Wir erzählen heute von einem Fliegenden Holländer, der keiner ist, und von einem Pferd mit göttlichem Beistand. Wir lassen sprachlich ein Schiff vom Stapel und besichtigen den ältesten freistehenden Glockenturm Europas. Er steht im schleswig-holsteinischen Delve neben der Sankt Marienkirche.
Es muss eine wirklich skurrile Begebenheit gewesen sein, die sich im Jahr 1825 in Delve im schleswig-holsteinischen Kreis Dithmarschen ereignet hat. Ein Segelschiff ankerte an der Sankt Marienkirche, nachdem ein Deichbruch Teile des Ortes überflutet hatte. Der Deich sollte vor der Eider schützen, die einst im Mittelalter die Grenze zwischen Dänemark und Holstein markierte. Noch heute fließt sie in wenigen hundert Metern Entfernung von Delve in Richtung des Holländerstädtchens Friedrichstadt und dann weiter nach Tönning und zum Eidersperrwerk, wo sie reguliert in die Nordsee fließt. An der Sankt Marienkirche lag damals (wie häufig üblich) der Friedhof von Delve; nach der Überflutung wurde er weiter in den Norden des auch heute keine 1000 Einwohner zählenden Ortes verlegt. Vielleicht war der Anblick der aus der Unterwelt Zurückkehrenden zu gruselig gewesen; die Totenruhe war von den Fluten gestört worden. Dabei hatte man hier in Dithmarschen schon die schlimmsten Jahrhunderte hinter sich geglaubt, nachdem im Jahr 1617 und 1712 die Pest gewütet hatte. Auch im frühen 18. Jahrhundert waren schon einmal alle Dämme gebrochen. In der sogenannten Weihnachtsflut von 1717 wurden weite Teile der Küsten von Nordfriesland und Dithmarschen überschwemmt. Nun also sollte es endlich aufwärtsgehen in Delve und das tat es tatsächlich auch seit dem Bau des Eiderkanals im Jahr 1784. Er verband als Vorläufer des Nord-Ostsee-Kanals etwa hundert Jahre lang die beiden Meere, welche die norddeutschen Küsten umspülen. Dutzende Segelschiffe lagen bei Delve an der Eider vor Anker und sorgten durch Handel für einen ökonomischen Aufschwung.
Die Sankt Marienkirche Delve lockt mit fliegenden Schiffen
Betreten wir die im 13. Jahrhundert aus Feldsteinen errichtete und in späteren Jahrhunderten mit Backsteinen weiter gebaute Sankt Marienkirche Delve, dann wird einem schnell klar, dass die drei bis zu 1,30 Meter langen Nachbauten von Schiffen, die unter der Decke hängen, eine Sehenswürdigkeit mit besonderer Geschichte sind. Genau genommen sind es drei Geschichten, die sich hinter den fliegenden Schiffen von Delve verbergen. Kurz überlegen wir noch, ob das mit dem niederländischen Delft namensverwandte Delve hier in der Sankt Marienkirche vielleicht eine Installation des Fliegenden Holländers ausgestellt hat? Auch wenn die Holländer tatsächlich längere Zeit hier im hohen Norden weilten (das in der Nähe gelegene Holländerstädtchen Friedrichstadt wurde von ihnen errichtet), hat das nicht ursächlich mit den Schiffen zu tun, die deutlich zu groß für eine Flaschenpost durch den heiligen Raum schweben. Im Jahr 1783 spendete die damals schon mindesten fünfzig Jahre bestehende Schiffergilde eine Korvette mit drei Masten und zahlreichen aus dem Rumpf heraus ragenden Kanonen. Es war eine Zeit, in der Seeschlachten immer mehr durch die Wendigkeit von mit Kanonen bestückten Schiffen entschieden wurden. Damit konnte man sich den Feind auf Distanz halten und so das gegenseitige Entern vermeiden, bei dem Mann gegen Mann kämpfen musste. Das Schiff trägt den Namen Goldener Hirsch. Der schwarz-grün gestrichene Dreimaster aus dem Jahr 1877 heißt Emanuel und bedeutet im Hebräischen Gott mit uns. Er ist ebenfalls eine Schenkung der Schiffergilde zu verdanken, die danach langsam in der Bedeutungslosigkeit versank. Die Schenkungsurkunde befindet sich noch immer im Rumpf des Schiffes. Dass es ein drittes Segelschiff unter der Holzbalkendecke der Sankt Marienkirche Delft geschafft hat, ist einer Tragödie zu verdanken. Ganze vier Masten hat die Ora et Labora (lat.: bete und arbeite) und sie erinnert an ein gleichnamiges Schiff, welches in den Fluten der Ostsee versunken ist; ihr Kapitän kam aus Delve. Tischler zimmerten es im Jahr 1953. Das Original war allerdings schon Ende des 19. Jahrhunderts vor der Ostseeinsel Bornholm im Sturm gekentert.
Die Sankt Marienkirche Delve hat den ältesten freistehenden Glockenturm Europas
Treten wir aus der Sankt Marienkirche Delve mit seinem bronzenen Taufbecken aus dem 13. Jahrhundert und der mit goldenem Schriftzug verzierten Kanzel aus dem frühen 17. Jahrhundert heraus, schauen wir uns schmunzelnd um. Auf einer Schautafel in der Kirche haben wir nämlich erfahren, wieso die Kirche an ihrem heutigen Standort steht. Einer Sage nach konnten sich die angrenzenden Gemeinden im 13. Jahrhundert nicht darauf einigen, wo die Kirche errichtet wird. Folglich beschloss man Gott die Entscheidung zu überlassen. Man organisierte ein Pferd und band diesem ein Marienbild um. Man beschloss es am Abend laufen zu lassen und dort das Gotteshaus zu errichten, wo man es am Morgen vorfinden würde. Gottes Wille wirkte und das Pferd wurde zwischen Büschen dort gefunden, wo heute die Sankt Marienkirche Delve steht. Noch heute führt die Pfarrei ein Pferd im Siegel. Der Ort Delve selbst hat sich übrigens für ein Schiff entschieden im Wappen. Auch das überzeugt uns nach unseren bisherigen Eindrücken. Und noch etwas haben wir erfahren: Eine norddeutsche Eigenart, ein ausgelagerter Kirchturm, der sogenannte Glockenstapel schmückt die Sankt Marienkirche Delve. Er ist der älteste seiner Art in Kontinentaleuropa. Im Jahr 1349 wurde ein steinerner kleiner Turm errichtet, gut zwei Jahrhunderte später wurde dieser nach seiner Zerstörung durch einen Bau aus Holz ersetzt. Der Ausdruck Glockenstapel kommt übrigens nicht wirklich vom Glocken stapeln (so hatten wir es noch an der Kirche im Töpferdorf Tellingstedt erfahren), sondern daher, dass eine Holzkonstruktion so gebaut wird, dass sie Lasten tragen kann. Am einfachsten lässt sich das bewerkstelligen, indem man Balken aufeinanderstapelt. Im Fall der Sankt Marienkirche Delve tragen diese seit Jahrhunderten eine Glocke und auch in anderem Zusammenhang ist der Ausdruck Stapel an der Küste ein wichtiger Begriff.
Von der Sankt Marienkirche Delve an den Hafen am Ufer der Eider
Wenn ein Schiff nach dem Schiffbau vom Stapel gelassen wird, heißt dies wortwörtlich, dass dieser vom Holzstapel gelassen und dem Meer überlassen wird. Im Fall von Delve dürfte es um Stapelfahrten auf der Eider gehandelt haben. Auch heute noch gibt es einen kleinen Hafen und eine Fähre von Delve-Schwienhusen nach Erfde-Bargen. Die Bargener Fähre überwand seit dem Jahr 1554 die an dieser Stelle heute über 100 Meter breite Eider. Durch den Bau einer Brücke im Nachbarort Pahlen wurde diese zunächst überflüssig. Dennoch entschied man sich vierzig Jahre nach der Stilllegung der Fährverbindung im Jahr 1961 für eine Wiederaufnahme des Betriebs. Und so besteht seit 2001 wieder die Möglichkeit für eine kleine Schifffahrt über die Eider.
Die Kreisbahn Norderdithmarschen fuhr auch nach Delve
Nachdem wir uns nun ausführlich mit fliegenden Schiffen, Fähren und Sportbooten befasst haben, wollen wir Ihnen noch einen Ort empfehlen, der mit Zügen zu tun hat. Oder zumindest hatte: Die Kreisbahn Norderdithmarschen verkehrte für lange Zeit in der Region. Seit 1906 fuhren die Dampfloks durch Gelände; inzwischen wurden die meisten Teilstrecken zurückgebaut, so auch in Delves südlichem Ortsteil Schwienhusen. Aber das alte Bahnhofsgebäude steht tatsächlich noch. Es war schon immer ein Gasthof, auch schon sein Vorgängerbau. Der Familienbetrieb führte den 13.000 Goldmark teuren Neubau von 1908 auch als Gasthof durch das 20. Jahrhundert. Mit den Backsteinen, den hohen Giebeln und kleinen Türmchen wirkt er seit eh und je sehr einladend. Er rettete sich über alle Generationen hinweg. Inzwischen heißt er Gasthof Dührsen und nach Vorbestellung kann hier auch für Gruppen reserviert werden. Die ideale Einkehrmöglichkeit nach unserem Besuch der fliegenden Schiffe von Delve.
Hinweise
Die Sankt Marienkirche Delve liegt an der Süderstraße 6 in 25788 Delve. Da der Ort sehr klein ist, empfehlen wir ein Parken mit dem Reisebus am Ortsrand.
Der Gasthof Dührsen (Alter Bahnhof) befindet sich in der Schulstraße 2 im von Delve eingemeindeten Stadtteil Schwienhusen. Kontaktnummer für Vorbestellungen: 04803-255 / E-Mail: acduehrsen@t-online.de / ab 10 Uhr ist in der Regel geöffnet.
Der Fähranleger der kleinen Bargener Fähre hat die Adresse: Zur alten Fähre, 25788 Delve.
Die Bargener Fähre verkehrt von Anfang Mai bis Ende September samstags, sonntags und an Feiertagen zwischen 10.00 Uhr und 19.00 Uhr. Die Überfahrt kostet 1 €.