Susanne Schmidt war Busfahrerin in Berlin. Über ihre Erfahrungen hat sie ein Buch geschrieben.
Der öffentliche Nahverkehr soll gestärkt und ausgebaut werden – damit wir das Verkehrschaos in den Großstädten verbessern, nachhaltiger leben, das Klima retten können und unsere Erde. Das versteht jeder und jeder kennt die Busse in seiner Stadt. Jeder Berliner, jede Berlinerin kennt die großen Gelben. Die Doppelstockbusse und die Eindecker, Gelenkbusse und Sonderwagen. Sie sind ein unverzichtbares Verkehrsmittel in der Großstadt. Mitunter komfortabler als die U-Bahn, weil man Tageslicht hat und etwas von der Weltstadt sieht. Im Alltag an touristischen Highlights vorbei rauscht – Schloss Bellevue, das Brandenburger Tor, die Straße Unter den Linden und den Fernsehturm – um nur einige zu nennen. Aber wer fährt die Autobusse? Was bewegt die Menschen, die Tag für Tag für Berlin Leute durch die Stadt kutschieren?
Die Berlinerin Susanne Schmidt, zuvor Erzieherin, Stadtführerin und Drehbuchautorin, fasste eines Tages den Entschluss, sich als Busfahrerin bei der BVG (Berliner Verkehrsgesellschaft) zu bewerben. Gerade wurden Fahrerinnen gesucht, ausdrücklich „ältere Frauen, die Busfahrerinnen werden wollen. Wir bilden Sie aus, wir stellen Sie ein.“ Da so eine Ausschreibung positiv auffällt, selten und ungewöhnlich ist, bestärkte das den Entschluss der späteren Autorin. Frauen im mittleren Alter verursachen weniger Unfälle und können mit Stress besser umgehen. Bewahren den Überblick.
Ein Buch gibt Einblick hinter die Kulissen der Verkehrsbetriebe
In ihrem 2021 erschienenen Buch: „Machen sie mal zügig die Mitteltüren frei“ erzählt die Autorin frisch und frei von ihren Bus- und BVG-Abenteuern. Auf leicht zu lesende, lockere Art und Weise berichtet sie von ihren Bustouren, der Bewerbung, dem Auswahlverfahren, dem Arrangieren mit der Uniform, Ausbildung und Unterricht, den Torturen des frühen Aufstehens – und den harten, langen Schichten. Man erfährt einige BVG Interna: zum Beispiel, dass die Busfahrer die Wege der Buslinien in ihrer Freizeit abfahren müssen, um sie kennenzulernen und später auswendig fahren zu können. Ich finde, das ist ein starkes Stück: es wird ja zum Beispiel von Schauspielern erwartet, dass sie ihren Text auswendig können – diesen Maßstab an Busfahrer in Großstädten anzuwenden, erscheint mir absurd!
Susanne Schmidt erzählt ernsthaft und wahrhaftig, mit trockenem Humor und kritischem Blick vom Alltag bei der BVG, die bislang eine Männerdomäne ist: von Ruppigkeit mit hohem Anspruch, von schönen und weniger schönen Begegnungen mit den Fahrgästen, von Touren und Abstechern und von den Pausen zwischendrin, die kaum Zeit zum Essen und Trinken lassen – geschweige denn für anderes Lebensnotwendiges. Man muss ganz deutlich sagen: Wenn die Politik möchte, dass der öffentliche Nahverkehr verbessert werden soll: höhere Taktung der Busse, mehr befahrene Linien usw., muss auch die Situation der Busfahrer und Busfahrerinnen verbessert werden.
Die Autorin, die ihr Buch in der Ich-Perspektive schreibt, hat es trotz hohem persönlichen Einsatz, tiefer Bereitschaft, es gut zu machen und Freude am Umgang mit den Fahrgästen nicht geschafft, im Beruf zu bleiben. Irgendwann wurde sie krank und musste mitten auf der Strecke aufgeben. Zwar kann man sagen, dass ein besonderes persönliches Engagement mitunter der tatsächlichen Berufsausübung im Wege stehen kann. Wie auch immer: die BVG hat mit ihr eine Mitarbeiterin verloren. Hier verschlingen sich Erzählperspektive und die knallharte Realität.
Susanne Schmidt hat eine andere Konsequenz aus diesem „Scheitern“ gezogen: sie hat ein Buch darüber geschrieben und geschafft, es bei hanserblau, im renommierten Carl-Hanser-Verlag zu veröffentlichen. Das zeigt auch, dass sie am Puls der Zeit ist: seit der Corona-Pandemie sind alltägliche Berufe wie Verkäuferin, Krankenpfleger und Busfahrer – die Menschen, die unser Leben „am Laufen“ halten, ins Bewusstsein des öffentlichen Interesses gerückt. Die Autorin wird nun zu Talk-Shows, zum Beispiel zum Tagesspiegel-Wahlkampftalk, eingeladen. Die große Berliner Tageszeitung veranstaltet hier Gespräche mit den Spitzenkandidaten der Parteien zum Abgeordnetenhaus und Berliner Bürgern: einem Krankenpfleger, einem Unternehmer, einer Schülerin und Susanne Schmidt. Hier befragten sie Politiker zur Verkehrssituation in Berlin und wie sie sich vorstellen, diese zu verbessern. Wie unsere Straßen und Plätze zum Beispiel kindgerechter werden können – so dass Kinder sich auch ohne Warnwesten im öffentlichen Raum bewegen können, ihre Ohren und alle anderen Sinne nicht ständig überreizt werden, sich nicht im Bus mit vielen anderen in der Enge herumquetschen müssen. Dies sind Fragen unserer Zukunft und Existenz – und hier wird die Busfahrerin und Autorin zur Philosophin. Auch wenn sie über Begegnungen in Wartehäuschen und Bewegung im öffentlichen Raum schreibt.
Hier noch ein paar Fakten: Es gibt in Berlin 159 Buslinien und 63 Nachtlinien, 6511 Haltestellen und 1492 Fahrzeuge. Davon sind 351 Doppeldecker, 429 Eindecker, 672 Gelenkbusse, 31 Elektrobusse und 9 Sonderwagen. Jährlich werden 466 Millionen Fahrgäste mit Autobussen transportiert.
Literatur
Susanne Schmidt: Machen Sie mal zügig die Mitteltüren frei, hanserblau, 17 Euro
Links
www.bvg.de