Unsere Bustour hat die 350 Einwohner zählende Doppelgemeinde Kleßen-Görne zum Ziel, die über zwei Gutshäuser der Bredows verfügte.
Eines davon war das havelländische Herrenhaus Kleßen, das sich im Herzen des gleichnamigen Ortsteils befindet.
Unser Buskompass-Autor berichtet von der König-Murat-Affäre, die sich dort 1806 zugetragen hat.
Kleßen, oder Klessen, das seit dem 13. Jahrhundert als Adelssitz belegt ist, wurde im Jahre 1352 an Peter von Bredow vergeben. Für viele Jahrhunderte bestimmte die Familie von Bredow die Geschicke in Kleßen, auch wenn der Besitz unter den verschiedenen Zweigen des Geschlechts wechselte. Das heutige Herrenhaus, auch Schloss genannt, wurde im 18. Jahrhundert für Gebhard von Bredow erbaut, dessen Erbe sein Neffe Friedrich von Bredow antrat. Von jenem jungen Familienspross erfahren wir nachfolgend mehr.
Friedrich von Bredow – die König-Murat-Affäre oder der Friesacker Juwelenraub
Friedrich von Bredow erbt viel zusammen, weil alle seine fünf Oheime kinderlos sterben; er ist nun ziemlich reich und wird 1798 in den Grafenstand erhoben. Er erlebt danach das Jahr 1806, wo viel wieder flötengeht. Mit diesen humorvollen Worten schildert unser märkischer Chronist Theodor Fontane den Grafen Friedrich von Bredow und die nachfolgenden Ereignisse, denen er ein ganzes Kapitel: Das Ländchen Friesack und die Bredows widmet, das er in seinen populären Wanderungen durch die Mark Brandenburg aufgenommen hat. Zu jener Zeit [1806] fand die König-Murat-Affäre statt, worüber ich das Aktenstück besitze, führt Fontane seine Ausführungen über das andere Schloss der Bredows in dem havelländischen Ort Kleßen weiter aus. Damit der geneigte Leser die König-Murat-Affäre beziehungsweise den Friesacker Juwelenraub, wie er auch genannt wird, besser versteht, sei an dieser Stelle der größere historische Zusammenhang skizziert.
Marschall Murat – allmächtiger Schwager Napoleons – zwei kostbare Truhen werden versteckt
Im Jahre 1806 waren französische Truppen unter der Führung des gaskognischen Gastwirtssohns Joachim Murat – zeitgenössischer Schwager Napoleon Bonapartes, legendärer Oberbefehlshaber der kaiserlichen Kavallerie, Maréchal d’Empire und späterer König Joachim I. von Neapel – durch das besiegte Königreich Preußen gezogen. Aus großer Sorge vor marodierenden Husaren hatte Friedrich von Bredow in seinem auf dem havelländischen Gutshof Kleßen gelegenen Weinkeller zwei schwere Truhen versteckt. Eine mit Preziosen, Silbergerät und Raritäten gefüllte Schatulle gehörte Friedrichs Mutter, Florine von Briest. Die zweite mit Schriftstücken und Bargeld vollbepackte Truhe nannte hingegen der Graf persönlich sein Eigen. In das andere circa 8 Kilometer von dem Gut Kleßen entfernt gelegene Schloss derer von Bredows in Friesack war inzwischen der französische General der Kavallerie Louis de Saint-Hilaire einquartiert worden.
Von dem gesprächigen Saint-Hilaire hatte der märkische Graf erfahren, dass der kaiserliche Oberkommandierende Marschall Murat ebenfalls persönlich in den am Alten Rhin liegenden Ort Friesack hin unterwegs sei. Derweil war einige Zeit nach der erfolgten Quartiernahme des Kavallerie-Generals Saint-Hilaire und dessen Stabes im Friesacker Herrenhaus ein aufgetretener Mangel an Wein festgestellt worden. Gleichzeitig war aus dem Bredow’schen Schloss in Kleßen, in dem ebenfalls französische Husaren einquartiert lagen, bekannt geworden, dass dort noch volle Weinflaschen en masse vorrätig wären. Kurzerhand wurden aus Friesack zwei chariots couvert, zwei Pferdewagen, in das unweit gelegene Kleßen entsandt, um den dortigen Wein abzuholen. Nachdem die mit zahllosen Weinkisten vollgepackten Fuhrwerke wieder in den Hof des Friesacker Herrenhauses vorgefahren waren, musste Graf Bredow zu seinem großen Entsetzen feststellen, dass das französische Militär auf einen der beiden Wagen auch die von ihm im Gutshauskeller versteckten Kisten aufgeladen hatten. Ungerührt nahm Sankt-Hilaire die beiden Truhen an sich, wobei er gegenüber dem lamentierenden Grafen behaupte, dass es sich bei den schweren Kisten eindeutig um Staatseigentum handeln würde.
Marschall Murat lässt die beiden Truhen des Grafen Bredow öffnen – die goldene Tabatière Friedrichs des Großen
Nach dem lang erwarteten Eintreffen des großspurigen Marschalls Murat gegen Mitternacht ließ jener die hölzernen Truhen kurzerhand öffnen. In der ersten Kiste befanden sich die besagten Familiendokumente der Bredows, 2735 Taler in Gold und 1250 Taler in Courantmünzen sowie einige alte Gold- und Silbernominale. Hierauf erhielt Graf Bredow seine persönlichen Dokumente zurück und das gesamte Geld wurde wieder in die metallbeschlagene Truhe gelegt.
In der zweiten als Privateigentum der Mutter des Grafen Friedrich anerkannten Schatulle lagen an klingenden Münzen: 1790 Taler in Gold, 850 Taler in Courant, 375 Taler in holländischen Dukaten, 83 goldene Medaillen sowie 131 silberne Schaumünzen. Zudem fand sich in der kleineren Truhe eine goldene Tabatière, eine kostbare Tabaksdose, bemalt mit dem markanten Konterfei Friedrichs des Großen, die reich mit funkelnden Brillanten besetzt war. Es handelte sich um ein erkenntliches Geschenk des berühmten Monarchen an den gräflichen Großoheim, Friedrich Siegmund (†1759), den loyalen Generalleutnant von Bredow, verdienten Ritter des Schwarzen Adlerordens und umsichtigen Kommandeur der gesamten preußischen Kavallerie. Weil die goldene, mit herrlichen Edelsteinen besetzte und mit dem kolorierten Bildnis des großen Preußenkönigs versehene Tabaksdose dem eitlen Marschall Murat sehr gefiel, wollte er sie dem Grafen bezahlen. Er habe, wie Murat feierlich beteuerte, nicht die Absicht, sich dessen private Wertsachen unbezahlt anzueignen. Lediglich das in der mütterlichen Schatulle befindliche Geld stehe ihm hingegen als Sold für die französischen Truppen zur Disposition, wurde dem Grafen Bredow erklärt. Jener sollte selbstverständlich über sämtliche Gegenstände eine Quittung erhalten, um sich den fälligen Betrag anschließend in Berlin zurückerstatten lassen zu können.
Alle weiteren Wertgegenstände, darunter auch die goldene Tabaksdose Friedrichs II., wurden wieder auf die im Gutshof wartenden Pferdewagen zum Transport verladen und zur besseren Sicherung dem kaiserlichen Kommandanten von Berlin, General Pierre Augustin Hullin, übergeben. Danach hat der düpierte Graf Bredow nichts mehr von der ganzen Angelegenheit gehört, weder von seinen persönlichen Kostbarkeiten noch von seiner versprochenen Quittung.
Graf Bredow eilt nach Berlin und schreibt einen Brief nach Paris
Fontane unterrichtet uns weiter, wobei er Graf Bredow zitierte: Ich eilte nach Berlin, meldete mich bei Murat und bei Sankt-Hilaire. Beim ersterem wurde ich nicht vorgelassen und letzterer bedauerte mich, wobei jener sagte: Er hoffe Gelegenheit zu haben, mir durch den Kaiser [Napoleon] alles wieder zu verschaffen, dies könnte aber nicht eher geschehen, als bis der Krieg zu Ende wäre. [Ferner] riskierte ich [Graf Bredow] füsiliert zu werden, da ich keinen Beweis durch Quittung hätte.
Weil sich Friedrich von Bredow mit dem ihm angerichteten Schaden nicht abfinden wollte, wandte er sich nach dem Krieg in einem Schreiben vom 25. Oktober 1815, in dem er ausführlich den Friesacker Juwelenraub schilderte, an den neu ernannten Minister der königlichen Regierung in Paris. In der dringlichen Eingabe bat er um eine kulante Wiedergutmachung durch den französischen Staat. Die decouragierende Antwort des Ministers hatte folgenden Wortlaut: Die französische Regierung kann sich auf eine Entschuldigung für das, was französische Militärs geraubt haben, auf keine Weise einlassen, weil bei der zahllosen Menge von Plünderungen ganz Frankreich nicht würde hinreichen, um den Schaden zu ersetzen. Mit diesen endgültigen Worten hatte die ganze Angelegenheit für den Grafen Bredow ein teures Ende genommen, wobei er sein gesamtes Vermögen von über 20.000 Talern und nicht nur die goldene Tabaksdose Friedrichs des Großen verlor. Über seinen materiellen Verlust könnten vielleicht Friedrich von Bredows 17 Kinder, neun Jungen und acht Mädchen, hinweg getröstet haben, die ihm seine liebe Ehefrau Christine von Otternstedt geschenkt hatte.
Soldaten, zielt auf das Herz, schont das Gesicht – das Ende Joachim Murats
Die geraubte goldene Tabatière Friedrichs des Großen brachte dessen neuen Besitzer, dem Marschall Murat, auch als König Joachim I. von Neapel kein langes Glück. Nach der endgültigen Niederlage seines außergewöhnlichen Schwagers, des Kaisers Napoleon in der für jenen katastrophalen Schlacht bei Waterloo und dessen zweiter Verbannung auf die im fernen Südatlantik gelegenen Insel Sankt Helena, geriet der inzwischen abgesetzte König Joachim I. ebenfalls in Gefangenschaft. In Folge dessen wurde Murat auf ein Dekret des Bourbonenkönigs Ferdinand IV. zum Tode verurteilt und am 13. Oktober 1815 standrechtlich erschossen. Von dessen Hinrichtung ist uns eine kleine Anekdote überliefert. Murat soll dem Exekutionskommando zugerufen haben: Soldaten, zielt auf das Herz, schont das Gesicht! Die Leiche des Exekutierten gilt als verschollen. Demzufolge ist die auf dem berühmten Pariser Friedhof Père Lachaise gelegene leere Grabstelle für Murat ein gleichnishaftes Grabmal, ein Kenotaph.
Schloss Kleßen im 19. und 20. Jahrhundert
In der Mitte des 19. Jahrhunderts übernahm Alfred von Bredow das havelländische Gut in Kleßen und ließ deren aus einfachem Fachwerk errichtete Wirtschaftsgebäude durch eine solidere Backsteinbauweise ersetzen. Sie sind bis heute, einschließlich des unübersehbaren Wasserturms, erhalten. Weil der spätere Besitzer, Joachim von Bredow, am Beginn des 20. Jahrhunderts in Konkurs gegangen war, wurde er dazu gezwungen, das herrschaftliche Schloss mit sämtlichen Gutsgebäuden zu verkaufen. Nach dem Ende des II. Weltkriegs wurde der damalige Eigentümer des Schlosses Kleßen enteignet. Zu Zeiten der DDR hatte die kleine Gemeinde das wieder instand gesetzte Gebäude zunächst als Konsum, Kindergarten und Dorfkino sowie anschließend bis in die frühen 1980er Jahre als Altersheim genutzt. Danach blieb das einstige Herrenhaus der Bredows für einige Zeit leer und verfiel zusehends. Nach dem glücklichen Umbruch in den Jahren 1989/90 standen nur noch die kahlen Mauern des Schlosses aufrecht, selbst die Türen und Fenster waren inzwischen abhanden gekommen. Erst in den 90er Jahren wurde das traditionsreiche Haus von einem privaten Investor erworben, der es aufwendig sanieren ließ.
Der neu gestaltete Schlossgarten mit seiner Orangerie
Heute werden das Schloss Kleßen teilweise als privates Wohnhaus, aber auch für kulturelle Matineen und als modern möblierte Ferienwohnung genutzt. Neben dem Bredow’schen Herrenhaus liegt die ehemalige Orangerie, in der jetzt das gemütliche Schlosscafé eingerichtet ist. Der gepflegte Orangerie-Garten empfängt seine Besucher mit bunten Blumenbeeten und mit einer berankten Pergola, die italienisches Flair verbreitet. Daneben befindet sich eine Loggia, die den Ziergarten von dem Wirtschaftsgarten trennt. Im alten Obstgarten führen die Wege über eine blühende Sommerwiese. Dort haben die neuen Eigentümer wieder diverse Obstbäume gepflanzt und Beete angelegt, genauso wie es zu den Zeiten derer von Bredow gewesen war.
Darüber hinaus gehört der große Schlossgarten zum wohlproportionierten Ensemble, der gegen die Entrichtung eines kleinen Obolus besucht werden kann. Wahrscheinlich war er zunächst als ein symmetrischer Barockgarten konzipiert worden, bevor er um das Jahr 1900 im Stil des Neobarocks umgestaltet wurde. Von allen diesen floralen Herrlichkeiten war am Anfang der 1990er Jahre nicht mehr allzuviel vorhanden. Erst im Verlauf der umfangreichen Sanierung des dreiflügeligen Barockschlosses wurde auch der klassische Garten neu angelegt. Inzwischen hat er sich erneut zu einem schönen märkischen Gutsgarten entwickelt. Sein großes Rasenparterre, die Rankpyramiden und der historische Springbrunnen werden auf zwei Seiten von uralten Bäumen flankiert.
In der gesamten Gartenanlage spiegeln sich die unterschiedlichen Räume des neobarocken Herrenhauses wieder. Kräuter, Rosen und Stauden wurden zu besonderen Farbbildern arrangiert, der üppige Schnittblumengarten erinnert an einen englischen Pleasureground. An vielen Sichtachsen können die Gäste auf robusten Parkbänken oder in entzückenden Pavillons verweilen.
Im Frühjahr faszinieren die Narzissenfelder, im Sommer erfreut uns die duftende Rosenblüte und allerorts befinden sich reichliche Staudenbänder. In dem ehemaligen Bredow’schen Garten wird durchgeblüht bis in den späten Monat September hinein. Dieser außergewöhnliche havelländische Schlossgarten lädt seine erholungssuchenden Spaziergänger zu einem längeren Verweilen ein.
Hinweis
Schloss Kleßen ∙ Lindenplatz 1 ∙ 14728 Kleßen-Görne OT Kleßen
Ein Besichtigung des Schlossgartens ist mittwochs bis samstags von 11-17 Uhr möglich.
Lesenwert
Andreæ, Almut & Udo Geiseler: Die Herrenhäuser des Havellandes. Berlin 2006