser gelegenen Hansestadt einen vorderen Platz auf der legendären Welterbeliste der UNESCO.
Ebenso befindet sich vor dem Duisburger Rathaus ein adäquates Rolandstandbild aus dem Jahr 1902.
Der neue Roland von 1474 vor dem Altstädter Rathaus in Brandenburg
Die monumentale, 5.50 Meter hohe, mit einer Ritterrüstung bewehrte Rolandfigur steht mit einem bloßen, aufrecht gehaltenen Schwert, das er in der rechten Hand hält. Seine linke umfasst einen Dolch. Nach einer Inschrift auf der Rückseite der imposanten Statue entstand sie im Jahre 1474. In einer vertieften Mulde auf dem Kopf der Sandsteinfigur befindet sich ein Büschel Dach-Hauswurz oder Donnerbart. Diese Pflanze soll der Legende nach den Roland vor einem Blitzschlag und sonstigem Unheil schützen. Unsere Vorfahren hatten die vermutlich aus Südeuropa stammende Heilpflanze nicht nur dem germanischen Donnergott Donar geweiht, sondern sie nutzten jene damit auch als Schutz für ihre Bauten. Dieser Glaube war tief verwurzelt, sodass der erste Frankenkaiser Karl der Große den Hauswurz auf allen Bauwerken angepflanzt haben wollte.
Rolandstatuen – Symbole mittelalterlicher Stadtrechte, Gerichtsbarkeiten und Marktfreiheiten – der Altstädter Roland zieht 1716 vor das Neustädtische Rathaus in Brandenburg um
Ein Roland verkörpert als Rechtssymbol vor allem die städtische Gerichtsbarkeit und die Marktfreiheit der Bürger, Händler und Kaufleute in einer mittelalterlichen Stadt. Ursprünglich war der historische Roland, namens Hruotland, ein bretonischer Markgraf. Er lebte in der Zeit des legendären Frankenkaisers Charlemagne im 8. Jahrhundert und wurde in den Pyrenäen in einem Hinterhalt aufständischer Basken ermordet. In Folge dessen avancierte Roland, wie man ihn traditionell im Deutschen und im Französischen nennt, zum unumstrittenen Helden des in altfranzösischen Versen verfassten Rolandslieds, la Chanson de Roland, aus dem 11. Jahrhundert. Dieses großartige Heldenepos diente als Vorlage für zahllose Legenden, literarische Werke und klangvolle Opern, darunter die von Vivaldi und Georg Friedrich Händel.
Die älteste Rolandstatue ist seit dem Jahr 1342 in der Freien und Hansestadt Hamburg nachweisbar.
Es folgt das Rolandstandbild in dem im nördlichen Harzvorland gelegenen Halberstadt, dessen Errichtung in das Jahr 1381 datiert. Halberstadt besitzt mit seinem im frühen 15. Jahrhundert erneuerten Exemplar auch die antiquierteste noch erhaltene Rolandsstatue Deutschlands.
Angeblich soll die vor dem Altstädter Rathaus in Brandenburg befindliche Rolandstatue bereits ein für das Jahr 1402 bezeugtes Vorgängerstandbild aus bemaltem Holz in der Brandenburger Neustadt besessen haben. Weil die Altstädter Rolandfigur den preußischen Grenadieren beim Exerzieren auf dem Marktplatz hinderlich gewesen war, wurde sie mit der ausdrücklichen Genehmigung des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. im Jahr 1716 kurzerhand vor das Neustädtische Rathaus umgesetzt. Interessanterweise befindet sich auch eine gelungene Kopie des neuen Brandenburger Rolands direkt vor dem großen Hauptportal des Märkischen Museums in Berlin-Mitte.
Brandenburgs Roland wird demontiert, eingelagert und 1946 vor dem Altstädter Rathaus wieder aufgestellt
Zum Schutz vor den alliierten Bombardements wurde die Rolandstatue im Kriegsjahr 1941 zunächst demontiert und anschließend in Kisten eingelagert. Glücklicherweise konnte damit der bislang auf der Markfront vor dem Neustädtischen Rathaus stehende Roland unbeschadet die Zerstörung des administrativen Gebäudes und dessen Vorplatzes gegen Kriegsende im Frühjahr 1945 überstehen. Danach fand das versetzte und wiedererrichtete steinerne Standbild nunmehr seinen endgültigen Platz vor der Westfront des Altstädtischen Rathauses.
Der Vorgängerbau des Altstädtischen Rathauses in Brandenburg an der Havel
Wie sämtliche Brandenburger Rathäuser erhebt sich auch das zweigeschossige und rechteckige Altstädter Rathaus in der stolz als Wiege der Mark bezeichneten Stadt Brandenburg an der Havel auf dem alten Marktplatz, der bereits vor dem Jahr 1200 entstanden war. Die Fläche des Altstädtischen Markts fiel damals weitaus größer aus, als sie es noch heute ist. Die ersten Ratsherren der Altstadt wurden im Jahre 1263 schriftlich erwähnt. Umfangreiche archäologische Grabungskampagnen haben ergeben, dass das heutige altstädtische Backsteingebäude bereits um das Jahr 1300 einen einfachen Vorgängerbau besessen haben dürfte. Jenes Gebäude war nicht nur unterkellert, sondern es besaß an seinen beiden Stirnseiten angebaute Vorlauben beziehungsweise zwei durch einen eigenen Giebel betonte Vorhallen. An diesen Bau haben versierte Handwerker um die Mitte des 15. Jahrhunderts die zentrale Ratsstube, einen von zwei Geschossen gewölbten Anbau, angefügt. In jenem Annex ist heute das prächtige Rolandzimmer untergebracht.
Der spätgotische Backsteinbau, erbaut in den Jahren von 1470 bis 1480
In dem Jahrzehnt von 1470 bis 1480 wurde das stattliche spätgotische Backsteingebäude errichtet, das bis heute einschließlich seines beeindruckenden Dachwerks erhalten blieb. Vermutlich waren sowohl in dem mit einer Arrestzelle ausgestatteten Keller als auch im Erdgeschoss mehrere Lager- und Verkaufsräume untergebracht.
Das im Erdgeschoss befindliche große Portal diente gleichzeitig als architektonisch gewölbte Gerichtslaube.
Darüber dehnt sich, über die gesamte Gebäudefläche, der ungeteilte Ratssaal aus, der von einer hübschen hölzernen Decke geschmückt wird. Ursprünglich konnte der eindrucksvolle Ratssaal von außen mittels einer Freitreppe erreicht werden. In dem Saal fanden ehrwürdige Ratsversammlungen und stilvolle Feierlichkeiten statt. Die hochgelegenen und auf die Schusterstraße blickenden Fenster zeigen noch heute die Position des damaligen Ratsgestühls an. Über dem geräumigen Ratssaal lag das städtische Archiv, in dem die wertvollen Urkunden aufbewahrt wurden, die die unveräußerlichen Rechte der Havelstadt bestätigten.
Der schlanke Rathausturm mit seinen Staffelgiebeln, der Uhr und der Glocke
Der in die südliche Giebelfront eingebundene, schlanke und blendengeschmuckte Rathausturm mit seinen stufenförmig gegliederten Staffel- oder Treppengiebeln, seiner Uhr und seiner sonoren Glocke stammt ebenfalls aus jener Zeit. Er erhebt sich in Richtung des Marktplatzes hin und kann als gebautes Programm der bürgerlichen Ratsherrschaft interpretiert werden. Sehenswert sind die farbig gestalteten Wappen der honorigen Ratsfamilien an der frontalen Schauseite des Altstädtischen Rathauses und das massive Hauptportal mit seinen detailreichen Kopfbildern von vier ehrenwerten Stadtpersönlichkeiten des 15. und 16. Jahrhunderts.
1715 – die beiden Brandenburger Städte werden vereinigt – das Altstädtische Rathaus verliert an Bedeutung
Bis zur Vereinigung der beiden Brandenburger Städte im Jahre 1715 fungierte das Altstädtische Rathaus als administrativer Mittelpunkt. Nachdem deren Amtsgeschäfte in das Rathaus der Neustadt verlagert worden waren, verlor das Altstädter Rathaus nicht nur seine Funktion als viel frequentierter Verwaltungssitz, sondern auch seine innerstädtische Bedeutung ging zurück.
In der weiteren wechselvollen Geschichte des Gebäudes wurden im Jahre 1754 in die leerstehenden Räume eine lukrative Manufaktur eingerichtet. Dafür wurden deren Innenräume tiefgehend umgebaut, neue Deckenteilungen erfolgten, weitere Fenster kamen hinzu.
Nachdem die Nutzung der inzwischen defizitär gewordenen Manufaktur am Beginn des 19. Jahrhunderts aufgegeben worden war, diente das ehemalige Rathaus zunächst als Warenlager, Kaufhalle und als Kornmagazin. Später wurde es auf Beschluss der königlich-preußischen Regierung als Landes- und Stadtgericht genutzt.
Nach dem Verkauf des früheren Rathauses nach der Mitte des 19. Jahrhunderts an die örtliche Garnison wurden die umfunktionierten Räume als Kleiderkammer für Uniformen und als Arrestzelle verwendet. Aufgrund der stetigen Verschlechterung der baulichen Substanz verfiel das einstige Gemeindehaus allmählich zu einer Ruine, sodass es am Anfang des 20. Jahrhunderts geräumt werden musste. Es drohte der vollständige Abriss. Erst als im Jahre 1910 die Stadt Brandenburg das Altstädtische Rathaus zurück gekauft hatte, konnte dessen lang geplanter Wiederaufbau endlich in Angriff genommen werden.
Erich Blunck gotisiert das Altstädtische Rathaus in den Jahren von 1910 bis 1912
Die reiche Dekorierung der Giebel des Altstädtischen Rathauses, seiner Längsseiten und seiner einzelnen Portale mit ihrem in farbigen Glasursteinen ausgeführten Maßwerk wurden in den Jahren von 1910 bis 1912 nach den Plänen des Architekten, Denkmalpflegers und Dozenten Erich Blunck in gotisierenden Formen erneuert. Außerdem gestaltete Baumeister Blunck das Innere des Gebäudes tiefgreifend um.
Im Verlauf der anspruchsvollen Rekonstruktionsarbeiten wurde das einstige Gemeindegebäude mit dem in der Schusterstraße liegenden Ordonnanzhaus mittels eines neuen gemeinsamen Zwischenbaus verbunden. Im Nordwesten befindet sich der ältere, zweigeschossige Kernbau. Sämtliche Bauten wurden in den Jahren 2006 und 2007 saniert sowie zum vergrößerten Sitz der angewachsenen Stadtverwaltung umgebaut.
Hinweis
Roland und Altstädtisches Rathaus ∙ Altstädtischer Markt 10 ∙ 14770 Brandenburg ∙
Telefon: 0 33 81 / 58-0
Öffnungszeiten: Montag-Donnerstag 08.00 Uhr bis 20.00 Uhr ∙ Freitag 08.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Zu den Öffnungszeiten können der historische Rolandsaal und der Ratskeller im Altstädtischen Rathaus besichtigt werden.
Regeneration
Café ∙ Bistro ∙ Melange ∙ Ritterstraße 92 ∙ 14770 Brandenburg an der Havel ∙ Telefon: 0 33 81 /
20 81 18
Öffnungszeiten: Montag-Freitag 08.00 Uhr bis 18.00 Uhr ∙ Sonnabend & Sonntag geschlossen
Lesenswert
Rössing, Renate & Roger Rössing: Rolande in Deutschland. Rostock 2004