Unser Reisebus fährt uns in die Brandenburger Altstadt, in der wir den Rathenower und den Plauer Torturm anschauen.
Weil neben den altstädtischen Stadttoren auch deren vorgelagerte Basteien abgetragen wurden, zeigt uns unser Buskompass-Autor mit der Krakauer Barbakane eine vergleichbare Vortoranlage, die den verschwundenen Brandenburger Basteien entspricht.
Die mittelalterliche Doppelstadt Brandenburg an der Havel wurde im 14. und 15. Jahrhundert von zwei separaten und komplett ausgebauten Stadtbefestigungen mit vorgelagerten Wassergräben zur Verteidigung vor feindlichen Landsknechten geschützt. Noch heute gelten die aus roten Backsteinen errichteten und erhalten gebliebenen Abschnitte der Stadtmauern als die bedeutendsten mittelalterlichen Bauwerke der Alt- und der Neustadt.
Norddeutsche Wieckhäuser komplettierten die mittelalterlichen Stadtmauern
Es war nicht nur für die gesamte Mark Brandenburg, sondern auch für ganz Norddeutschland charakteristisch, dass deren Stadtmauern keine umlaufenden Wehrgänge besaßen. Stattdessen waren an den Backsteinmauern in regelmäßigen Abständen sogenannte Wiekhäuser, niederdeutsche Wikhüüs, platziert worden. Dabei handelte es sich vor allem um rechteckige Türme, die mit massiven Wehrplattformen ausgestattet wurden. Leider sind die meisten der altstädtischen Wieckhäuser im Laufe der Jahrhunderte peu à peu abgebrochen worden.
Vor den mittelalterlichen Stadttoren lagen Wassergräben und Basteien – das Krakauer Florianstor mit der vorgelagerten Bastei Barbakane zum Vergleich
In Sichtweite der einstmals neun mittelalterlichen Brandenburger Stadttore lagen burgförmige Vortoranlagen beziehungsweise Basteien, die nicht nur mit separaten Brücken verbunden waren, sondern die sich auch über die mit Wasser gefüllten Befestigungsgräben erstreckten. Leider sind diese altstädtischen Verteidigungswerke im Verlauf des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts aufgrund des verstärkten Verkehrsaufkommens dem damit einhergehenden Ausbau des Straßennetzes zum Opfer gefallen. Wenn wir unseren Blick ein wenig in die Ferne schweifen lassen, können wir im polnischen Krakau mit der sogenannten Barbakane eine vergleichbare, wenngleich vermutlich größere, mittelalterliche Vortoranlage anschauen, die zu den imposantesten und am besten erhaltenen Basteien in Europa gehört. Die aus roten Backsteinen erbaute Barbakane des späten 15. Jahrhunderts erhebt sich in der Form einer ovalen Bastei vor dem namhaften Florianstor, Brama Floriańska, dem letzten übrig gebliebenen Stadttor der ansehenswerten Krakauer Stadtmauer.
Der Rathenower und der Plauer Torturm sekundierten die altstädtischen Stadttore
Der bewachte Zugang in die mittelalterliche Altstadt von Brandenburg erfolgte dann durch die diversen Stadttore. Daneben waren zum besseren Schutz der altstädtischen Stadtportale der noch bis heute erhaltenen gebliebene Rathenower und der Plauer oder Luckeberger Torturm erbaut worden.
Auch die übrigen Tortürme erwiesen sich aufgrund des wachsenden Straßenverkehrs als störend, so dass sie ebenso wie sämtliche Stadttore einem Abriss anheim fielen. Im Zuge dieser gravierenden Umgestaltung des altstädtischen Terrains wurden ebenso weite Abschnitte der Stadtmauer abgetragen. Parallel gingen die Brandenburger dazu über, die entstandenen Baulücken partiell mit neuen Wohnhäusern und Gebäuden zu schließen. In der Altstadt blieben lediglich zwei der neben den früheren Stadttoren befindlichen Tortürme erhalten, die wir uns jetzt anschauen wollen.
Der Rathenower Torturm in der Brandenburger Altstadt
Im späten Mittelalter sicherte der quadratische Rathenower Torturm den nördlichen Zugang in die Altstadt von Brandenburg. Es gilt als gesichert, dass er der älteste gemauerte Torturm der Domstadt an der Havel ist, dessen erster Abschnitt um das Jahr 1300 errichtet worden war. An den zunächst als schlichtes Torhaus existierenden Wehrbau schloss sich stadtauswärts eine erste hölzerne Zugbrücke an. Zehn Jahre danach dürfte dieser Bau auch stadteinwärts erweitert worden sein. In den 20er Jahren des 14. Jahrhunderts haben geschickte Bauhandwerker die beiden Obergeschosse fertiggestellt, deren Fassaden mit Stich- und Spitzbogenblenden geschmückt sowie mit großen Kreis- und Wappenblenden versehen worden sind. In der Mitte des 14. Jahrhunderts ließen die Altstädter Bürger ein robustes Verlies in das Souterrain des Turmes einbauen und das darüber liegende Geschoss zu einem gewölbten Waffendepot umfunktionieren. Zwei Jahrhunderte später erfolgte schließlich eine letzte Aufstockung des quadratischen Turms, dessen Abschluss ein gemauerter und spitz zulaufender Kegelhelm bildet. Somit hatte der Rathenower Torturm seine endgültige Höhe von 28 Metern erreicht.
Der Rathenower Torturm in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Noch vor dem I. Weltkrieg wurden die quadratischen Grundmauern des Rathenower Turms von zwei Seiten durchbrochen und ein passabler Fußgängerdurchgang angelegt. Durch die Passage verläuft ein gepflasterter Bürgersteig, damit eilige Spaziergänger dem breiten Bauwerk nicht immer seitwärts ausweichen müssen. Nachdem gegen Ende des II. Weltkriegs der Altstädter Torturm von einem feindlichen Artilleriegeschoss getroffen worden war, erfolgte bald darauf dessen bautechnische Sicherung. Zudem verschmälert er, wie auch sein Pendant der Plauer Torturm, ein wenig die übliche Breite der Fahrspur der Rathenower Straße. Bis heute reichen erhalten gebliebene Rudimente der mittelalterlichen Stadtmauer vom Walter-Rathenau-Platz kommend bis an den Rathenower Torturm heran.
Der Plauer oder Luckeberger Torturm aus der Zeit um 1400
Der in der Brandenburger Altstadt gelegene viergeschossige Plauer oder Luckeberger Torturm wurde wahrscheinlich um das Jahr 1400 erbaut. Im Spätmittelalter war der Altstädter Torturm mit dem zinnenbekrönten Plauer Stadttor verbunden, zu dessen gewappnetem Wehrgang eine schwere Eichentür führte. Noch heute ist an der Nordwestseite des Turms der vorragende Aborterker über dem früheren Stadtgraben sichtbar, der uns die exakte Position der damaligen Wachstube verdeutlicht.
Schließlich wurde der Plauer Turm auf allen seinen Seiten mit schmalen Schießscharten versehen.
Für viele Jahrzehnte existierte der runde Torturm lediglich als ein circa 17 Meter hoher Torso, dessen oberes mit einem Kegeldach oder Kegelhelm abgeschlossenes Fachwerkgeschoss, der sogenannten Hurde, aufgrund der langjährig wechselnden Wetterbedingungen nicht mehr dauerhaft instand gehalten werden konnte.
Im Vorfeld der Jahrtausendfeier 1929 wurde der Plauer Torturm rekonstruiert
Nachdem der spätmittelalterliche Plauer Torturm über eine längere Zeitdauer in seinem halb verfallenem Bauzustand belassen worden war, erhielt er im Vorfeld der anstehenden Jahrtausendfeierlichkeiten der ehrwürdigen Havelstadt im Jahr 1929 einen zackenförmigen Turmkranz und einen gemauerten Spitzkegel, der von einem geschmiedeten Storchennest komplementiert wird. Jene erneuerungsbedürftigen Bausegmente wurden gegen Ende des 20. Jahrhunderts restauriert.
Hinweis
Rathenower Torturm · Rathenower Straße · 14770 Brandenburg an der Havel, Altstadt
Plauer oder Luckeberger Torturm · Plauer Straße · 14770 Brandenburg an der Havel, Altstadt
Beide altstädtischen Tortürme liegen cirka 550 Meter oder 7 Minuten Fußweg voneinander entfernt.
Auf der Hälfte des Weges gibt es folgende Möglichkeit für eine Regeneration:
Indisches Restaurant Rice & Spice · Plauer Straße 17-18 · 14770 Brandenburg-Altstadt
Öffnungszeiten: Montag-Sonntag von 11:30 bis 21:30 Uhr · Telefon: 0 33 81 / 33 36 26
Lesenswert
Cante, Marcus: Denkmale in Brandenburg, Stadt Brandenburg an der Havel, Dominsel-Altstadt-Neustadt, Band 1. Worms am Rhein 1994