Eine Scheinbeerdigung deckt eine heimliche Liebesbeziehung, aus der 10 Kinder hervorgehen. Der wilde Heinz verfällt seiner Mätresse Eva von Trott und erzürnt damit selbst Martin Luther. Auf der Liebenburg in Niedersachsen war Chaos im Mittelalter; heute steht hier ein Schloss mit barocker Kirche.
Die Trauerglocken der kleinen Burgkapelle läuten, als die langjährige Mätresse von Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig (1489-1568) zu Grabe getragen wird. Allerdings nicht auf der Liebenburg, sondern im ebenfalls niedersächsischen Gandersheim. Eva von Trott (1506-1567), so der Name der Geliebten, war ursprünglich nur die Hofdame der Ehefrau von Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig. Der Skandal der unehelichen Kinder mit Eva von Trott ließ sich nicht so richtig verbergen und so ging vielleicht ein Aufatmen durch die Burgmauern von Liebenburg, als der Tod der Geliebten Heinrichs verkündet wurde. Doch weit gefehlt; der gerissene Heinrich brachte Eva von Trott fast ein Jahrzehnt auf der Burg Stauffenburg im Harz unter, wohlgemerkt nach einer inszenierten Scheinbeerdigung. Den drei unehelichen Kindern folgten auf diese Weise sieben weitere an der Zahl. Mit seiner rechtmäßigen Ehefrau Maria von Württemberg (1496–1541) hatte er außerdem auch elf gemeinsame Kinder. Das außereheliche Verhältnis und insbesondere die vorgetäuschte Beerdigung zur Aufrechterhaltung der Liebschaft brachten Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig sogar eine Schmähschrift von Martin Luther (1483-1546) ein; und den Ruf als wilder Heinz von Wolfenbüttel. Da war was los im Mittelalter, möchte man ausrufen!
Schloss Liebenburg war ein Lustschloss des 18. Jahrhunderts
Wo sich einst eine Burg auf einer Anhöhe befand, steht heute das Schloss Liebenburg. Die alte, noch aus dem 13. Jahrhundert stammende Burg auf einem Höhenzug nördlich des Harzes wurde 1750 weitestgehend abgetragen. Da jedoch die geografische Lage auch als inspirierend für die Erbauung eines Lust- und Jagdschlosses empfunden wurde, ging es schon 1754 weiter mit dem Bauen. Das Schloss Liebenburg fiel zwar aufgrund des beginnenden Siebenjährigen Krieges (1756-1763) deutlich kleiner aus als geplant, dennoch wurde das im Rokokostil errichtete Schlösschen eine Zierde für die Gegend. Insbesondere die architektonische Integration einer barocken Kirche in den einflügeligen Bau mit zwei symmetrisch wirkenden Fassaden galt als besonders. Wer genau hinschaut, erblickt auf dem zweireihigen, mit Gauben reich bescherten dunklen Dach die Kirchturmuhr. Sie ist so integriert, dass sie fast wie ein Fenster wirkt. Der Kurfürst nutzte Schloss Liebenburg als Sommerresidenz.
Vor Schloss Liebenburg gab es die mittelalterliche Burg
Wenn wir uns für einen Ausflug mit dem Reisebus nach Schloss Liebenburg entschieden haben, interessieren wir uns ohnehin auch für die noch erkennbaren Spuren vergangener Jahrhunderte. Teile der Ringmauer sind ebenso erhalten wie ein abgerundeter Flankierungsturm und ein außerhalb der ehemaligen Festung liegender Wehrturm, der sogenannte Hausmannsturm. Es ist ein massiver kreisrunder Bau mit meterdicken Wänden und Schießscharten. Von hier aus konnte die Landschaft in die Richtung hin überblickt werden, deren Kontrolle von der Burg aus nicht möglich war. Ob ein 2005 entdeckter Geheimgang, der von der ehemaligen Hauptburg ins freie Gelände führt, auch einen Zugang zum Hausmannsturm hatte oder hat, ist noch immer fraglich. Es wird vermutet, aber noch ist es ein Rätsel der Geschichte. Fest steht, dass die Burg Liebenburg einst sieben Türme hatte und damit die stärkste Schutzburg im Harzvorland war. Vor großen Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und vor ihrer zeitweisen Einnahme durch die Schweden schützte sie das dennoch nicht. Und so fühlen wir uns auf dem ganzjährig frei zugänglichen Burggelände von Schloss Liebenburg wie inmitten von Schlachtgetöse, Rückzug und Eroberung. Begriffe wie Braunschweiger Territorium, Hildesheimer Stiftsfehde oder Quedlinburger Rezess wabern uns durch die Zeit entgegen. Wir können nicht Licht in alles Dunkel der Geschichte bringen, aber sicher ist, dass der berühmte Feldherr Wallenstein (1583-1634) hier im Dreißigjährigen Krieg sein Hauptquartier bezogen hatte. Zu Wallenstein hat Friedrich Schiller (1759-1805) ein dreibändiges Werk verfasst und auch eine Oper des jüdischen Komponisten Jaromir Weinberger (1896-1967) ist nach dem Feldherren benannt. Ruhm, Aufstieg und Fall; mächtige Worte, die erlebbar werden, wenn wir mit den Händen über die dicken Natursteinwände streifen oder versuchen, die Ausmaße des Burggrabens zu kalkulieren. Am nachhaltigsten ist vielleicht der Eindruck, den dabei die Besteigung des Hausmannsturmes von Schloss Liebenburg hinterlässt. Nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung erhielt er eine Wendeltreppe und auch in den letzten Jahrzehnten wurde erfolgreich weiter saniert. Ein Dach schützt ihn vor der Verwitterung und eine unauffällige Reihe sehr schmaler Oberlichter lässt den Schein des Tages auf die alten Mauern fallen. Der Wehrturm wurde im 15. Jahrhundert errichtet und hatte im Obergeschoss sogar einen Kamin für die kühlen Nächte, die hier im östlichen Niedersachsen mit dem Herbst Einzug halten.
Die Kirche von Schloss Liebenburg
Die barocke Saalkirche, die in ihrem Innern eine an drei Seiten entlang führende Empore hat, ist vor allem für ihr über 100 Quadratmeter großes Deckenfresko berühmt. Im Jahr 1758 malte der in Deggendorf geborenen Maler Joseph Gregor Winck (1710-1781) Etappen aus dem Lebenszyklus des Heiligen Romanus. Umwölkt von blau-weißem Himmel und kräftigen Farben. Die katholische Kirche setzt in diesem Fall auf eine hellweiß gestrichene Empore und ebensolche Bänke. Ansonsten bestimmen Farbtöne in Pastell den Innenraum des heiligen Kirchenschiffes. Hier ein zartes Rosa, dort ein blasses Blau. Die Orgel wirkt fast elfenbeinfarbig und glänzt durch ihre golden schimmernden Beschläge und Ornamente. Doppelsäulen aus ebenfalls weiß gestrichenem Holz ragen von der Empore zum Deckenhimmel. Das wirkt leicht und sehr rein. Führungen durch die Kirche sind möglich, obwohl das Schloss Liebenburg seit Jahrzehnten in Privatbesitz ist. Die Kontaktaufnahme erfolgt über das zuständige Pfarramt in Liebenburg oder über das Bürgerbüro. Die Kontaktdaten haben wir Ihnen in den Hinweisen zusammengestellt.
Auf Schloss Liebenburg gibt es einen Skulpturengarten
Entscheiden Sie sich noch für einen Gang über das Gelände von Schloss Liebenburg, dann werden Sie mit abstrakter Kunst konfrontiert. Verrostete Eisenskulpturen in entfremdeter Kreuzform, aufgerichtete Steinplatten, labyrinthische Metallgitter und Himmelsscheiben knüpfen in moderner Form an die Tradition von figürlichen Skulpturen in barocken Gärten an. Da der Schlosspark seinerzeit im Jahr 1761 nicht vollendet werden konnte (und ihm folglich eben diese Skulpturen fehlen), wurde das terrassierte Gelände in den 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts modern gestaltet. Die heutigen abstrakten Skulpturen sind Teil eines größeren Projektes, welches sich von Verdun in Frankreich über Berlin bis nach Warschau und zur russischen Hauptstadt erstreckt. Als Straße des Friedens sollte sie einst Ausdruck einer gebeutelten Generation sein, die gerade erst auf den Ersten Weltkrieg zurückblickte. Die Grundidee stammt also aus den 20-er Jahren; bis zum heutigen Tag sind bereits 80 abstrakte Skulpturen verwirklicht worden. In friedlicheren Zeiten kommen hoffentlich noch weitere Kunstwerke dazu. Bis es soweit ist, lohnt sich jedes Frühjahr ein Besuch auf Schloss Liebenburg besonders – beispielsweise wird jeweils an einem Sonntag im Mai auf dem weitläufigen Gelände von Schloss Liebenburg das Marienfest begangen. Dann werden von der katholischen Gemeinde unter freiem Himmel ein Altar, ein übergroßes Marienbildnis und die Skulptur einer Madonna aufgestellt. Wer eher keinen Zugang zur Religion hat, kann sich an der frühsommerlichen Atmosphäre erfreuen.
Hinweise
Die Burganlage mit Schloss Liebenburg finden Sie Am Burgberg 32 in 38704 Liebenburg. Einen Parkplatz finden Sie unterhalb des Burgberges, am Gitterweg 1; von der Parkfläche aus führt ein etwa 700 Meter langer Weg die Anhöhe hinauf zur ehemaligen Burg.
Kontakt für die Gruppenführungen durch die barocke Kirche von Schloss Liebenburg entweder über das zuständige katholische Pfarramt (Telefon 05346-1484) oder über die Gemeinde Liebenburg (Telefon 05346-900033 bzw. 05346-900034).
Die Anfahrt nach Liebenburg erfolgt über die A36, die entlang der Grenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt führt. Die Ausfahrt heißt Schladen-Nord und dann fahren Sie über Neunkirchen direkt nach Liebenburg.
Da sich Schloss Liebenburg in Privatbesitz befindet, gibt es keine Gastronomie auf der Burg. Allerdings finden Sie in der Nachbarschaft zum Parkplatz das Waldcafé Liebenburg. Es liegt an der Poststraße 2 in 38704 Liebenburg. Hier können Sie sich vor dem Aufstieg zum oder nach dem Abstieg vom Schloss Liebenburg stärken. Kontaktrufnummer: 05346-3009666.
Lesenswert
Der historische Roman Nach dem großen Kriege von Wilhelm Raabe aus dem Jahr 1861 streift die Affäre zwischen Eva von Trott und Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig; es ist natürlich Geschmackssache, ob man sich einen solch alten Schinken als Reisevorbereitung einverleiben sollte. Wer sich besonders für Geschichte interessiert, ist mit dieser Empfehlung aber auf jeden Fall gut beraten.