Wie groß wird ein Stör, was ist das Stapelrecht und wie macht man aus einer Stadt eine Insel? Das sind die Fragen, die wir beim Besuch von Itzehoe beantworten wollen. Hier erfindet sich Schleswig-Holstein neu und bindet sich mit einer Störschleife fest an die Zukunft.
Es ist ein besonderer Moment, als Mitarbeiter des Instituts für Ökologie und Binnenfischerei im Jahr 2009 50 junge Störe in die Stör entlassen. Die Fische, die seit über 200 Millionen Jahren auf unserem blauen Planeten schwimmen, waren in Europa fast ausgestorben; nur eine kleine Population hatte sich im Südwesten Frankreichs erhalten, wo die Gironde in den Atlantik mündet. Störe beginnen ihr Leben in den Flussläufen und verbringen es dann nach mehrmonatiger Wanderung im offenen Meer. Und so ein Störleben kann sehr lang sein, über 100 Jahre alte Störe schwimmen in den Weltmeeren umher. Zum Ablaichen kommen sie, wie wir es etwa von Lachsen kennen, wieder zu den Mittel- und Oberläufen ihrer Flüsse zurück, in denen sie selbst das Nass der Welt erblickten. Die Hoffnung der Forscher ist es, dass die Störe so auch nach Itzehoe zurückkehren. In die Stadt, an der die Stör vorbeifließt, bevor sie etwa 30 Kilometer südwestlich bei Glückstadt in die Elbe mündet. Ob das Projekt wirklich nachhaltig gelingt, ist ungewiss. Über ein Jahrzehnt brauchen Störe bis zur Geschlechtsreife. Tatsächlich wurden um die Jahre 2021 und 2022 die ersten vereinzelten Störe wieder in der Elbe gesichtet. Vermutlich Rückkehrer von den Wiederansiedlungsaktionen aus den Jahren um 2009 herum. Sowohl in die Stör bei Itzehoe, als auch in die Oste (beide Flüsse münden in die Niederelbe, kurz bevor diese die Nordsee erreicht) waren die Störe damals entlassen worden. Jetzt scheint es tatsächlich, als haben einige überlebt und machen sich auf, um zu einem neuen Lebenszyklus beizutragen. Anders als die Lachse sterben die Störe aber nicht nach dem Ablaichen, sondern sie können ihre Wanderung ins offene Meer und zurück zum Fluss ihrer Geburt viele Male in ihrem langen Störleben vollziehen. Zumindest wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommt.
In der Störschleife von Itzehoe schwamm der Stör
Wir berichten Ihnen hier so ausführlich vom Stör, weil Sie ihm bei ihrer Busreise nach Itzehoe sicherlich begegnen werden. Selbstverständlich nicht auf dem Teller in einem Fischrestaurant (die Überfischung war ein Grund für das Aussterben des Störs in Deutschland), aber sicherlich im Straßenbild. Er ist inzwischen so etwas wie der Imagefisch von Itzehoe geworden. Natürlich liegt das daran, dass das 30.000 Einwohner fassende Städtchen im schleswig-holsteinischen Kreis Steinburg an dem nach dem Urfisch benannten Fluss liegt. So ist der Stör in Itzehoe mal an eine Hauswand gesprüht, mal benennt sich ein Geschäft nach ihm oder es gibt ihn als Schlüsselanhänger in einem Souvenirladen. Er unterscheidet sich übrigens in vielen Merkmalen von einem gewöhnlichen Fisch. Er hat keine Schuppen, sondern ähnlich wie ein Hai sogenannte Knochenplatten. Auch in seinem Schwimmstil und seiner Optik kann er an einen Hai erinnern. Der Stör bringt bis zu 300 Kilogramm auf die Waage und kann über drei Meter lang werden. Ein Fisch von gewaltigem Ausmaß also. Neben der Fischerei wurden ihm vor allem die Staustufen und Wehre zum Verhängnis. Der Stör kam und kommt nicht mehr in seine früheren Laichgebiete. Auch wenn inzwischen Millionen in die Renaturierung von Flüssen in Deutschland fließen. Der letzte Stör ist in der Elbe im Jahr 1985 gefangen worden, vor Helgoland im Jahr 1992. Damit hätte die Geschichte des Störs in Deutschland enden können. Heute kämpfen Naturschutzverbände um die Rückkehr des mächtigen Fisches; und das, wie wir sehen können, mit ersten Erfolgen.
Die Störschleife von Itzehoe konnte die Schweden nicht aufhalten
Itzehoe hat aber noch mehr zu bieten als den Stör. Im alten Teil der Stadt (der hier verwirrenderweise Neustadt heißt) findet sich das historische Rathaus aus dem Jahr 1695. Die Jahreszahl prangt auch noch stolz an der Fassade. Es gehört zu den ältesten Gebäuden der Stadt, denn beim großen Stadtbrand von 1657 wurden alle Gebäude bis auf einen Kreuzgang der Laurentius Kirche aus dem 15. Jahrhundert zerstört. In der Mitte des 17. Jahrhunderts gehörte Itzehoe zu Dänemark und beim Krieg gegen Schweden unter Karl Gustav sah man den Kürzeren. Mit verheerenden Folgen: Die Stadt geriet durch Kanonenkugelbeschuss in Brand und selbst das Wasser der Störschleife, welches einst Itzehoe umfloss, half da nicht. Man kam mit dem Löschen nicht mehr hinterher. Dabei war die Idee aus dem frühen Mittelalter eigentlich genial gewesen: In einer Schleife umfloss die Stör damals eine Halbinsel, an deren nördlichstem und höchstem Punkt eine Burg gebaut worden war. Nun wurde die dünne Landzunge der Halbinsel durchstoßen und fortan floss das Wasser der Stör nicht mehr nur um Itzehoe herum, sondern zugleich auch an der Mittelalterstadt vorbei. Man war also auf einer nur über Brücken erreichbaren Insel vor Angreifern geschützt. Aber vor glühenden Kanonenkugeln half leider auch das nicht.
Die Störschleife von Itzehoe einfach mal mit Sand zukippen
Mit der Störschleife nahm es übrigens ein tragisches Ende. Gelang es im Mittelalter noch mit Schleusen das Durchspülen der Störschleife zu bewerkstelligen (die eigentliche Stör floss ja nun an der Stadt vorbei), so versandete der Graben der künstlich geschaffenen Inselstadt zunehmend, nachdem dieses Regulationssystem entfernt worden war. Das setzte sich bis in die Neuzeit fort. Irgendwann blieb der Stadt nichts anderes übrig, als in den 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts über 100.000 Kubikmeter zusätzlichen Sand in den Graben zu kippen. Die Strömung des Fließgewässers war fast vollständig zum Erliegen gekommen; außerdem verursachten Zementindustrie und der dazugehörige Lastenverkehr eine deutliche Verschlechterung der Lebensqualität. Itzehoe entschied sich also, die Reißleine zu ziehen. Dass man dann allerdings auf die versiegelte Störschleife zu großen Teilen eine Bundesstraße baute, brachte der Stadt in den 80-er Jahren den unrühmlichen zweiten Platz in einem Stadtplanwettbewerb mit dem Titel konsequenteste Verschandelung eines historischen Stadtbildes ein. In dieser Realität war Itzehoe nun also angekommen. Eine traurige Entwicklung für das einstmals so erfolgreiche Handelsstädtchen mit Stapelrecht; dieses Recht besagte, dass alle Schiffe, die an Itzehoe vorbeifuhren, ihre Waren entladen und für gewisse Zeit zum Verkauf anbieten mussten. Der wirtschaftliche Aufschwung, der mit so einem Stapelrecht einher ging, war enorm; allerdings war man dann durch den Stadtbrand schon einmal sehr tief gefallen. Doch man rappelte sich auf und das Leben florierte zunehmend wieder. Ein prächtiges Beispiel sei genannt: In der Stadt entstand ein Ableger der Norddeutschen Rundschau. Das festlich wirkende Gebäude ist noch heute ein kleines Stück nordöstlich der Altstadt (die ja hier Neustadt heißt) zu besichtigen. Die Straßennamen in dem Bereich, der früher von der Störschleife umschlossen wurde, geben Aufschluss über die Geschichte von Itzehoe. Für den aufmerksamen Besucher ist das sehr aufschlussreich bei einem kleinen Stadtspaziergang. Die Fischer- und Krämerstraße verweisen auf ihre einstige Bedeutung. Die Kapellenstraße trägt ihren Namen, weil es in der Nähe des historischen Rathauses mal eine größere Kirche gab. Der Straßenname Burg befindet sich an dem Standort, an dem einst die Festung stand und die Wallstraße umschreibt ziemlich genau den Bogen, an dem ein Schutzwall und die davor entlang rauschende Störschleife lag.
Die Neugestaltung der Störschleife von Itzehoe
Wem das Bisherige zu pessimistisch klingt, dem sei gesagt, ein Besuch in Itzehoe lohnt in jedem Fall. Denn die Stadt versucht stadtplanerisch seit geraumer Zeit den Fehlentwicklungen aus den 70-er und 80-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entgegenzuwirken. So ist die ehemalige Störschleife mit etwas Fantasie durchaus noch wahrnehmbar. Wie ein grünes Band, flankiert von Fahrradwegen und einzelnen langgezogenen Teichen zieht sich eine hufeisenförmige große Kurve durch den alten Teil von Itzehoe. Und das ist noch längst nicht alles: Im Jahr 2023 hat die Stadt endgültig beschlossen, dass Itzehoe seine Störschleife zurück bekommen soll. Zwar nicht vollständig und nicht tideabhängig mit dem Pegelstand der echten Stör gekoppelt, aber doch deutlich wahrnehmbarer, als es heute noch der Fall ist. Das gesamte Itzehoer Theaterhaus am nördlichen Ende der Neustadt soll von einer neuen Störschleife umflossen werden; samt grünen Oasen, Wasserspielplatz und parkähnlich gestalteten Terrassen. Itzehoe scheint im ewigen Wandel begriffen, schaut auf eine fast 800-jährige Stadtgeschichte zurück (nimmt man die Verleihung des Stadtrechts im Jahr 1238 als Grundlage) und muss sich nicht vor der Zukunft verstecken. Am besten überzeugt man sich selbst davon bei einem Ausflug mit dem Reisebus.
Hinweise
Itzehoe liegt 50 Kilometer nordwestlich von Hamburg. Von der A23 aus eignen sich die Ausfahrten Itzehoe-Süd und Itzehoe-Mitte. Große Parkplätze gibt es östlich der Neustadt an der Schumacherallee und in der Nähe der Malzmüllerwiesen.
Wenn Sie von Süden kommen, können Sie auch noch vor der Delftorbrücke an der Volkshochschule parken. Dann können Sie auch einen Blick auf die fließende Stör werfen.
Das historische Rathaus von Itzehoe finden Sie im Stadtzentrum Am Markt.
Hier befindet sich auch das Restaurant Amadeus. Es liegt somit im Herzen der Neustadt und hat montags bis sonntags von 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr und von 17.00 Uhr bis 23.00 Uhr (Fr/Sa bis 23.30 Uhr) geöffnet. Reservierungen werden nur telefonisch unter der Rufnummer 04821-5527 entgegen genommen. Es gibt einen schönen großen Freisitz zwischen Hecken und im Innern gibt es viel Holz. Dazu gibt es von Pizza und Nudelgerichten über Schnitzelgerichte und Aufläufe bis zu Salaten und Suppen ein vielfältiges Angebot. Diverse Biere vom Fass runden die große Auswahl ab. Stör ist auch hier bis auf Weiteres zum Glück nicht zu bekommen!