Nach unserem interessanten Besuch in Wittstock fahren wir mit unserem Reisebus in dessen Ortsteil Freyenstein, um uns sowohl die Ruine des Alten Renaissance-Schlosses und das Neue Schloss als auch den archäologischen Park der kleinen Stadt näher anzuschauen, die bereits im Mittelalter durch ihre Grenznähe zu Mecklenburg reichlich Geschichte geschrieben hat.
In einem amtlichen Schreiben des Jahres 1332 wird erstmals eine Burg- beziehungsweise eine Schlossanlage in dem heute zu Wittstock an der Dosse gehörenden Ortsteil Freyenstein beurkundet. Allerdings rätseln nicht nur studierte Mediävisten, sondern auch sachkundige Heimatforscher noch immer darüber, ob es sich dabei um die Keimzelle des Alten oder des Neuen Schlosses gehandelt hat. Mit Sicherheit lässt sich jedoch sagen, dass im Jahre 1556 ein gewisser Conrad von Rohr einen Bauauftrag an den schwedischen Architekten Dominicus Pahr gegeben hatte, anstelle der mittelalterlichen Burg ein dreiflügliges Schloss im östlichen Teil seines weitläufigen Parks zu errichten.
Conrad von Rohr – dessen Familie die heute als Prignitz bezeichnete Vormark dominierte
Conrad von Rohr stammte aus dem uralten, primär im niederbayerischen Rottal lebenden Adelsgeschlecht, der ‚Herren von Rohr’, die seit dem 14. Jahrhundert auch in der Mark Brandenburg beheimatet sind. Nachdem jene im 15. Jahrhundert peu à peu die Regentschaft über mehrere Städte und Schlösser sowie die Schirmherrschaft – das Kirchenpatronat – über das unweit von Wittstock gelegene Nonnenkloster Heiligengrabe des Zisterzienserordens, Ordo Cisterciensis, übernommen hatten, gehörten sie zu den einflussreichsten Adelsfamilien in der heute als Prignitz bezeichneten Vormark.
Der ebenfalls aus diesem märkischen Familienzweig abstammende Otto von Rohr hatte in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts den Bischofssitz von Havelberg inne, wobei er zu jener Zeit in der Alten Bischofsburg in Wittstock residierte. Unser Buskompass-Autor berichtete uns bereits davon, dass Bischof Ottos herrschaftliches Wappen als Teil einer historischen Deckenmalerei im rekonstruierten Amtszimmer des Wittstocker Bürgermeisters in dessen neogotischem Rathaus seit 2011 wieder angesehen werden kann. Natürlich geht dies lediglich während der Besuchszeit.
Dominicus Pahr und dessen 4 Brüder – angesehene italienische Baumeister der Renaissance
Wie bereits erwähnt, war als ausführender Architekt für die Errichtung der Schlossanlage in Freyenstein der im schwedischen Borgholm geborene Dominicus Pahr verantwortlich. Pahr war mit seinen vier Brüdern in eine angesehene italienische, in das Königreich Schweden, Konungariket Sverige, eingewanderte Baumeisterfamilie der Renaissance hineingeboren worden. Zunächst hatte er im Auftrag der Mecklenburger Herzöge zusammen mit seinem jüngeren Bruder Franziskus beim Bau des Güstrower Schlosses im früheren Teilherzogtum Mecklenburg-Güstrow mitgewirkt. Anschließend beteiligte er sich mit seinem älteren Bruder Johann Baptist bei den durchgeführten Vergrößerungsarbeiten am pittoresken Schweriner Schloss, das sich auf der kleinen Schlossinsel des Schweriner Sees befindet.
Im Verlauf seines langen Lebens hatte sich Dominicus Pahr sowohl bei der Konstruktion von weiteren Palästen als auch bei der Erbauung von wehrhaften Zitadellen und Basteien im schwedischen Örebro, in Kalmar und in seiner nordischen Heimatstadt Borgholm auf der Ostseeinsel Öland verdient gemacht.
Historie des Alten Renaissance-Schlosses in Freyenstein
Offensichtlicher Geldmangel sollte immer wieder das traurige Schicksal des dreiflügligen Renaissanceschlosses in Freyenstein bestimmen, so dass sich die Familie der Herren von Rohr am Beginn des 17. Jahrhunderts dazu gezwungen sah, ihr herrschaftliches Palais zu veräußern. Gleichermaßen geht aus den der vergleichenden Geschichtswissenschaft vorliegenden historischen Dokumenten hervor, dass der bauliche Gesamtzustand der einen unregelmäßigen Grundriss aufweisenden Schlossanlage während des gesamten 17. Jahrhunderts inakzeptabel blieb.
Ebenso fehlte es aufgrund des verheerenden Dreißigjährigen Krieges (1618-48) an weiteren pekuniären Mitteln, um alle aufwendig geplanten Gebäude mit ihren zahlreichen mehrgeschossigen Erkern endlich zu vollenden. Einige sich schon länger mit der vieldeutigen Historie des kostspieligen Renaissance-Schlosses beschäftigende Forscher sind sogar der Meinung, dass das Alte Schloss niemals komplett fertig gestellt worden war. Nicht nur aus diesem Grund dürfte dessen großzügig konstruiertes und mit halbrundbögigen Fenstern versehendes Palais offenbar in den kommenden Jahrzehnten mehrfach den Besitzer gewechselt haben. In dessen Folge wurde es immer wieder von neuem verpachtet. Es verwundert uns daher nicht, dass es in einem erhalten gebliebenen Schriftstück vom Ende des 17. Jahrhunderts heißt, dass die einstmals repräsentative Residenz mittlerweile zu einem beinahe verwüsteten Herrensitz herunter gekommen war. In diesem Zusammenhang hatte der damalige Pfandinhaber das desolate Hauptgebäude sogar weitgehend zweckentfremdet, wobei es fortan als minderwertige Branntweindestille und als unbedeutendes Brauhaus genutzt wurde. Wir können uns lebhaft vorstellen, dass sich aufgrund dieser schlechten Umstände die noch vorhandene Bausubstanz des Alten Schlosses in den nachfolgenden Jahren permanent weiter verschlechterte, bis sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts beinahe vollständig zerfallen war.
Erst einige Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelangte die inzwischen verwaiste Schlossruine wieder in das nähere Blickfeld der Einwohner von Freyenstein und weckte deren lebhafte Neugier, sich jetzt ausführlicher mit ihrem kulturellen Erbe zu beschäftigen. Dieses neu erwachte Interesse und das sich daraus entwickelnde großartige Engagement der Freyensteiner Bevölkerung verdankt das Alte Renaissance-Schloss letztendlich seine nun endlich durchgeführten partiellen Rekonstruktionsarbeiten.
Architektur des Alten Renaissance-Schlosses
Glücklicherweise sind das Nordende des Westflügels sowohl in seiner gesamten ursprünglichen Höhe von 4 Etagen als auch mit seinen dreigeschossigen, mit unzähligen Reliefs und Medaillons geschmückten Erkern erhalten geblieben, in die jetzt häufig besuchte Museumsräume eingerichtet werden konnten.
Den Abschluss jener Gebäudefassade bildet ein oberes Giebelfeld, das einst mit reichem Terrakottaschmuck versehen worden war. Gleichermaßen wurden am Giebel des sich an den Westflügel anschließenden Treppenturms zahlreiche Terrakotta an der zur Stadt gewendeten Ostseite angebracht.
Des Weiteren hat das Erdgeschoss des Renaissance-Bauwerks zum einen ein altes gotisches Kreuzgewölbe und zum anderen steht in dessen zweitem Obergeschoss noch ein großer Kamin. Darüber hinaus überdauerte vom Alten Schloss die hohe Außenmauer des Südflügels mit ihrer breiten Passage die wechselvollen Zeiten der Jahrhunderte. Im Zuge der letzten Rekonstruktionsarbeiten konnten sowohl der alte Burggraben als auch der später angelegte Schlosspark teilweise wiederhergestellt und für ausdauernde Spaziergänger freigegeben werden.
Terrakotta des Lübecker Meisters Statius van Düren
Das Alte Schloss in Freyenstein ist ein charakteristisches Beispiel für schmuck- und lebensfreudige Renaissance-Architektur. Wir können diesen üppigen Schmuckreichturm sowohl am Giebelfeld und an den Erkern des erhaltenen Gebäudes des Westflügels als auch am Giebel des angegliederten Treppenturms anhand der Verwendung von ursprünglich bemalten Terrakotta-Reliefs in Form von Ranken, Kriegern und antiken Kaiserbildnissen sehen. Zum einen akzentuieren die in fortlaufenden Reihen angeordneten Terrakotta an der Außenwand des Bauwerks dessen einzelne Stockwerke und zum anderen verschönern sie deren Fassade. Die zwischen den Reliefs frei liegenden Flächen sind durch runde Medaillons, sogenannte klassische Tondi1, belebt, die diverse Porträts abbilden. Ein Medaillon, ein Tondo, zeigt einen bärtigen Mann, der ein Barett mit einer großen Feder auf dem Kopf und eine schwere doppelte Halskette trägt. Es wird vermutet, dass es sich bei dem Porträt um das Konterfei des Bauherren des Alten Schlosses, Conrad von Rohr, höchstpersönlich handelt. Die das Bildnis umgebende Inschrift des Medaillons lautet: ’Hector voci Roi’, ‚Hektor gehorcht dem König’. Dieses geflügelte Wort, diese Sentenz, weist auf den bedeutendsten mythologischen Heroen des Trojanischen Kriegs in Homers berühmtem Epos Ilias hin, mit dem der standesbewusste Conrad von Rohr offensichtlich gerne von seinen eigenen Landsleuten2 verglichen werden wollte.
An dieser Stelle soll der Vollständigkeit halber erwähnt werden, dass es sich bei drei Vierteln der heute sichtbaren Terrakotta-Reliefs, der Porträts und der Medaillons – den Tondi – um gelungene Nachbildungen handelt, die anhand von alten Abgüssen und Abbildungen in der renommierten Werkstatt der bekannten Künstlerin, der Keramikerin Hedwig Bollhagen, im brandenburgischen Marwitz bei Berlin angefertigt worden sind. Alle originalen, in vielfältigen Renaissanceformen gestalteten Terrakotta weisen deutlich auf einen norddeutschen Einfluss hin.
Aus diesem Grund wird mit ziemlich großer Sicherheit vermutet, dass sie in der Lübecker Werkstatt des damals weit bekannten Bildhauers und Ziegelbrenners, Meister Statius van Düren (*um 1520), hergestellt worden sind. Seine vor den Toren Lübecks gelegene Werkstätte hatte sich auf die fachgerechte Produktion von Terrakotta spezialisiert, die nicht nur als beliebter Bauschmuck an Patrizier- und Handelshäusern, sondern auch an Palästen und Kirchen mannigfaltige Verwendungen fanden.
Vergleichsweise ist in der Hansestadt an der Lübecker Bucht das rote Backsteingebäude in der Mengstraße 52 oberhalb des Türsturzes mit fünf Terrakottaplatten geschmückt worden, die aus der Manufaktur des Meisters van Düren stammen.
Weitere seiner zeitlosen Arbeiten können am märchenhaften Schweriner Schloss, am prächtigen Fürstenhof in Wismar und an dem in norddeutscher Backsteinrenaissance erbauten Schloss Gadebusch in Mecklenburg bewundert werden.
Die gute Qualität, die abwechslungsreichen Motive und der Formenreichtum der kunsthandwerklichen Baukeramiken machten den guten Namen des Meisters Statius van Düren überall populär, der wahrscheinlich noch vor dem Jahre 1570 in seiner Geburts- und Heimatstadt Lübeck gestorben war.
Zum Abschluss unseres Besuchs des Alten Schlosses in Freyenstein wird noch darauf hingewiesen, dass es seit 2020 auch mit einer modernen Audioguide-Führung besichtigt werden kann. Außerdem ist die romantische, inmitten des gepflegten Parks gelegene Kulisse des Renaissanceschlosses seit einigen Jahren verstärkt unter Brautpaaren zu einem beliebten Ort für Trauungen geworden. Lediglich wenige Schritte entfernt befindet sich das Neue Schloss, dem wir uns anschließend näher zuwenden.
Das Neue Schloss in Freyenstein
Das im 17. Jahrhundert erbaute Neue Schloss ist heute eine Schule. Vor uns haben wir ein dreigeschossiges rechteckiges Gebäude mit bis auf den Erdboden reichenden turmartigen Vorsprüngen, den sogenannten Risaliten, die sich an dessen markanter Hauptfront befinden. Im Inneren des großartigen Hauptgebäudes sind noch einige Räume und Säle mit imposanten Stuckdecken im Erdgeschoss erhalten geblieben. Als besondere Attraktion können Touristen in der Besucherinformation im Neuen Schloss je nach Gusto einen extra hergestellten Likör, den ‚Freyensteiner Schlossgeflüster’, als ein kleines Souvenir käuflich erwerben.
Hinweis
Sowohl das Alte als auch das Neue Schloss sind von außen barrierefrei erreichbar. Das Museum in seinen Innenräumen hingegen leider nicht.
1Anm.: Ein Tondo (italienisch: ‚rund’; Plural: Tondi) ist ein antikes Medaillon aber auch ein Bild auf einer kreisrunden Fläche.
2Anm.: In der Kulturepoche der Renaissance, die im deutschen mit ‚Wiedergeburt’ übersetzt wird, war es unter Adeligen und Großbürgern üblich, sich an bedeutsamen Persönlichkeiten und mythischen Heldenfiguren der klassischen Antike zu orientieren.
Es galt als schick, sich die Attribute und Tugenden jener sagenhaften Heroen zuzulegen. Folglich schmückten sich Renaissancepersönlichkeiten auch gerne mit den legendären Namen ihrer Helden. Beispielsweise nannte sich der Kurfürst von Brandenburg, Joachim I. ‚Nestor’, nach dem griechischen König von Pylos. Sein ältester Sohn, Kurfürst Joachim II., führte hingegen den Ehrentitel ‚Hector’.
Literatur
Vgl. Badstüber, Sybille; Beate Becker, Christa Stepansky & Heinrich Trost: Kunstdenkmäler, Bildband II, hg. vom Institut für Denkmalpflege, Berlin 1975, S. 45, Text Nr. 212 + 213. Bildtafeln: 212 + 213. Schloss Gadebusch. Terrakottaportal am Treppenturm. Die Terrakotta gleichen jenen am Fürstenhof in Wismar. Sie wurden in der Lübecker Werkstatt des Statius van Düren angefertigt.
Vgl. dieselb.: Kunstdenkmäler, Bildband II, a.a.O. S. 46, Text Nr. 215. Schloss Schwerin. Relikte des Terrakottaschmucks stammen aus der Lübecker Werkstatt des Statius van Düren. Platten mit antiken Göttern, römischen Kaisern und Porträtköpfen des herzoglichen Hofs sind erhalten. Siehe Bildtafel: 215
Vgl. Büttner, Horst; Ilse Schröder & Christa Stepansky: Kunstdenkmäler, Bildband IV, a.a.O. Berlin 1987. S. 76, Nr. 154. Text zum Alten Schloss in Freyenstein. Bildtafel: 154. Altes Schloss. Nordfront des Westflügels
Vgl. Trost, Heinrich u.a.: Bau- und Kunstdenkmale, hg. vom Institut für Denkmalpflege. Berlin 1978, S. 423ff. Altes Schloss Freyenstein mit einer schwarz-weiß Abbildung der Nordfront des Westflügels, S. 425