Wer war die vielleicht berühmteste Frau des Mittelalters? Welches Geheimnis verbirgt sich hinter der 850 Jahre alten Doppelkapelle von Schloss Neuenburg? Stammen die Jagdhunde Weimaraner tatsächlich aus Weimar? Wir fahren an die Unstrut ins südliche Sachsen-Anhalt und versuchen Antworten zu geben. Ein Besuch an der Straße der Romanik.
Wir sind wie das Schilfrohr im Fluss. Steigt der Fluss an, dann wird das Rohr gebeugt und zusammengedrückt und das überflutende Wasser durchdringt es, ohne es zu verletzen. Wenn dann die Überschwemmung nachlässt, richtet sich das Rohr wieder auf und wächst mit voller Kraft heiter und vergnügt. So ziemt es uns auch immer, dass wir gebeugt und gedemütigt werden und nachher wieder heiter und vergnügt dastehen. Diese an Unterwürfigkeit grenzenden Worte können nur aus ihrer Zeit heraus verstanden werden. Denn hier hat sich tatsächlich jemand unterworfen; Elisabeth von Thüringen (1207-1231), die ungarische Prinzessin, die aufgrund eines Heiratsversprechens in Thüringen landete, hat ihr kurzes Leben Gott unterstellt und sich für die Armen und Kranken bis zur völligen Selbstaufgabe aufgeopfert. Die bloß 24 Jahre alt gewordene, vom damaligen Papst vier Jahre nach ihrem Tod heiliggesprochene Elisabeth von Thüringen starb in Marburg. Dort war sie dem Inquisitor Konrad von Marburg unterstellt und ergeben. Sie und die Verteilung ihres Erbes (bereits im Alter von 20 Jahren wurde sie zur Witwe) wurden von jenem gelenkt und doch war Elisabeth von Thüringen eigenständig und eigenwillig. Aber vor allem war sie vom Wunsch getrieben, sich in bitterster Armut den Kranken und Kindern zu widmen. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie mit der Pflege von Leprakranken, die zu den ausgestoßensten und marginalisiertesten Menschen des Mittelalters überhaupt gehörten. Auch, so berichten die Chronisten lang vergangener Zeiten, kam es an ihrer Grabstätte immer wieder zu Wunderheilungen. Ein Grund für ihre zeitnahe Heiligsprechung. Wir aber springen zurück in die lebendige Gegenwart von Elisabeth von Thüringen, in die 20er Jahre des 12. Jahrhunderts. Zu jener Zeit war sie mit ihrem damaligen Mann Ludwig IV. von Thüringen (1200-1227) mehrfach auf Schloss Neuenburg. Damals war es noch eine reine Burg und sie gehörte auch noch nicht wie heute zu Sachsen-Anhalt. Aber weit oberhalb der schönen Unstrut lag sie schon immer – und dort begeben wir uns auf Spurensuche, wenn wir mit dem Reisebus beim Besucherparkplatz am Berghotel zum Edelacker geparkt haben. Von hier aus ist es noch ein 5 – bis 10-minütiger ansteigender barrierefreier Spaziergang hinauf zum Schloss Neuenburg.
Die Kapelle auf Schloss Neuenburg ist nach der heiligen Elisabeth von Thüringen benannt
Aber schauen wir uns erst einmal um auf Schloss Neuenburg. Zur Zeit des Todes der inzwischen in Marburg weilenden Elisabeth von Thüringen hatte die Burg bereits enorme Ausmaße. Sie war bereits drei Mal so groß wie die zuvor gegründete weltberühmte und zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Schwesternburg Wartburg. Elisabeth lebte seit ihrem Weggang als 4-Jährige aus Ungarn auf der Wartburg, war aber zur Erziehung an vielen unterschiedlichen Orten in Thüringen. So auch wiederholt auf Schloss Neuenburg. Auch wenn sie den 17-jährigen Ludwig IV. in der Georgenkirche in Eisenach heiratete, sie war damals 14 Jahre alt, so wurde doch bald ein anderer Ort für sie zum vertrauten Refugium und Rückzugsort bei ihren Aufenthalten auf Schloss Neuenburg: die Doppelkapelle. Sie ist ein Teil des Ensembles des heutigen Schlosses und wurde bereits im Jahr 1180 errichtet. Der Hauptgrund, warum Schloss Neuenburg heute an der Straße der Romanik liegt, die zu architektonisch und historisch überwältigenden Ausflugsorten in und um Thüringen herum führt. Während das Gesinde im Erdgeschoss dem Gottesdienst beiwohnte, tat dies die adelige Gesellschaft in der oberen Etage. Noch heute gibt es dort eine vergitterte Falltür im Boden, durch die hindurch die Botschaft Gottes aus den Predigten den Weg in das Ohr der jungen Elisabeth fand. Immer tiefer und fester wurde so ihr Weg in den Glauben. Folgerichtig trägt die Kapelle heute ihren Namen.
Die wechselvolle Geschichte von Schloss Neuenburg
Auch Kaiser Barbarossa (1122-1190) war Gast auf Schloss Neuenburg. Das war vielleicht noch nicht so vornehm wie ein paar Jahrhunderte später. Denn zum Wohnschloss erweitert wurde die Burg erst ab dem 16. Jahrhundert. Die sächsischen Kurfürsten gehörten nun zu ihren Besitzern, ab 1815 (nach dem Wiener Kongress) fiel das Gebiet und somit auch Schloss Neuenburg an Preußen. Auf dem weitläufigen Gelände finden wir Fassaden und Erweiterungen aus all diesen Zeiten. Im Gegensatz zur Wartburg konnte hier viel Altes erhalten werden und es handelt sich nicht um historisierende Neubauten. Das Adelsgeschlecht der Errichter, die in deutschen Geschichtsbüchern unter dem Schlagwort Die Ludowinger vermerkt sind, sind übrigens im Jahr 1247 ausgestorben. Daher kam es zu mehrfachen Besitzerwechseln von Schloss Neuenburg. Bevor uns aber vor Jahreszahlen der Kopf schwirrt, schauen wir uns weiter um. Absolut sehenswert ist der enorm wuchtige Bergfried; er stammt ebenfalls aus der Zeit der Romanik, ist 23 Meter hoch und machte die Burg, die damals unglaubliche 30.000 Quadratmeter umfasste, weithin sichtbar. Heute beherbergt der Dicke Wilhelm das Schlossmuseum. Der zweite Wehrturm wurde im 17. Jahrhundert durch einen Brand vernichtet, geschliffen und erzählt heute nur noch in Form seines im Pflaster angedeuteten Grundrisses von vergangenen Zeiten.
Jagdhunde auf Schloss Neuenburg
Noch eine letzte Geschichte will unbedingt erzählt sein, bevor Sie sich auf der burgeigenen Edelbrennerei mit Spirituosen versorgen oder den Rückweg hinab zum Reisebus antreten: Schloss Neuenburg war selbstverständlich auch stolzes Jagdschloss und als solches wird es mit einer besonderen Skulptur geehrt. Nicht die Göttin der Jagd steht hier hoch erhoben vor uns, sondern es geht bodenständiger zu. Aus dem gar nicht ganz so fernen Weimar stammen die Weimaraner. Die großen erhabenen Jagdhunde mit bernsteinfarbenen Augen und mattgrauem Fell waren ab dem frühen 19. Jahrhundert sehr beliebt und wurden seitdem auch gezüchtet und somit weiter für die Jagd optimiert. Dieser Hunderasse ist auf Schloss Neuenburg ein steinernes Denkmal gesetzt. Bei Ihrem Rundgang über den weitläufigen Burghof werden Sie ihn bestimmt entdecken. Er kann als lebendiger Hund aus Fleisch und Blut über 40 Kilogramm schwer werden und hat eine Größe von bis zu 70 Zentimeter. Damit ist er alles andere als unauffällig.
Schloss Neuenburg und Umgebung
Die Gruppenführungen auf Schloss Neuenburg kosten 8,50 € pro Person (ermäßigt 6,00 €) und finden mittwochs bis sonntags von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr statt. Wenn Sie außerhalb dieser Zeiten in die Mittelalterzeit eintauchen wollen, ist dies gegen einen Gruppenzuschlag von 60 € möglich; eine Exklusivführung (also nur für Ihre angemeldete Reisegruppe) bedeutet einen Aufschlag von 30 €. Bei all diesen Angeboten ist der normale Museumseintritt (6,50 € bzw. 4,00 € ermäßigt) bereits inklusive. Wenn Sie Schloss Neuenburg nur außerhalb besichtigen möchten, werden sie dennoch von den Blicken auf das Unstruttal begeistert sein. Hier wächst der Wein an Hängen, es gibt kleine Wälder und der Blick fällt auf Freyburg an der Unstrut. Dort können Sie übrigens bei einem anderen Ausflug die bekannte Sektkellerei von Rotkäppchen besichtigen. Das passt natürlich zu einer Stadt mit einer 1000-jährigen Winzergeschichte.
Hinweise
Die Adresse von Schloss Neuenburg lautet: Schloss 1 in 06632 Freyburg
Telefonischen Kontakt wegen der Anmeldungen zu einer Führung erhalten Sie über die Rufnummer: 034464-35530 / Alternativ können Sie eine E-Mail an info@schloss-neuenburg.de schreiben
Das Schloss Neuenburg ist von Freyburg aus leicht zu finden und gut ausgeschildert. Die A9 und die A38 führen in etwa 20 Kilometer Entfernung an Freyburg vorbei. Danach folgen Sie den Bundesstraßen B176 bzw. B180
Lesenswert
Die Autorin Sabine Weigand hat einen historischen Roman über das Leben von Elisabeth von Thüringen geschrieben. Die Tore des Himmels ist für 12 € als Taschenbuch erhältlich und zeichnet den Weg einer der berühmtesten Frauen des Mittelalters nach.