Sozialistischer Prachtboulevard im Wandel der Zeit.
Im Aufbruch hehrer Ideale zur Allee mit Hang zu Allüren.
Dort, wo die Karl-Marx-Allee in die Frankfurter Allee übergeht, ragen die beiden charakteristischen Türme des Frankfurter Tores weithin sichtbar in den Berliner Himmel.
Der Platz entstand beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Er wurde nach einem der 18 Tore – der einstigen Berliner Zollmauer – benannt, das sich ursprünglich auf Höhe des heutigen U-Bahnhofs Weberwiese befand. In den 1950ern, als die DDR gerade erst ein paar Jahre jung war, wuchsen hier die ersten sozialistischen Vorzeigebauten an der Straße, die damals noch Stalin-Allee hieß, empor. Mit dem imposanten Prachtboulevard auf drei Kilometern Länge und 90 Metern Breite sollte ein ehrgeiziges Vorhaben dem aufstrebenden neuen Staat ein Gesicht geben und ihm ein erstes Denkmal setzen.
So etwas gab es zu seinerzeit im Westen der Stadt nicht. Auf der Karl-Marx-Allee, als ein gebautes Manifest, sind Ähnlichkeiten mit dem Städtebau des großen Brudervolks in der Sowjetunion keineswegs zufällig.
Gar nicht bescheiden: neuer Stil in antiker Referenz für Baubombast im Arbeiter- und Bauernstaat
Diese damals neue, charakteristische Formensprache, die man als Sozialistische Klassik, Stalin-Barock oder auch als Zuckerbäcker-Stil bezeichnet, war im Wesentlichen dem Vorbild der griechischen/römischen Klassik entlehnt. Als etwas markant Unterscheidendes und von gezielt politischer Botschaft ins Gestalterische übersetzt ebenso bedeutsam war dabei, typische Insignien der ehemals herrschenden Klasse von Monarchie, Adel und Kirche durch eine Architektur des sogenannten einfachen Volkes zu ersetzen.
Diese durfte indes durchaus ausladend und pompös, musste dabei aber von bisher bekannten Schmuckelementen wie Stuck, bemalten Decken und selbstverständlich kirchlichen Symbolen befreit sein.
Große Gestaltungsgeschwister und der Generationen Grunderneuerung
Unter den herausragendsten Beispielen und Vorreitern des Baustils gelten die Sieben Schwestern in Moskau. Ein Ensemble aus Hochhäusern, das bis heute das Stadtbild der russischen Hauptstadt prägt. Dabei ragt das größte Gebäude unter ihnen, die Lomonossow Universität, mit 235 Metern in den Himmel. Im Spiegelwurf, zurück in der deutschen Hauptstadt, wo es nicht ganz so gigantomanisch in die Vertikale, in der neuen Freude am hoch und höher, Kratzen der Wolken ging. In Fragen von Design, Komfort und Ausstattung jedoch gleicheben, mitunter von Einzelheiten sogar führend im Vergleich. Und wo früher in den repräsentativen Wohnpalästen vor allem verdiente Genossen lebten – bei in der Regel über drei auch vier Jahrzehnten stabilen Mietkosten – sind heute nach marktwirtschaftlichen Verhältnissen und deutlich angepassteren Preisen junge Szeneleute, Neuberliner und Hipster auf dem Vormarsch.
Von sozialistischen Stararchitekten und einem spitzen Turm der Signale
Die Karl-Marx-Buchhandlung war legendär, eine Institution. Nachdem das Bücherreich 2008 aufgeben musste, nutzt heute eine Filmproduktion die Räume mit dem Charme der 50er und 60er Jahre und der besonderen Aussicht auf eine ost-deutsche Kulisse. Das erste bezugsfertige Wohngebäude auf der Stalin-Allee war Das (Hoch)Haus an der Weberwiese, gebaut vom DDR Star-Architekten Hermann Henselmann, der unter anderem auch die Wohntürme am Straußberger Platz, die eingangs erwähnten Türme am Frankfurter Tor, als auch Das Haus des Lehrers entwarf.
Darüber hinaus zeichnet sein Büro ebenso verantwortlich für die Kongresshalle am Alexanderplatz (bcc) und für einen der maßgeblichen Vorentwürfe mit diversen Studien und künstlerischer Beratung des Berliner Fernsehturms, der in jener Planungszeit – Ende der 1960er – noch Turm der Signale genannt wurde. Vom Bauhaus maßgeblich geprägt, von der Politik hofiert und in der Wendezeit in die Kritik geraten, hat Henselmanns Schaffen städtebaulich, kulturhistorisch nichts von seiner Gültigkeit verloren.