Ein Riesenstiefel mit Schuhgröße 330. Da sieht der Gestiefelte Kater alt aus. Packen Sie Ihre Sieben-Meilen-Stiefel ein und dann geht es mit dem Reisebus auf zum Schuster! In Mittelsachsen stehen die größten Stiefel der Welt.
Der Stiefelkrieg zwischen den sächsischen Kleinstädten Leisnig und Döbeln ist beigelegt. Ja, so wurde der Wettstreit tatsächlich genannt, der fast einhundert Jahre zwischen den beiden Ortschaften tobte. Wer hat das Original, wer hat den längsten Schaft, wer die größten Sporen? Was heute eine sehr charmante Episode sächsischer Eigenbrötelei ist, hat einen spannenden Hintergrund. Dem wollen wir bei unserer heutigen Fahrt mit dem Reisebus auf den Grund gehen. Es geht nach Leisnig und ins 10 Kilometer davon entfernte Döbeln – beides liegt in der Nähe der A14 südöstlich von Grimma an der Freiberger Mulde. Auf der Burg Mildenstein und im Rathaus Döbeln soll der Riesenstiefel gesichtet worden sein!
Der Riesenstiefel und die Zunft der Schuhmacher
Das Schusterhandwerk hat eine lange Tradition. Im Grunde beginnt sie ja dort, wo die ersten Menschen von den Bäumen herabgestiegen sind und durch die Savanne liefen zum Jagen. Es brauchte irgendwann einfach Schuhe – und natürlich waren das keine Turnschuhe wie heute, sondern sie bestanden aus natürlichen Materialien. Bald schon setzte sich Tierleder als geeignet und widerstandsfähig durch. Als ehrwürdiges Handwerk hat es eine jahrhundertelange Tradition; wie so oft verdrängten die ersten Fabriken mit ihren industriell gefertigten Modellen die Handwerker. Heute lassen sich Schuster selbst in Großstädten an einer Hand abzählen, das war einmal ganz anders. Zünfte und Handwerkergilden prägten die Umgebung der Burg Mildenstein im Mittelalter seit dem 10. Jahrhundert. Leisnig entwickelte sich über die Jahrhunderte zur fleißigen Schuhmacherstadt. Vor der industriellen Fertigung (auch in einem ortsansässigen Unternehmen) kamen hier auf 30 Einwohner ein Schuhmachermeister oder Lehrling. Im viel kleineren Döbeln war die Lage nicht wirklich anders.
Der Riesenstiefel und andere Märchen
Was hat es aber nun mit dem Riesenstiefel auf sich? Oder gibt es vielleicht sogar mehrere Exemplare? Anlässlich der 600-Jahr-Feier der Schuhmacherzunft in Döbeln fertigten 7 Schuhmachermeister aus 10 Ochsenledern einen bespornten Riesenstiefel. Im Jahr 1925 war das. Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts war er über Jahrzehnte an Leisnig ausgeliehen und dort in einem Museum zu bestaunen. Auch wurde er immer wieder bei Volksfesten eingesetzt. Dann lief er gewissermaßen übers Land und brachte die Bevölkerung zum Staunen. Vielleicht ist so auch die Legende zur Entstehung des etwa 100 Kilometer entfernten Riesa entstanden – ein Riese soll seine Stiefel vor der Überquerung der Elbe ausgeschüttet haben; aus den Steinchen im Riesenstiefel wurde die leicht hügelige Landschaft. Märchen und Sagen haben eine ganz eigene Kraft. Manchmal ist es schwer zu sagen, ob die Wirklichkeit die Fantasie inspiriert oder umgekehrt. Wer kennt nicht das Märchen vom Gestiefelten Kater? Als schlaues Kerlchen macht der Kater dank seiner Schlitzohrigkeit und Finesse seinen von der Erbreihenfolge benachteiligten Herren reich und zum König. Der Gestiefelte Kater wird gar Minister – Kleider machen eben Leute!
Der Riesenstiefel im Rathaus Döbeln
Wieder zurück zur Wirklichkeit. Wenn Sie mit dem Reisebus anreisen, können Sie zunächst zum Rathaus in Döbeln fahren – das hat immer vormittags geöffnet und im großen Sitzungssaal ist der Riesenstiefel aus dem Jahr 1925 zu bestaunen. 2010 wurde er nämlich per Gerichtsbeschluss aus Leisnig zurück überführt. Mit 3,70 Meter Höhe passt er so gerade in den Saal. Da dieser in der Regel aber nur selten für repräsentative Zwecke genutzt wird, ist die Chance gut, dass Sie einen Blick auf das Wahrzeichen von Döbeln werfen können. Wer ganz auf Nummer Sicher gehen will, kann sich auch im Vorfeld nochmal bei der Stadtverwaltung in Döbeln erkundigen, ob nicht gerade eine außerordentliche Sitzung stattfindet. Seien Sie jedenfalls ganz unbesorgt – die Stadt ist stolz darauf, das fast einhundert Jahre alte Meisterstück der Handwerkskunst zu zeigen.
Der Riesenstiefel im Stiefelmuseum auf Schloss Mildenstein
Nicht vorenthalten wollen wir Ihnen aber, wo der wahre Champion aktuell steht. Der Guinnessbuchrekordhalter. Der Stiefel aller Stiefel. 4,90 Meter hoch, eine Sohle von 2,20 Meter Länge und ein Gewicht von 439 Kilogramm. Der Riesenstiefel mit amtlicher Schuhgröße 330 ist im Stiefelmuseum auf Schloss Mildenstein in Leisnig zu bewundern. Anlässlich der 950-Jahrfeier der Stadt Leisnig gelang zwei Schuhmachermeistern der Überraschungscoup. Sie entfernten die Zwischendecke ihrer Werkstatt und werkelten im Verborgenen. Einer völlig begeisterten und überraschten Öffentlichkeit präsentierten sie den Riesenstiefel. Seitdem gibt es ein besohltes Wahrzeichen der Stadt Leisnig. Ein dritter, transportablerer Riesenstiefel soll schon mal in einem Döbelner Brauhaus gesichtet worden sein. Auch wenn der Stiefel inzwischen weitergewandert ist, kann eine Stärkung im Brauhaus nicht schaden. Es war ein schöner Tag zwischen Leisnig und Döbeln.
Hinweise
Wenn Sie ganz sicher sein wollen, dass der Riesenstiefel im Großen Saal des Rathauses in Döbeln an Ihrem geplanten Ausflugstag zu besichtigen ist (in der Regel ist das so), dann können Sie die Stadtverwaltung Döbeln am Obermarkt 1 in 04720 Döbeln kontaktieren. Erreichbar ist sie unter der Telefonnummer 03431-5790 oder unter der E-Mail-Adresse stadtverwaltung@doebeln.de
In Döbeln lohnt es sich außerdem, dem Döbelner Stiefelbrunnen einen Besuch abzustatten. Der liegt etwa 300 Meter vom Rathaus entfernt am Niedermarkt.
Das Stiefelmuseum in der Vorburg von Schloss Mildenstein orientiert sich an den Öffnungszeiten der gesamten Burg. Die Adresse lautet: Burglehn 9 in 04703 Leisnig
Alle weiteren Informationen zur Geschichte der Riesenstiefel (und auch wann mal wieder wo einer öffentlich ausgestellt wird) erhalten Sie über die Stiefelwacht. Erreichbar über info@stiefelwacht.de oder unter der Rufnummer 034321-12186 Aber Vorsicht, die Wächter des Riesenstiefels nehmen ihre Aufgabe sehr ernst. Gewissenhaft geben sie aber auch Auskunft.
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