Nach unserer Ankunft mit dem Reisebus aus dem unweit gelegenen Neuruppin führt uns unser Spaziergang über das Terrain des Nonnenklosters Lindow zu den Relikten der Abteikirche, der Schule, des Waschhauses und der außerhalb der Klostermauern gelegenen Scheune. Bei unserem Rundgang wandeln wir auf Theodor Fontanes Spuren. Als Vorbereitung dafür können wir uns an seinen Schilderungen in den ‚Wanderungen durch die Mark Brandenburg’ orientieren. Des Weiteren ging er in seinem historischen Roman ‚Vor dem Sturm’ in seiner Abschlusspassage auf die Klosteranlage mit ihrem Friedhof und den Park ein.
Fotogene Relikte der Kirche – der sogenannte Nordflügel
Das seit seiner Urplanung turmlose Lindower Gotteshaus war von mittelalterlichen Baumeistern als einschiffiger Kirchenraum konzipiert worden, der im 13. Jahrhundert aus massiven Feldsteinen errichtet worden war. Üblicherweise besaßen Zisterzienserkirchen jener Zeit als tonlose Geste der Demut vor Gott keinen pompösen Glockenturm. Als Ersatz dafür diente ein kleines Türmchen aus Holz, ein sogenannter Dachreiter, oder ein Heiligenkreuz.
Noch heute bedauern nicht nur kulturhistorisch interessierte Besucher Lindows die gravierenden Zerstörungen am klösterlichen Gebetshaus in Folge einer systematischen Brandschatzung durch kaiserliches Militär im Verlauf des turbulenten Dreißigjährigen Kriegs 1638. Außerdem wirkte sich in den nachfolgenden Jahrzehnten das kurfürstliche Dekret, Kirchen- und Klostersteine als Baumaterial für Lindower Häuser zu verwenden, ungut auf den noch intakt gebliebenen Gebäudetorso der Stiftskirche aus. An der Position, an der sich einst der klassische Hochaltar befand, stehen Gäste und Gläubige heute einem schlichten Holzkreuz gegenüber, das sich in den märkischen Himmel erhebt.
Der Ostbau – mutmaßliche Sakristei, Versammlungsort und Schlafsaal der Ordensschwestern
An die bereits vorhandene Klosterkirche wurde im späten 13. Jahrhundert ein langgestrecktes Feldsteingebäude angefügt, dessen unregelmäßige Steine an den Außenkanten zu Quadern von den damaligen Steinmetzen verbessert worden waren. Ihre geschickten Handwerkerhände mauerten Kreuzrippen und gotische Bögen aus roten Backsteinen. Im Erdgeschoss des unterkellerten Gebäudes lagen vermutlich die Sakristei, der Raum für liturgische Geräte, und der beheizbare Kapitelsaal, der Versammlungsort der klösterlichen Gemeinschaft, der neben der Kirche die bedeutendste Sphäre eines Klosters ist. Hingegen diente die obere Etage als gemeinsamer Schlafsaal für die Zisterziensernonnen. In einer Wand ihres Dormitoriums, des Schlafsaals, dürfte hinter eine hölzernen Tür ein kleiner Gang zur sogenannten Nonnenempore in die Kirche hinaufgeführt haben. In den Freiräumen zwischen den gotischen Fenstern waren extra Nischen eingelassen worden, die die Ordensschwestern als behelfsmäßige Regale genutzt haben könnten.
Heute nur noch wenig zu sehen – der Süd- und Westflügel
Der vis-à-vis der Klosterkirche gelegene Südflügel dürfte zum einen als Speisesaal, als Refektorium, von Nonnen genutzt und zum anderen als Küche gebraucht worden sein. Die zahlreichen im großen Küchentrakt aufgefundenen Ziegel könnten aufgrund ihrer schwarzen Verfärbung Elemente eines massiven Herds gewesen sein oder aber auf die verheerende Feuersbrunst des Jahres 1638 hinweisen.
Im westlichen Trakt waren Laienschwestern untergebracht; männliche, im Unterschied zu Mönchen barttragende Konversen werden weit entfernt logiert haben. Bei den in braune Kutten gewandeten Konversen handelte es sich meistens um arme Bauernsöhne, die zwar als Laienbrüder einfachen Ranges nach den strengen Regeln der Zisterzienser lebten, die aber im Gegensatz zu den weiß-gewandeten Chormönchen keine Priesterweihen empfangen durften.
Laienbrüder und –schwestern übten nach der Ablegung eines Gelübdes unter der wachsamen Aufsicht ihres Konversenmeisters diverse Klosterdienste aus, wie manuelle Tätigkeiten in den Werkstätten sowie körperliche Arbeiten auf den Feldern. Dieses strenge Gebot der Distanzierung zwischen Laienbrüdern und –schwestern sowie geweihten Mönchen und Nonnen markierte eine soziale Schranke, die ebenfalls in der Architektur der Zisterzienserklöster in zwei geteilte Bereiche einen sichtbaren Ausdruck fand. Beispielsweise wurden Konversen und Laienschwestern in der Klosterkirche durch eine steinerne Barriere, in der Form eines abtrennenden Lettners, von den übrigen Zisterziensernonnen separiert.
Die Schule – im Baustil der Gotik errichtet und erhalten
Wir kommen zum Schulgebäude. Die im 15. Jahrhundert aus unregelmäßigen Findlingen erbaute und betrachtenswerte Klosterschule ist ein zweigeschossiger Bruchsteinbau, deren Kern in die mittelalterliche Epoche zurückreicht. In der Klosterschule unterrichteten Ordensschwestern junge, noch nicht heiratsfähige Adelstöchter. Überhaupt benötigte der Adel eine sichere Heimstätte für die Ausbildung, die Unterbringung und die Versorgung seiner unverheiratet gebliebenen Töchter.
Um das Jahr 1800 wurde die Schule, das einzige komplett im Baustil der Gotik erhalten gebliebene Klostergebäude, mit einem sich anschließenden Haus der Konventualinnen für alle stimmberechtigten Mitglieder des Konvents, ergänzt, das vermutlich mit mangelfreien Steinen aus der brüchigen Kirchenruine erbaut worden war. Im Laufe der Zeiten diente die Schule später als wohltätiges Armen- und Gästehaus des Stifts sowie letztendlich nach 1945 als schlichte Pförtnerwohnung.
Waschhaus und Scheune – zwei intakte Wirtschaftsgebäude des Nonnenklosters
Nachfolgend besichtigen wir ein anmutiges Fachwerkgebäude mit seinem überragenden Dach, bei dem es sich um das ehemalige Waschhaus des Stifts aus der Ära gegen des Ende des 19. Jahrhunderts gehandelt hat, in dem nun eine Mietwohnung untergebracht ist.
Das Waschhaus ist neben der fotogenen Scheune das einzig übrig gebliebene Wirtschaftsgebäude des Nonnenklosters.
Schließlich gelangen wir zu der in der ersten mittelalterlichen Bauphase entstandenen und außerhalb der Klostermauern gelegenen Scheune, die einen aus roten Backsteinen im gotischen Stil der Lindower Abtei erbauten sowie mit spitzbogigen Fenstern versehenen Südgiebel aufweist. Die aus Feldsteinen gemauerten Seitenwände besitzen in ihrer unteren Zone bis unter das Bodenniveau hinabreichende Bogenfenster, wohingegen im oberen Areal partiell Schlitzfenster von den mediävalen Baumeistern eingefügt worden sind.
Fontane berichtete: stiller Klosterfriedhof und Klosterpark laden uns zum längeren Spaziergang ein
Nördlich der ehemaligen Klausurgebäude erstreckt sich der mit prächtigen Bäumen gesäumte Klosterfriedhof, über den wir länger promenieren. Über ihn berichtet uns der gut informierte märkische Historiograph hugenottischer Provenienz, Theodor Fontane, sowohl in seinem informativen Buch: ‚Die Grafschaft Ruppin’1 als auch in einer kürzeren Passage in seinem historischem Roman: ‚Vor dem Sturm’2.
Der stille Klosterfriedhof diente primär als Begräbnisplatz – oder war er ein Begräbnisplatz, der sich schon wieder in eine liebliche Parkwiese verwandelt hatte? Grabsteine, Blumenbeete, leuchtende Flieder- und Rosenbüsche sind vorhanden, überdies muntere Lindower Sprösslinge, die dazwischen spielen. Fontane ging davon aus, dass Leben und Tod enge Geschwister sind, die sich nicht ängstlich meiden sollten. Spiel- und Begräbnisplätze sind nah nebeneinander angelegt, auf denen auch dieselben Blumen, Pflanzen und Gehölze blühen.
Allerdings hat der Tod, „(…), so gemütlich er mit dem Leben zu leben weiß’3, innerhalb seines ureigenen Gebiets auf dem Lindower Friedhof nicht völlig auf trennende Standesunterschiede verzichtet. Sichtbare Akzente legen beredetes Zeugnis davon ab, dass wir heutigen Spaziergänger auf dem geweihten Grund und Boden eines adligen Frauenstifts wandeln. Die strenge Separation, die Rangordnung und die soziale Schranke zwischen Laienschwestern, Stiftsdamen und übrigen Bourgeois manifestierte sich sogar bis in den Tod hinein bei der ausgewogenen Konzeption dieses Begräbnisplatzes.
Beim unserem Rundgang begegnen uns an drei verschiedenen Punkten des Parks antiquierte Stein-, Grab-, und Gusseisenkreuze, von denen einige mit tatkräftiger Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz restauriert werden konnten. Beamte samt Dienstpersonal ruhen an einem, Gäste des Klosters an einem anderen Platz des Friedhofs, wobei den Ordensschwestern eine dritte, exponierte Stelle vorbehalten war. Die Stiftsdamen liegen zu beiden Seiten einer mit uralten Bäumen besäumten Allee in doppelten Reihen in hochgemauerten Sandsteingräbern des 18. und 19. Jahrhunderts.
Darunter befindet sich die Urne für die aus einem märkischen Uradelsgeschlecht stammende Henriette Elisabeth Maria von Winterfeldt. Zur Zeit von Fontanes Aufenthalt ‚sprach’ die Inschrift, das Epitaph der letzten verstorbenen Stiftsoberen, der Domina, in deutlichen Buchstaben zum detailbegeisterten Chronisten. Stattlicher hingegen sieht ein älterer Stein aus, unter dem – wenn Fontane es richtig erkannte, wie er selbstkritisch einräumte – „eine von Pannewitz ihren letzten Schummer schlief“4.
Von dieser Stelle aus überblicken Wanderer die gesamte Klosteranlage, wobei sich zu ihrer linken Seite hin der von hohen Linden eingefasste Wutzsee ausdehnt. Zwischen dem klaren Gewässer und dem aufgeschlossenen Besucher wächst ein buntes Durcheinander von duftenden Blumen- und Gemüsegärten. Im Zentrum des Areals befand sich das villenförmige Quartier der Stiftsleiterin, der Domina. Daran angrenzend lag ein teilweise in bemooste Trümmer verfallener Langbau, der wahrscheinlich einst das Refektorium, der Speisesaal der Abtei gewesen sein mag. In der Mitte des 19. Jahrhunderts, in Fontanes Tagen, dürften intakte Winkel des Gebäudes als nützlicher Wirtschaftshof und Vorratskeller für die zwei, drei auf dem ruinösen Klosterareal noch residierenden Stiftsdamen fungiert haben. In deren Statuten war nun längst festgelegt worden, dass Ordensschwestern keine Kleidung aus feiner Seide mehr tragen durften, damit ihr Hang zur Eitelkeit nicht gefördert würde. Statt dessen war eine einheitliche schwarze Tracht bindende Vorschrift geworden.
Bedauerlicherweise hätte diese weitgehend verlassene Ruinenlandschaft ihren magischen Zauber längst abgestreift, wenn nicht noch die hohen, erhalten gebliebenen und mit Nischen sowie gotischen Spitzbogenfenstern versehenen Giebelwände existieren würden, auf denen hie und da ein weit sichtbares Storchennest thront, dessen poetischer Anblick wohl jeden die Natur liebenden Menschen erfreut.
In unserer Zeit ist an dieser bezaubernden klösterlichen und kulturhistorisch bemerkenswerten Stätte ein evangelisches Seniorenzentrum einquartiert.
Link
www.kloster-lindow.de
Literatur
Bergstedt, Clemens: Kirchliche Siedlung des 13. Jahrhunderts im brandenburgisch-mecklenburgischen Grenzgebiet, in: Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser, Berlin 2002, Bd. 15, S. 123f. Zum Kloster Lindow
Feuerstake, H. Jürgen & Oliver H. Schmidt (Hgg.): Zisterzienserklöster in Brandenburg – ein kulturhistorisch-touristischer Führer, Berlin 1998, S. 99-104. Kloster Lindow
1Vgl. Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 1, Die Grafschaft Ruppin. Hg. von Christfried Coler, Berlin 1960. S. 283
2Vgl. Fontane, Th.: Vor dem Sturm – Roman aus dem Winter 1812 auf 13, in: Werke in Einzelausgaben, a.a.O. S. 895f.
3+4Zit. derselb.: Wanderungen, Grafschaft Ruppin, a.a.O. S. 285 & S. 286