Direkt neben dem Berliner Hauptbahnhof und dem Busbahnhof ist ein großer außergewöhnlicher Park. Hier befand sich einmal ein Gefängnis. Heute ist hier ein kunstvoll gestalteter Ort, der die Historie nicht ausspart und den trotz der zentralen Lage kaum jemand kennt.
Unweit vom Berliner Hauptbahnhof befindet sich eine Laubenkolonie. Das ist eine Besonderheit Berlins, überall und urplötzlich steht man vor kleinen Gartenstädten. Diese historische Kultur ist in den Berlinern wichtig und in einer Großstadt nötig.
Geht man also durch die Laubenkolonie an der Lehrter Straße hindurch, steht man plötzlich vor einem verfallenen Friedhof. Dem ehemaligen sogenannten Beamtenfriedhof. Hier wurden die Beamten des benachbarten großen Zellengefängnisses, das bis 1955 bestand, beerdigt. Die Gefangenen kamen auf einen Extra-Friedhof daneben. Auf dem Friedhof der Gefangenen steht heute die Laubenkolonie. Auch das ist Berlin.
Ein ehemaliges Zellengefängnis. Was war das?
Das Zellengefängnis an der Lehrter Straße war als eines der berüchtigsten Knäste Berlins bekannt. Die Haftanstalt 1849, nach einer von König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen eingeführten Gefängnisreform außerhalb der Berliner Stadtmauern erbaut, war von dem Gedanken, Gefangenen nicht länger in Gemeinschaftszellen unterzubringen, bestimmt. Man meinte, und das war nicht unbegründet, enge Gefangenschaft fördere weitere Kriminalität und Gewalt untereinander während der Haft und nach der Freilassung. Daher waren Einzelzellen zunächst ein Fortschritt. Diese 520 Zellen lagen in vier der fünf strahlenförmig angelegten Gebäude, die von der Mitte aus kontrolliert wurden. Zwischen den Flügeln gab es drei Rundhöfe, sogenannte Spazierhöfe, die ebenfalls in Zellen unterteilt waren und wo die Gefangenen Hofgang hatten. Durch die Einzelhaft sollten sich die Menschen besinnen und moralisch läutern. Das ist nicht jedem möglich. Kommunikation ist ein Lebensmittel, auch im Gefängnis. So etwas nennt man heute Isolationshaft.
Die gesamte Gefängnisanlage war eine Stadt in der Stadt mit Friedhöfen, Gärten, Kirche und Schule und Wohngebäude für die Vollzugsbeamten, die zum Teil heute noch bestehen. Teile der Gefängnismauer sind ebenfalls bis heute erhalten.
Übrigens war auch der Hauptmann von Köpenick, Wilhelm Voigt, hier inhaftiert. Er wurde 1908 vom Kaiser Wilhelm II. persönlich begnadigt.
Ab 1933 verschärften sich die Haftbedingungen erneut. Das Gefängnis wurde zum Symbol für Angst, Unrecht, Schrecken, Folter und Mord. Fast unzählbare, doch natürlich zählbare Widerstandskämpfer waren hier inhaftiert. So Wolfgang Borchert, Ernst Busch, Erich Mühsam, Klaus Bonhoeffer, Erich Honecker, Paul Graf York von Wartenburg und Albrecht Haushofer. Haushofer verfasste hier seine Moabiter Sonette.
Nach dem Attentat des 20. Juli 1944 wurde die Sonderkommission 20. Juli gegründet. Von den 400 Mitarbeitern dieser Gestapo-Abteilung waren einige Dutzend im Zellengefängnis Lehrter Straße abgestellt. Diese sorgten für verschärfte unmenschliche Haftbedingungen. Die Gefangenen wurden nachts an der Wand fixiert, tagsüber gefesselt und mit strengen Auflagen belegt, die Versorgung mit Lebensmitteln nahezu eingestellt, ärztliche Versorgung gab es gar nicht mehr. Viele überlebten nur durch Mitgebrachtes und Geschenke ihrer Angehörigen.
Nur einige Gefangene blieben verschont, überlebten die NS-Zeit. Aus Angst vor Zeugenaussagen wurden noch in der Nacht vom 22. zum 23. April 1945 sechzehn Häftlinge ermordet. So Klaus Bonhoeffer, der ältere Bruder Dietrich Bonhoeffers und der Dichter Albrecht Haushofer, neben dessen Totenbett die im Gefängnis entstanden Moabiter Sonette gefunden worden.
Eine Berliner Mauer bleibt stehen
Nach dem Fall der Berliner Mauer lag das Gelände um den damaligen Lehrter Bahnhof und Moabit plötzlich in der Mitte der Stadt. Man plante den Tiergartentunnel durch die Ruinen des ehemaligen Zellengefängnisses zu bauen. Mittlerweile hatte hier das Tiefbauamt sein Lager. Somit wäre das gesamte historische Areal überbaut worden. Nach heftigen Diskussionen und öffentlichem Druck, die Spuren der Geschichte im Berliner Stadtbild nicht flächendeckend zu beseitigen, wurde die Planung des Tunnels geändert. Somit blieben die Gefängnismauern des Zellengefängnisses bestehen, während die Berliner Mauer weitgehend abgerissen wurde und im Stadtbild nicht mehr sichtbar war.
Nun kann man sich vielleicht sagen, dass man sich Angenehmeres vorstellen kann, als über ein Gelände zu spazieren, wo solche Schrecken und unsagbaren menschlichen Tragödien geschehen sind. Es kommt dennoch auf einen Versuch an. Denn ich finde, das Konzept, die Vergangenheit des Ortes durch architektonische und gärtengestaltende Elemente wach zu halten, ist sehr gelungen.
Durch weit auseinander liegende räumlich enge Pforten gelangt man auf das Gelände.
Hier eröffnet sich dem Besucher eine ziemlich grandiose Weite ungefähr eines Fußballfeldes. Man fühlt, man kann frei atmen. Auf dem Erdboden sind Gänge und Zellen des Gefängnisses durch Anordnung von Steinen und verschiedenartige Pflanzungen markiert. Ansteigende und absteigende Rasenflächen verdeutlichen die Räume, man muss dem allen aber nicht folgen, sondern kann einfach in den Himmel schauen.
Auf der Fläche des vierten Traktes verdeutlichen Hecken aus Hainbuchen Lage und Größe einzelner Zellen. Auch hier muss man nicht folgen, man kann auch auf den Kinderspielplatz gehen oder sich einfach auf eine Bank setzen.
Andererseits ist auch eine Haftzelle aus Beton nachgebaut. Man kann hineingehen. Sobald man darin ist, durch einen Schallschranke hindurch gegangen ist, erklingen Zeilen der Moabiter Sonette, die Albrecht Haushofer (1903-1945) in seiner Gefängniszeit 1944/45 hier verfasst hat. Von ihm ist auch das Zitat, dass in großen Buchstaben an die Gefängnismauer geschrieben ist und dessen Worte weithin leuchten. Man möchte näher herangehen, um zu verstehen, was er gemeint hat.
Ich finde, dass trotz der schweren historischen Bezüge der Park Erholung und Entspannung bietet. Überall schlängeln sich kleine Pfade aus Natursteinen und verschiedenartigste Pflanzen sind hier zu finden. Von allen Ecken bieten sich dem Betrachter andere Sichtwinkel, Perspektiven und Achsen. Vielleicht auch auf das eigene Leben.
Die Idee eines Geschichtsparks entstand um 1990. Umgesetzt wurde sie 2003 und 2006.