Wir besuchen die in der Brandenburger Altstadt gelegene Sankt Johanniskirche der Franziskaner.
Während wir das gotische Backsteingebäude und deren moderne Glasarchitektur bewundern, berichtet unser Buskompass-Autor von dem Begründer des Ordens der Minderen Brüder, dem heiligen Franziskus von Assisi aus den Bergen der mittelitalienischen Provinz Umbrien.
Es gilt als gesichert, dass die ersten Franziskanermönche im Jahre 1221 in das damalige Heilige Römische Reich nördlich der Alpen gekommen waren. Vor Ort fanden sie günstige Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten vor. Für diese Tatsache sprechen circa 200 Konvente – darunter die in der Brandenburger Altstadt und in der damaligen Doppelstadt Cölln-Berlin befindlichen –, die im deutschsprachigen Raum für die Mitte des 13. Jahrhunderts nachgewiesen sind. Darüber hinaus ging die zügige Expansion des franziskanischen Ordens mit dem allmählichen Prozess der europäischen Urbanisierung einher. Folglich gehörten zum munizipalen Erscheinungsbild der prosperierenden mittelalterlichen Städte sehr bald auch die an den jeweiligen Stadtmauern gelegenen Klöster der Franziskaner und der Dominikaner dazu. In diesem Zusammenhang kam der pastorale Dienst der beiden Bettelorden den seelsorgerischen Bedürfnissen der städtischen Bevölkerungen entgegen. Auf der anderen Seite konnten die zur Besitzlosigkeit verpflichteten Ordensbrüder nur mit der Hilfe und von der Arbeit der Stadtbewohner existieren. Somit können wir mit Sicherheit sagen, dass diese wechselseitige Kooperation zwischen den Städten und ihren Klöstern die erfolgversprechenden ersten Jahrzehnte des Franziskanerordens in Deutschland prägte. Andererseits bestimmte sie natürlich auch die kontemplative Lebensform und die karitative Mission der Bettelmönche. Neben ihrem aktiven Handeln als gottesfürchtige Prediger wirkten die Franziskaner auf dem Gebiet der abendländisch-christlichen Bildung. Dementsprechend unterrichteten beispielsweise in den Jahren vor der englischen Reformation zahlreiche gelehrte Franziskaner an englischen Universitäten. Es verwundert uns demnach nicht, dass aus dem aufstrebenden Orden der Minderen Brüder im Laufe der Jahrhunderte vier römische Päpste und mit Alexander V. ein im norditalienischen Pisa residierender Gegenpapst hervorgegangen sind.
Wer war der heilige Francesco d’Assisi und wer ist der Orden der Minderen Brüder?
Der Orden der Minderen Brüder entwickelte sich aus der durch den heiligen Franz von Assisi, *1181/82, ins Leben gerufenen frommen Gemeinschaft in den Jahren zwischen 1210 und 1220. Im Zentrum der franziskanischen Lebensführung stehen sowohl das Gelübde der Armut als auch eine schlichte naturverbundene Lebensweise. Natürlich praktizierte der heilige Franziskus selbst Bedürfnislosigkeit und widmete seine gesamte Existenz dem meditativen Gebet und der seelsorgerischen Predigt. Nachdem sich Franziskus elf Weggefährten angeschlossen hatten, führte er jene aus seiner von den alten Römern kolonisierten Heimatstadt, dem in den umbrischen Bergen des mittelitalienischen Apennins gelegenen Assisi, in die Ewige Stadt Rom, um dort den Segen des Heiligen Vaters zu erbitten.
Papst Innozenz III. gab der seeligen Bruderschaft schließlich seinen Gottessegen mit den mahnenden Worten, dass sie Mönche werden und sich einen Prinzipal wählen sollen. Nachdem Franziskus zum Oberhaupt auserkoren worden war, kehrte die rechtgläubige Gemeinschaft in das in der bergigen Provinz Umbrien befindliche Assisi zurück. In der im 12./13. Jahrhundert als freie Kommune existierenden Stadt wurden den um Franziskus organisierten Minderen Brüdern der Gebrauch der rund drei Kilometer entfernt gelegenen Kapelle Unsere Liebe Frau von den Engeln gestattet. Von jener volkstümlichen Kultstätte aus zogen die ersten Bettelmönche der rapide anwachsenden Gemeinde in sämtliche vier Himmelsrichtungen, um ihre Frohe Botschaft zu verbreiten. In dessen Folge gelangten die heilsgewissen Franziskaner auch in die jenseits der Alpen gelegenen Territorien bis nach Brandenburg an der Havel und in die an der Spree beheimatete Doppelstadt Cölln-Berlin.
Der Tod des heiligen Franziskus 1226 und die Basilika Santa Maria degli Angeli in Assisi
Nach dem im Jahre 1226 erfolgtem Tod des heiligen Franziskus in Assisi wurden über dessen Grab in der sogenannten Sterbekapelle die prunkvolle Basilika Santa Maria degli Angeli im 16. Jahrhundert herum gebaut. Einige seiner strengsten Anhänger störten sich hingegen an der barocken Prachtentfaltung des Gotteshauses, weil sie wahrlich nicht der gebotenen Genügsamkeit der Minderen Brüder entspricht. Daraus erfolgte die Spaltung des neu gegründeten Ordens in die Konventualen oder Minoriten, denen gemeinschaftlicher Besitz erlaubt ist, und in die Observanten, auch Franziskaner genannt, die sich dem ursprünglichen Armutsideal des Heiligen aus Assisi verpflichtet fühlen. Sie bilden bis heute die größere Gruppe. Von letzterer Gemeinschaft separierten sich die Kapuziner, die sich als ein autarker Orden organisieren.
Pfarrer Helias aus Ziesar wird 1237 in der Brandenburger Sankt Johanniskirche bestattet
Die ersten Franziskanermönche hatten sich am äußersten Rand der Brandenburger Altstadt im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts niedergelassen. In dem schicksalhaften Jahr 1237 haben die Bettelmönche den Leichnam des kurz zuvor verstorbenen Geistlichen Helias, der ein bedeutender Förderer des Ziesarer Franziskanerklosters gewesen war, nach Brandenburg an der Havel überführt. Anschließend wurde der ehrenwerte Helias in eine traditionelle graubraune Franziskanerkutte gekleidet und vor dem Altar des heiligen Johannes des Täufers in dem dortigen, vermutlich als langgestreckter, flachgedeckter sowie aus roten Backsteinen errichteten frühgotischen Saalbau bestattet.
Die Architektur der Altstädter Franziskanerkirche Sankt Johannis des 13./14. Jahrhunderts
Zunächst glaubten die mittelalterlichen Baumeister, dass sie den Platz direkt am Fluss und unweit des relevanten Havelübergangs am südlichen Ende der Brandenburger Altstadt ideal für den Bau des Franziskanerklosters und dessen Sankt Johanniskirche ausgewählt hätten. Allerdings verlor die auf sumpfigem Morast gegründete Klosterkirche bereits sehr zeitig ihre sämtlichen Gewölbe. Außerdem muss das gesamte Bauensemble um das Jahr 1300 einem verheerenden Brand zum Opfer gefallen sein.
Wenngleich die stattliche Sankt Johanniskirche über ihren alten Grundmauern wieder erricht wurde, hatte sich der ursprüngliche Baustil des Gotteshauses inzwischen zu einer hochgotisch gewölbten Hallenkirche weiterentwickelt, die mit hohem künstlerischem Niveau malerisch dekoriert worden war. Demnach gehören ihr partiell freigelegter farbiger Weinlaubfries, die harmonischen Fenstermaßwerke und die über dem Nordportal befindliche kolossale Rosette mit Maßwerk aus Ziegelton zu den schönsten ihrer Art in der gesamten norddeutschen Backsteingotik.
Ähnlichkeiten der Altstädter Sankt Johanniskirche mit der Berliner Klosterkirche der Franziskaner
Am Anfang des 15. Jahrhunderts wurden die Altstädter Sankt Johanniskirche nach Osten hin durch ein seitliches Chorpolygon erweitert und der schlanke Treppenturm am südlichen Choransatz hinzugefügt. Diese beiden noch heute erhaltenen Bauteile, besonders die Bauform des polygonalen und durch hohe schlanke Fenster geöffneten Chors, wurden nach dem Vorbild des Chors der Berliner Klosterkirche der Franziskaner konstruiert. In der Zwillingsstadt Cölln-Berlin hatten die dortigen Bauhandwerker diese Lösung aufgrund der nahe gelegenen Stadtmauer wählen müssen.
Gegen Ende des Mittelalters wurden eine Sakristei als Vorbereitungsraum für den Gottesdienst, diverse Kapellen und die Bibliothek für die Manuskripte und Inkunabeln an die Altstädter Klosterkirche angefügt. Zudem wurde der schlanke Glockenturm, der campanile, im Süden des Gotteshauses errichtet. Darüber hinaus grenzte an die Sankt Johanniskirche die aus zwei Höfen bestehende Klosteranlage, die gleichzeitig die südliche Ecke der Altstädter Stadtbefestigung bildete.
Nach der Reformation 1539 gelangt das Franziskanerkloster in städtischen Besitz
Nach der durch den willensstarken Kurfürsten Joachim II. Hector im Jahre 1539 durchgeführten Reformation in der Mark Brandenburg gelangte das Altstädtische Franziskanerkloster in kommunalen Besitz. Zunächst wurden die einzelnen Konventsbauten als christlich geleitetes Spital, als städtisches Armenhaus und als Pilgerherberge sowie im Anschluss daran teilweise als Brauhaus genutzt. Nachdem die wenig intakt gebliebenen Klausurgebäude in der Mitte des 19. Jahrhunderts abgebrochen worden waren, wurden an ihrem Platz eine höhere Schule, die von Gertrud von Saldern gestiftete Saldria, errichtet.
Derweil war die inzwischen zweimal restaurierte Sankt Johanniskirche den aus dem katholischen Königreich Frankreich stammenden calvinistischen Glaubensflüchtlingen, den hugenottischen Réfugiés, bereits im 18. Jahrhundert als eigenes Gotteshaus übergeben worden. Nach einem alliierten Bombentreffer im Jahr 1945 wurde die tragende Westwand der einstigen Klosterkirche zerstört, in deren Folge deren Dach und das gesamte Gewölbe eingestürzt waren. Nach einer schnell durchgeführten Notsicherung erfolgte zum Beginn des 21. Jahrhunderts die weitere Stabilisierung der Kirchenruine Sankt Johannis. Anlässlich der anstehenden Bundesgartenschau, der BUGA 2015, wurden die ursprüngliche Dachform rekonstruiert und die wie eine nicht heilen wollende Wunde, die bis dato offen stehende Westfassade, endlich mit einer modernen Glaswand geschlossen.
Indessen entschieden sich die evangelische Kirchengemeinde und das zuständige Landesdenkmalamt dafür, den leeren Kircheninnenraum bewusst in seiner fatalen Konstitution zu belassen. Trotz dieser diffizilen Entscheidung war es möglich geworden, die altehrwürdige Sankt Johanniskirche vorübergehend als Blumenhalle für die im zweijährigen Turnus stattfindende Bundesgartenschau im Jahr 2015 zu nutzen.
Hinweis
Sankt Johanniskirche ∙ Johanniskirchplatz ∙ 14770 Brandenburg an der Havel, Altstadt
Besuchszeiten: Sonntags um 17 Uhr zum Gottesdienst
Die Sankt Johanniskirche ist ein Monument der Europäischen Route der Backsteingotik.
Restaurant am Humboldthain ∙ Plauer Straße 1 ∙ 14770 Brandenburg an der Havel, Altstadt
Öffnungszeiten: Mi-Fr 17-21 Uhr ∙ Sa 12-21 Uhr ∙ So 12-20 Uhr ∙ Telefon: 0 33 81 / 33 47 67
Lesenswert
Cante, Markus: Johanniskirche Brandenburg an der Havel. Worms 2017