Nach dem überwältigenden Besuch des Alten Renaissance-Schlosses mit einem ausgedehnten Spaziergang in dessen romantischen Schlosspark und einem Fotostopp vor dem Hauptgebäude des heute als eine Schule dienenden Neuen Schlosses in Freyenstein promenieren wir zum unweit gelegenen Archäologischen Park, der auf dem unbebauten Areal der ersten historisch nachweisbaren Altstadt errichtet worden ist.
In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts war in Folge des mittelalterlichen Landesausbaus der Mark Brandenburg auf einem sanften Höhenrücken, unweit der permanent umkämpften Grenze zum benachbarten mecklenburgischen Fürstentum Werle1, wohl auf Initiative des in Wittstock residierenden Bischofs Heinrich II. von Havelberg, die erste Stadt Freyenstein erbaut worden. Es wird vermutet, dass der im Jahre 1263 erstmals in einer uns überlieferten Urkunde als ‚Vrigenstene’ bezeichnete Ort zu jenem Zeitpunkt bereits einige Dekaden zuvor existiert hatte. Das durch die kriegerischen Auseinandersetzungen immer wieder hart bedrängte Freyenstein konnte sich zunächst noch einige Jahre lang behaupten, bevor die gefährdete Siedlung endgültig von den mecklenburgischen Herrn zu Werle zerstört worden war. Im Langzeitgedächtnis ihrer Einwohner war das ritterliche Gedenken an ihre kleine Stadt jedoch niemals vollständig verblasst. Es hatte sich lediglich auf den Flurnamen Altstadt übertragen. Folglich weist der Flurname Altstadt auf die ursprüngliche Existenz des alten Freyenstein hin, weil die Namen einer Gemarkung häufig über Jahrhunderte unverändert bleiben, was schon lange Zeit bekannt ist.
Die in der Altstadt von ihren Bewohnern verlassenen Ruinen werden im heutigen Sprachgebrauch als eine ‚wüst’ gefallene Siedlung oder auch Stadtwüstung genannt. Obwohl in Deutschland nur wenige vergleichbare unüberbaute Siedlungen des 13.-14. Jahrhunderts erhalten geblieben sind, ermöglichen sie uns außergewöhnliche Einblicke, wie eine hochmittelalterliche Stadt ursprünglich ausgesehen hatte. Wenngleich zu ebener Erde heute nur noch wenig von der ersten Altstadt Freyensteins zu sehen ist, bieten indessen ihre noch im Boden liegenden Fragmente umfangreiche Forschungsmöglichkeiten, weil mittelalterliche Städte in der Regel im Verlauf der Zeiten immer wieder modern überbaut, aber nur selten an einen benachbarten Platz verlegt worden waren.
Vier Brandenburger Markgrafen gründeten ihr neues Freyenstein
Im Jahre 1287 hatten sich die gemeinsam regierenden Markgrafen von Brandenburg, das Brüderpaar Otto IV. ‚mit dem Pfeil’2 und Konrad I., sowie deren Cousins, Otto V. und Albrecht III., aus dem Geschlecht der Askanier dazu entschlossen, ihre erste Stadt Freyenstein nicht wieder an ihrer ursprünglichen Stelle aufzubauen, sondern sie auf die andere Seite des Flusses Dosse auf die grüne Wiese in die angrenzende Ebene zu verlegen. Die neue von den Markgrafen angeregte Gründung Freyensteins weist einen rasterförmigen Grundriss auf, der für die planmäßig angelegten Städte deutscher Siedler in jener Zeit typisch war.
Obwohl die neu bebaute Stadtfläche nur noch halb so groß wie die alte war, konnte sie durch einen wasserführenden Stadtgraben von ihren Bewohnern besser gegen mecklenburgische Angreifer verteidigt werden. Es soll erwähnt sein, dass die Brandenburger Landesherren ihrer neuen Siedlung dieselben Rechte verliehen haben, die das erste Freyenstein zuvor besessen hatte.
Der Archäologische Park Freyenstein
Der Archäologische Park ist nicht nur ein Zeitdokument ersten Ranges der mittelalterlichen Siedlungsgeschichte Freyensteins, die durch die kriegerischen Ereignisse des Jahres 1287 und mit der Verlegung der Stadt an einen anderen Ort abrupt abbrach, sondern er macht auch jene ereignisreiche Geschichtsepoche für die breite Öffentlichkeit besser nachvollziehbar. Es könnte der Vergleich gewagt werden, dass die plötzliche Aufgabe der mittelalterlichen Stadt und die damit einhergehende Konservierung ihrer Relikte unter der Erdoberfläche in ähnlicher Weise vonstatten ging, wie die heiße Lava und das tödliche Bimsgestein beim plötzlichen Vulkanausbruch des Jahres 79 n.Chr. das Leben im antiken Pompeji mit einem Schlage angehalten und deren Rudimente unter einer gewaltigen Schlammlawine für die Nachwelt bewahrt hatten. Gleichermaßen werden in Freyenstein, wie in einer fotografischen Momentaufnahme aus dem 13. Jahrhundert, das einstige Bebauungsmuster des Ortes und die damit verbundenen planerischen Überlegungen ihrer ersten Einwohner für uns konkret sichtbar. Somit können im Archäologischen Park eine mittelalterliche Stadtplanung und eine Stadtentstehung in der Praxis thematisiert werden. Daraus folgt, dass es eine kluge Entscheidung gewesen war, aufgrund der guten Erhaltungsbedingungen und des hohen wissenschaftlichen Potenzials eine archäologische Parkanlage in der wüst gewordenen Altstadt von Freyenstein anzulegen.
Drei Bauphasen, die zum Ausbau des archäologischen Parks führten – 1. Phase 2007
Es soll vorangestellt sein, dass der kontinuierliche Ausbau des Freiluftareals nicht nur schrittweise erfolgte, sondern darüber hinaus weitere andauernde Untersuchungen durchgeführt werden. Unter einem immensen, auch überregionalen Medien- und Zuschauerinteresse war der Archäologische Park im Jahre 2007 feierlich dem interessierten Publikum und den Einwohnern von Freyenstein übergeben worden. Umfangreiche Grabungskampagnen und die Anwendung von modernen Messmethoden hatten eine profunde Rekonstruktion des mittelalterlichen Stadtbildes ermöglicht. Unter zu Hilfenahme modernster geomagnetischer Verfahren gelang es den versierten Archäologen, eine große Zahl von Kellern zu eruieren. Aufgrund der in regelmäßigen Reihen angeordneten Kellern war es den kompetenten Forschern gleichzeitig möglich, nicht nur die Ausrichtung ganzer Häuserzeilen festzustellen, sondern auch die Verläufe der mittelalterlichen Straßen nachzuvollziehen. Dabei stellte es sich heraus, dass die Straßen offensichtlich nach einem vorher angelegten Bauplan in einem rechtwinkligen Raster gruppiert lagen. Außerdem waren einige andere, die wir schon fast als größere Magistralen bezeichnen könnten, mit sorgfältigen Feldsteinpflasterungen befestigt worden.
In diesem Zusammenhang darf positiv hervor gehoben werden, dass für die bessere Orientierung der Besucher sowohl das Straßenraster als auch die Grundrisse zahlreicher Keller heute mit grüngestalterischen Methoden gekennzeichnet und somit gut wahrnehmbar gemacht worden sind. Zudem wurde über einem signifikanten, mit originalen mittelalterlichen Artefakten versehenen Steinkeller, ein kleiner Schutzbau gegen schlechte Witterungen errichtet.
Überdies konnte in unmittelbarer Nähe der einstigen Mühle ein großer rechteckiger Marktplatz aus dem 13. Jahrhundert ausgegraben werden, der auf allen seinen vier Seiten mit dichter Bebauung umgeben war. Er dürfte der merkantile Mittelpunkt des alten Freyensteins gewesen sein, auf dem Kaufleute und Händler ihre diversen Artikel und Waren sowie Handwerker ihre einzelnen Dienstleistungen angeboten hatten. Das in mittelalterlichen Zünften organisierte ortsansässige Handwerk ist anhand seiner Produkte und Werkzeuge teilweise nachweisbar, die vor allem in Eisen- und Bronzeverarbeitung hergestellt worden sind. Es gelang den sachkundigen Altertumswissenschaftlern, die verschiedenen Grundstücke und Parzellen aufgrund ihrer Abstände zwischen den einzelnen Häusern zu rekonstruieren. Im Verlauf ihrer Arbeiten stellte es sich heraus, dass hinter der straßenseitigen Bebauung unterschiedlich große Höfe mit Öfen und Kochstellen sowie Abfall- und Sickergruben existierten. An Hand von unzähligen Knochenfunden sowohl von Enten, Gänsen und Hühnern als auch von Rindern, Schafen, Schweinen und Ziegen wird gemutmaßt, dass sich die Einwohner von Freyenstein ein wenig Nutzvieh für den eigenen Verzehr gehalten hatten. Für die einstige strategische Bedeutung des in Sichtweite zur umstrittenen brandenburg-mecklenburgischen Landesgrenze gelegenen Freyenstein war die zufällige Entdeckung einer bis dato unbekannten Burg sehr wichtig, die im 13. Jahrhundert im Norden der Altstadt gelegen hatte. Während der darauf folgenden Jahrhunderte wurden ihre Mauern, Türme, Tore und Gebäude aber vollständig abgetragen.
2. Phase im weiteren Ausbau des Archäologischen Parks 2011
Im Verlauf der in der Mitte des Jahres 2011 in Angriff genommenen zweiten Bauphase des Archäologischen Parks führten routinierte Altertumsforscher einen erfolgreichen Schnitt durch den äußeren und inneren Burggraben der alten Veste Freyenstein durch. Außerdem machten die professionellen Archäologen einen größeren Teilabschnitt einer von ihnen zuvor freigelegten mittelalterlichen Pflasterstraße sichtbar. Zudem wurden sowohl ein interessanter Bauern- und ein Kräutergarten als auch ein Tiergehege en miniature im sogenannten Erlebnisbereich angelegt und liebevoll gestaltet, der heute ein anziehender Besuchermagnet für unsere kleineren, aber auch für die größeren Gäste geworden ist.
3. Phase im weiteren Ausbau des Archäologischen Parks 2013-2015
Nach dem erfolgreichen Abschluss der dritten Bauphase im Sommer des Jahres 2015 konnte der größer gewordene Park wiederum unter starkem Besucher- und Medieninteresse mit einem mittelalterlichen Stadtfest dem historisch interessierten Publikum zugänglich gemacht werden. Wissbegierige Touristen gelangen nun über eine schmale hölzerne Brücke in die Archäologische Parkanlage. Ein begehbares Stadttor und lohnende Blicke in mehrere ausgegrabene Feldsteinkeller mit wertvollen Artefakten und Fundstücken gehören jetzt zu den neuesten Attraktionen des Parks. Einen weiteren Höhepunkt bilden die unterschiedlichen visuellen Effekte, wie die gelungene und bunte Inszenierung des mittelalterlichen Markttreibens als ein aufregendes Spektakel auf dem Areal des früheren Marktplatzes der Freyensteiner Altstadt. Unter zu Hilfenahme einer modernen Audioguide-Führung können kulturhistorisch begeisterte Besucher hautnah das altväterliche und traditionelle Leben in der Altstadt nachempfinden. Allerdings wurden die gotische Kirche und der sie umgebene Friedhof in der mittelalterlichen Stadt an der Dosse bislang noch nicht entdeckt. Es wird gewiss noch weiter nach ihnen zu suchen sein. Unter einem übergeordneten Aspekt soll der besuchenswerte Archäologische Park zugleich eine begehbare Brücke zwischen den einzelnen touristischen Zielen in der waldreichen Prignitz und der Mecklenburgischen Seenplatte, dem Land der über 1000 natürlichen Seen, schlagen.
Nützliche Auskünfte erteilt das Informationsbüro im Neuen Schloss
In der Marktstraße 48 im Neuen Schloss in Freyenstein befinden sich sowohl das Büro des Parks als auch die hilfreiche Besucherinformation. In diesem Gebäude werden einerseits neue Grabungsfunde aus der Altstadt präsentiert, andererseits erhalten die Gäste nützliche Auskünfte und Hinweise zur Stadtgeschichte Freyensteins. Es ist wichtig zu betonen, dass lediglich das Neue Schloss der Anfangs- und der Endpunkt für sämtliche Führungen bildet. Im Informationsbüro können sowohl die dafür benötigten Eintrittskarten für die Besichtigung des Archäologischen Parks als auch für das Museum im Alten Renaissance-Schloss erworben werden. Selbstverständlich freuen sich die Veranstalter ebenfalls darüber, wenn im kleinen, aber feinen Museumsshop ausgiebig gestöbert und dabei etwas käuflich erworben wird.
Hinweis
Kostenfreie Parkmöglichkeiten sollten motorisierte Besucher auf dem Marktplatz von Freyenstein in unmittelbarer Nähe des Neuen Schlosses finden.
1Anm. Die Herrschaft Werle war nach der ersten mecklenburgischen Landesteilung zwischen 1229 und 1235 entstanden. Sie existierte bis 1292.
2Anm. Markgraf Otto IV. ‚mit dem Pfeil’ von Brandenburg ist neben dem Stauferkaiser Heinrich VI.und den Minnesängern Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach in der mittelalterlichen Liederhandschrift, dem Codex Manesse, vertreten. Otto IV. soll seinen Beinamen erhalten haben, nachdem er von einem Pfeil getroffen worden war, den er angeblich ein Jahr lang im Kopf mit sich herumtrug.
Öffnungszeiten
Mai – Oktober
Mittwoch – Sonntag
10 – 16 Uhr
Kontakt
Archäologischer Park Freyenstein
Marktstraße 48
16909 Wittstock OT Freyenstein
E-Mail park.freyenstein@wittstock.de
Tel.: 033967/60057
Link
Literatur
Vgl. Karg-Gasterstädt, Elisabeth: Die Minnesänger in Bildern der Manessischen Handschrift, in: Insel-Bücherei, Nr. 450. Leipzig 1962. Abbildung des Markgrafen von Brandenburg und Minnesängers Otto IV. ‚mit dem Pfeil’