Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Ich arbeite in einem Beruf, der nachhaltig ist, im Theater. Theater, wenn es so gut ist, wie es sein sollte, hinterlässt bleibende, nachhaltige Eindrücke. Literatur ebenso, Kunst im Allgemeinen. Was bedeutet Nachhaltigkeit also für mich?
Ich bin in einer Mangelgesellschaft aufgewachsen, in der DDR. Es gab zwar alles Lebensnotwendige und vieles mehr und hungern musste keiner, aber der Unterschied zur Bundesrepublik, die eine Überflussgesellschaft war, war gewaltig. Nachhaltigkeit in dem Sinn, dass man sparsam und überlegt mit Ressourcen umging, kenne ich also von früher.
Als Teenager freuten wir uns über bunte westliche Plastiktüten mit grafisch-interessantem Werbeaufdruck. Zeitweise war es verboten, diese mit in die Schule zu bringen, denn die Direktorin sagte: „Wir machen hier keine Werbung für den Kapitalismus“. Was ich sogar irgendwie einsah. Der Kapitalismus war in Gestalt von Karstadt, Kaufhof, Tesa-Film, Jeans-Läden und vielem anderen auf den Plastiktüten präsent. Ein Kompromiss, der ausgehandelt wurde, war, die Plastiktüten umgedreht zu verwenden, also auf links gedreht. Das war besonders lächerlich. Aber nachhaltig. So war der Aufdruck nur schwach sichtbar und die Tüten durften als Turnbeutel oder Ähnliches mit in die Schule. Heute sind Karstadt und Kaufhof leider insolvent, wahrscheinlich weil wir damals nicht genug Werbung gemacht haben. Das ist ein Witz. Und Plastiktüten sind sehr schlecht angesehen und zum Verkauf verboten. Zu Recht. Denn sie zerfallen nur sehr langsam und verschmutzten auf unsägliche, damals für mich nicht vorhersehbare Art und Weise die Umwelt und die Meere. Jute statt Plastik war ein Motto, das später folgte.
Plastiktüten, mein erstes T-Shirt und nachhaltige Mode
Ich habe, ich gebe es jetzt offen zu, seit dem Ende der 70er Jahre schöne Plastiktüten gesammelt und aufbewahrt. Ich glaubte, das sei nachhaltig, denn man könne sie bestimmt noch gebrauchen und benutzen. Sie haben diverse Umzüge überstanden und ich könnte jetzt mit ihnen eine Ausstellung kuratieren. Mit einigen anderen Dingen auch. Zum Beispiel mit T-Shirts, auch sie waren in der DDR der frühen siebziger Jahre Mangelware und heiß umkämpft. Zum Beispiel von mir und meiner kleinen Schwester. Meine kleine Schwester bekam einst ein top-geschnittenes, schickes, türkises T-Shirt – das Wort allein war sehr modern und vielversprechend, wir nannten solche Oberteile zuvor Nickie – aus dem Westen geschenkt. Sie zog es nicht oft an, wahrscheinlich, um es zu schonen. Ich schnappte es mir eines Nachmittags froh und glücklich und zog es an. Stolz lief ich damit draußen herum. Ich fühlte mich sehr modern und erwachsen. Ich war dreizehn. Es gab wilde Kämpfe: „Du weitest es mir aus!“ Es lag dann irgendwann irgendwo unter Verschluss im Schrank meiner Mutter.
Heute ist in meinem Kleiderschrank das Fach mit den T-Shirts übervoll. Nach dem Motto, es könnte mir ja nochmal passen, besitze ich einfach zu viele der leichten bunten Baumwollteile. Wenn mir Kleidung nicht mehr passt, gebe ich sie meist an Freundinnen weiter. T-Shirts allerdings seltener. Ich werfe so gut wie keine Kleidung weg. Soviel zum Thema Nachhaltigkeit. Sicher kommt das aus meiner Jugend in der DDR. Ich weiß den Wert der Dinge zu schätzen. Ich bekomme auch oft Kleidung geschenkt und weitergegeben. Bringe sie zur Reparatur, zum Ändern und putze im Übrigen auch Schuhe. Mein Schuster sagt, das machen heute die wenigsten. Aber das Passende fehlt mitunter trotzdem. Daher muss dann doch was Neues her.
Aufbewahrung für den Fall, dass bedeutet Nachhaltigkeit
Bei meiner Mutter war der Sammeltrieb nach dem Motto „wer weiß, wann man es nochmal brauchen kann“ noch stärker ausgeprägt. Sie ist im Krieg und in der Nachkriegszeit aufgewachsen. Einer schweren Hungerzeit. Damals war es zudem normal und man war froh darüber, wenn einer jungen Frau ein Kleid aus dem Kleid einer Tante genäht werden konnte. Im Alter fanden sich im Haus meiner Mutter überall Plastiktüten, leere Pralinenschachteln, alte Kleider aller Generationen, Mäntel, Einwickelpapiere, Geschenkbänder und ausgewaschene Milchtüten. Diese verwendete sie, um Dinge darin aufzubewahren. Lebensmittel und Essen, was sie am Tag nicht geschafft hatte, kam darin in den Kühlschrank für morgen. Verschimmelt ist selten etwas, nicht öfter als bei anderen. Und wenn ich es mir überlege, ist es nachhaltiger, vorhandene Verpackungen weiter zu verwenden als immer neue Tupper-Plastikschüsseln zu kaufen. Es ging dann bei ihr so weit, dass sie irgendwann ihre Spülmaschine nicht mehr benutzte, sondern sie zum Trocknen der ausgewaschenen Halbliter-Milchtüten verwendete, die sie aufschnitt, damit man sie besser benutzen kann. Sehr praktisch! Mich bat sie allerdings manchmal, den Abwasch zu machen. Ich weigerte mich, weil, sie hatte ja eine Spülmaschine. Meine liebe Mutter! Ich wollte sie erziehen. Das funktioniert aber nicht, auch nicht, wenn man über fünfzig ist und die Mutter über achtzig.
Wieso ich jetzt davon anfange?
Ich denke, Nachhaltigkeit ist nicht unbedingt etwas Neues. Ich habe ein Enkelkind, mit dem ich die Welt neu entdecke. Kinder können mit allem, besonders dem, was unsere Wohlstandsgesellschaft übrig lässt, etwas anfangen. Zum Beispiel mit den Papprollen aus dem Inneren von Küchenpapierrollen und Klopapierrollen. Man kann sie als Fernrohr benutzen und wenn man hindurchschaut, bieten sich interessante Perspektiven. Ebenso lassen sich aus den Pappkisten von Kosmetiktüchern wunderbare Türme bauen. Ein Lieblingsspielzeug meines Kleinkindes. Bloß, wohin mit all den Papprollen und Pappschachteln? Der Platz selbst in einer Sieben-Zimmer-Wohnung ist begrenzt. Man kann nicht alles aufheben, auch wenn es nachhaltig ist.
In meinem Keller befinden sich ca. fünfzig Pappkartons. Schuhkartons, erhaltene Pakete und Päckchen und so weiter. Es ist übertrieben. Vielleicht kann ich zehn Schachteln aufheben, falls ich mal ab und an ein Paket verschicke oder um etwas zu sortieren. Der Rest muss weg. Ich muss meinen Keller aufräumen. Eine eigene Ordnung herstellen. Die Pappkartons sind nur ein Beispiel. Es geht auch um alte Jahrgänge von Zeitschriften, Hosen, Kinderkleidung, die ich sowieso mehrfach verwende, über Generationen. Schöne leere Flaschen kann man als Blumenvasen benutzen. Ich weiß nicht, warum sie mich so faszinieren, aber sie tun es. Kleine Campari-Fläschchen zum Beispiel, aber auch da ist mein Raum zur Aufbewahrung begrenzt. Heute mag man klare, leere Wohnungen. Ich eigentlich auch.
Warum rühren uns die Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs gerade dann, wenn sie nicht mehr gebraucht werden? Ihr Gebrauchswert verwandelt sich in Gefühlswert und der steigt mit jedem Jahr, das vergeht. Es ist ein Stück Leben, das ihnen anhaftet, es ist die Aura von Unwiederbringlichkeit ( Jutta Voigt ). Jemand, den es nicht mehr gibt, hat diese Dinge benutzt, hat mir die Pakete geschickt, hat mit dieser Tischdecke den sommerlichen Familientisch gedeckt.
Ich benutze selten Tischdecken. Ich bevorzuge schönes pures Holz auf dem Tisch. Und wohin soll das führen? Mit der Tischwäsche und dem Porzellan, das ich besitze, könnte ich ein Hotel ausstatten oder ein Museum. Ich habe aber kein Hotel oder ein Museum, sondern ich arbeite im Theater und bin derzeit Journalistin. Und da braucht man ab und an etwas Neues. Man kann natürlich überzählige Möbel, Kleider und Tischwäsche an den Fundus der Theater weitergeben. Das habe ich auch schon gemacht. Das ist nachhaltig.
Wie geht es Ihnen damit? Schreiben Sie mir.