Nach unserem Besuch des auf dem Weinberg über Rathenow gelegenen Bismarckturms fahren wir mit dem Reisebus eine weitere Sehenswürdigkeit im havelländischen Landstädtchen an.
Weil der Bau der katholischen Pfarrkirche Sankt Georg nicht fertiggestellt werden konnte, erinnert sie uns an Franz Schuberts h-Moll Symphonie, die als dreisätziges Fragment die Unvollendete genannt wird.
Am 23. April 1892, dem Fest des Heiligen Georg, dem Patron des Bistums Limburg und des Bamberger Kaiserdoms, legten die Rathenower nicht nur den feierlichen Grundstein für ihr neues katholisches Gotteshaus, sondern sie begannen auch noch im gleichen Jahr mit der Errichtung des dazugehörigen Pfarrhauses.
Ihr ursprünglicher Plan sah einerseits vor, eine neogotische und andererseits eine in einer Kreuzform konstruierte Kirche zu erbauen. Da die pekuniären Mittel nicht ausreichend vorhanden waren, existiert bis heute nur ein imposanter Torso des eigentlich vorgesehenen Kirchenbaus. Folglich konnte aus den angesprochenen finanziellen Gründen nur das Hauptschiff der Sankt Georg-Kirche fertig gestellt werden. Bedauerlicherweise weist das unvollendet gebliebene Gotteshaus bis dato weder eine halbrunde Apsis, Seitenschiffe, ein Querschiff, einen Vierungsturm noch einen Glockenturm auf. Dennoch erfolgte die zeremonielle Kirchenweihe am 03. September im Jahr 1893.
Drei sonore Glocken werden geweiht
Trotz alledem entschloss sich die Rathenower Sankt Georg-Gemeinde in den 1930er Jahren drei Glocken für ihre Kirche anzuschaffen und zu weihen. Sie wurden dem bedeutenden Kirchenvater und Bischof, dem Heiligen Augustinus, der Schutzpatronin der Jungfrauen, der Heiligen Agnes von Rom, sowie dem mittelalterlichen Gedicht: Stabat mater dolorosa – Es stand die Mutter [Maria] schmerzerfüllt, gewidmet. Am Beginn des vierten Kriegsjahres 1942 wurden die beiden größeren Glocken leider für die mörderische Rüstungsindustrie eingeschmolzen, so dass bis heute nur noch die kleinste Glocke, die Stabat Mater, zum Gottesdienst läutet. Glücklicherweise ist die Sankt Georg-Kirche im Verlauf des II. Weltkriegs nicht von alliierten Brandbomben getroffen worden. Lediglich ein geringer Schaden entstand gegen Kriegsende an ihrem Dach.
Der erste Umbau der Sankt Georg Kirche gegen Ende des 20. Jahrhunderts
In den späten 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erfolgte der erste tiefgreifende Umbau der Kirche und ihres Altarraums, des Sanktuariums. In dessen Folge wurde der alte neogotische Hochaltar abgerissen und durch einen neuen einfachen Altar mit Blick auf die Gemeinde ersetzt. Von den auf dem neogotischen Hochaltar angebrachten Heiligen-Statuen existiert heute nur noch die Statue des inzwischen hinter dem Eingangsportal stehenden Heiligen Georg. In die hinter dem ersten Hochaltar befindliche Abschlusswand der Kirche wurde ein rundes buntes Fenster eingelassen.
Im Zuge der ersten Umbauarbeiten wurden außerdem die Kanzel, Ambo, der Hostienschrein, Tabernakel, die Sitzbänke und der Fußboden renoviert. Mit der glanzvollen Altarweihe durch den damaligen Bischof von Berlin, Joachim Kardinal Meisner, wurde der erste Umbau der Sankt Georg-Kirche in Rathenow im Jahr 1986 würdevoll abgeschlossen.
Die zweite Umgestaltung des Altarraums am Beginn des 21. Jahrhunderts
Auf der Westseite der Sankt Georg-Kirche befinden sich die Empore und die Orgel. Vor Kurzem wurden auch die original erhaltenen Seitenfenster und die große Westrosette restauriert. Hingegen erinnert im Inneren des Gotteshauses heute nicht mehr sehr viel an die alte Einrichtung. Zuvor war die nicht mehr zeitgemäße Ausstattung des noch aus den späten 70er Jahren des 20. Jahrhunderts stammenden Altarraums komplett ausgetauscht worden.
Der langwierige Prozess der zweiten Umgestaltung des Sanktuariums begann im Frühjahr des Jahres 2014. Dabei sah sich die Gemeindeleitung um den Pfarrer Scholtz vor die schwierige Herausforderung gestellt, die unvollendete Architektur der fehlenden halbrunden Apsis mittels künstlerischer Elemente folgendermaßen zu arrangieren, dass die Kirchenrückwand im Zusammenspiel mit dem davor befindlichen Altar zu einem harmonischen Ganzen verknüpft wurde. Die weitere Aufgabe bestand darin, dem gesamten Kirchenraum einen sakralen Abschluss zu geben, der auf das liturgische Zentrum hinwirkt.
Ein Wettbewerb wird ausgelobt
Für die Neugestaltung lobte die katholische Kirchengemeinde einen eigenen Wettbewerb aus. Schließlich entschied sich die siebenköpfige Jury um den Pfarrer Scholtz für den Entwurf des im oberbayerischen Grafing bei München lebenden und arbeitenden Bildhauers Robert M. Weber. Nachdem jener die Wahl freudig angenommen hatte, reiste der damals 56-jährige Künstler in das havelländische Rathenow, um sein Konzept in der Praxis zu verwirklichen. Als zentrales Element fungierte dabei ein 720 mal 240 Zentimeter großes Bild, das ein auf hellgrüner und gelber Grundlage gestaltetes dunkelgrünes Kreuzzeichen abbildet. Um es transportieren zu können, musste es zuvor in sechs Einzelteile zerlegt und anschließend am Ort wieder zusammengesetzt werden. Die Skizzen für das Bild waren vorab vom Grafinger Meister über mehrere Wochen am Stück angefertigt worden.
Das grüne Kreuzbild schließt die Altarrückwand mit ihrem Rundfenster ab
Mit dem mittig hinter dem Altar hängenden Kreuzbild konnte der Künstler die größte Herausforderung lösen, die in der Neugestaltung der Altarrückwand lag. Weil die im Jahre 1893 errichtete Kirche nicht in ihrer ursprünglich geplanten Form mit einer abschließenden halbrunden Apsis fertiggestellt werden konnte, hatten sich die damaligen Baumeister dazu entschlossen, sie direkt hinter dem Altar mit einer großflächigen, weiß gekalkten Wand zu vollenden. Im Verlauf des ersten tiefgreifenden Umbaus in den späten 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde an einer zentralen Stelle in der Rückwand das noch heute existierende Rundfenster eingesetzt.
Da es aber zu klein ist, passte es nicht zum Gesamteindruck der Kirche. Zusätzlich wurden die meisten Besucher des Gottesdienstes bei dem Lichteinfall geblendet. Wenngleich das durch das Fenster einfallende Licht weiterhin genutzt werden kann, wird es aufgrund des davor hängenden Kreuzbilds abgedunkelt. Darüber hinaus ergibt sich infolge der Lichteinstrahlung ein atmosphärischer Effekt an der Wand, weil die Rückseite des Bildes in einem warmen Gelbton gehalten ist. Diese entstehende Wirkung korrigiert den bisher fehlenden Eindruck der nicht vorhandenen Raumtiefe des Rathenower Gotteshauses.
Altar, Ambo und Tabernakel werden ebenfalls neu gestaltet
Zu den von dem Künstler Robert M. Weber zu lösenden Aufgaben gehörten ebenfalls eine neue Gestaltung der drei vornehmsten Prinzipalstücke Altar, Ambo und Tabernakel. Meister Weber entschied sich in diesem Fall für Gestaltungsmaterial aus Anröchter Grünsandstein vom nördlichen Rand des Sauerlands. Das Material folgte dem Farbkonzept der neu konzipierten Wandgestaltung, so dass eine verblüffende Homogenität der gesamten Raum-Komposition ermöglicht werden konnte. Es sieht alles gut aus, ich bin es zufrieden, lautete das abschließende Resümee des begeisterten Pfarrers Scholtz. Ich hätte kaum gedacht, dass es so gut rüber kommen würde.
Es ist möglich, nach der Besichtigung der Sankt Georg-Kirche gleich um die Ecke einen anschließenden Kaffee im Purpur Café zu trinken.
Hinweis
Katholische Pfarrgemeinde Sankt Georg Rathenow · Friesacker Straße 3 · 14712 Rathenow
Besichtigung vor und nach den Gottesdiensten, Telefon: 0 33 85-50 34 05
Purpur Café & Bar · Forststraße 60 · 14712 Rathenow
Öffnungszeiten: Mo-Fr von 8-22 Uhr, Sa von 10-22 Uhr und So von 10-18 Uhr
Lesenswert
Kinder, Sebastian & Haik Thomas Porada (Hrsg.): Das Havelland um Rathenow und Premnitz, in: Landschaften in Deutschland, Band 74. Köln, Weimar & Wien 2017