Er war ein deutscher Kirchenliederfürst. Er war bescheiden, ruhig und vom Leben hart angefasst. Der Theologe Paul Gerhardt wurde im frühen 17. Jahrhundert in Gräfenhainichen geboren. Das liegt heute in Sachsen-Anhalt und hat Kirchen, Kapellen, mittelalterliche Stadttürme und einen Wasserturm als Aussichtswarte zu bieten.
Der Tag ist nun vergangen / die güldnen Sternlein prangen / am blauen Himmelssaal / also werd ich auch stehen / wenn mich wird heißen gehen / mein Gott aus diesem Jammertal. Aus welchem irdischen Jammertal der Autor dieser Zeilen im Jahr 1676 entschwand, wird dem nachdenklichen, sensiblen Theologen und Lutheraner selbst am intensivsten bewusst gewesen sein. Der in Gräfenhainichen geborene Paul hatte es nicht immer leicht gehabt. Als 12-Jähriger verlor er seinen Vater und als 14-Jähriger seine Mutter. Sein einziger Bruder, der zwei Jahre ältere Christian, starb, als Paul dreißig Jahre alt war. Und auch die Zeiten und äußeren Umstände waren hart. Ein nicht enden wollender Krieg tobte über Europa und die Pest grassierte. Auch war es noch keine hundert Jahre her, dass Martin Luther (1483-1546) große Umbrüche in der Religion losgetreten hatte – auch nicht einfach für einen Theologen. Von keinem geringeren ist hier die Rede als von Paul Gerhardt (1607-1676), einem der größten Lyriker und Verfasser von Kirchenliedern. In seine Geburtsstadt nach Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt fahren wir heute mit dem Reisebus.
Die Paul-Gerhardt-Kapelle
In seinem Geburtsort wird Paul Gerhardt mit einer Kapelle geehrt, die in den Jahren 1830-1844 errichtet wurde. Da war der Kirchenlieddichter schon über 150 Jahre verstorben. Das klassizistische Bauwerk ist strahlend weiß und das Portal wird von vier Säulen getragen. In der Mitte eines schwarzen Schieferdaches wirkt ein Turmhäubchen leicht schwebend, es ruht ebenfalls auf Säulen; allerdings auf sehr zarten. Die Kapelle wirkt fast, als würde ein Geistlicher seine schwarze Kopfbedeckung, das Birett, kurz zum Gruße heben. Das Gewand darunter ganz in heiligem Weiß. Zum Geistlichen hatte es auch Paul Gerhardt gebracht. Er galt wie sein geliebter Bruder Christian schon auf der Fürstenschule Grimma als gelehrig, fleißig und begabt. Dort war er seit seinem 15. Lebensjahr. Im Anschluss zog es Paul zum Theologiestudium nach Wittenberg, wo er sich intensiv mit der noch immer relativ neuen Lehre von Martin Luther beschäftigte. Als lutherischer Theologe schloss er schließlich auch im Jahr 1651 in Berlin die nächste Etappe erfolgreich ab: Er wurde in der bis heute berühmten Berliner Nikolaikirche geprüft und dort für gut und würdig befunden. Im Anschluss bekam er eine Stelle in Mittenwalde südlich von Berlin. Dort war er als Theologe nun in seinem Element. Er predigte, hielt das Abendmahl ab und begleitete Taufen, Eheschließungen und Beerdigungen. Viel später, in den 60-er Jahren des 17. Jahrhunderts, wurde er sogar selbst als Diakon in die Nikolaikirche nach Berlin gerufen. Die Kirche, die ihm bei seiner Prüfung für die Erlangung der geistlichen Würden noch Glück gebracht hatte, ließ ihn diesmal nach ein paar Jahren fallen; schlimmer noch, nach Auseinandersetzungen über die lutherische Theologie wurde er vom Kurfürst seines Amtes enthoben. Paul Gerhardt war vielleicht trotz seines dann schon fortgeschrittenen Alters zu progressiv für die Zeit; ein ihm vorgelegtes sogenanntes Toleranzedikt unterschrieb er jedenfalls nicht. Und als ihm wegen seiner zwischenzeitlich erlangten Popularität doch noch der mögliche Rückweg in die Nikolaikirche geebnet wurde, lehnte er selbst ab. Paul Gerhardt blieb sich treu. Im Jahr 1667 war er nun also als 60-jähriger erst einmal arbeitslos. Ein Jahr später stirbt auch seine Frau. Ein weiterer Tiefpunkt in dem immer auch von schweren Schicksalsschlägen begleiteten Leben von Paul Gerhardt. Er verstand es allerdings stets, die Schmerzen der Welt fruchtbar zu machen. Immer mehr Kirchenliedtexte entstanden und sie prägen bis heute die protestantischen Gesangsbücher.
Das Paul-Gerhardt-Haus
Durch die Paul-Gerhardt-Kapelle können Sie sich nach Voranmeldung führen lassen. Ab sechs Personen besteht die Möglichkeit zu einer solchen Begleitung; dabei fallen 15 Euro Grundgebühr und 2 € pro Person an. Dabei erfahren Sie viel Wissenswertes über das Leben von Paul Gerhardt. Außerdem befindet sich eine kleine Dauerausstellung in der Kapelle. Nur von außen besichtigen können Sie dagegen das Paul-Gerhardt-Haus. Das ist nicht etwa das Geburtshaus des Theologen in Gräfenhainichen, sondern ein Gebäude, welches anlässlich des 300. Geburtstags von Paul Gerhardt im Jahr 1907 als christliches Vereinshaus errichtet wurde. Streng genommen war das Haus allerdings erst im Jahr 1909 fertiggestellt. Und wenn wir es ganz genau nehmen, dann kann das kleine Gesamtkunstwerk, welches auch heute noch das Gemeindehaus der protestantischen Kirche in Gräfenhainichen ist, erst seit 1911 als vollendet gelten. Denn drei Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs erschuf der Berliner Bildhauer Friedrich Pfannschmidt (1864-1914) eine sehenswerte Skulptur von Paul Gerhardt; diese steht in einem Torbogen vor der Fassade. Pfannschmidt selbst sollte dann ganz früh im Ersten Weltkrieg sterben; immerhin war er da schon 50 Jahre alt und hatte seine dreidimensionale lebendige Bildsprache bereits voll entwickelt. Davon können wir uns am Paul-Gerhardt-Haus eindrucksvoll überzeugen.
Gräfenhainichen von oben – dem Himmel von Paul Gerhardt so nah
Wenn Sie dann noch Zeit haben, können Sie sich noch ein wenig im lieblichen 12.000 Einwohner großen Gräfenhainichen umschauen. Nicht nur, dass auf halber Strecke zwischen der Taufkirche von Paul-Gerhardt und der Paul-Gerhardt-Kapelle die Touristeninformation und ein Lokal mit gutbürgerlicher deutscher Küche liegt (das Hänicher Stübchen); es gibt auch weitere Gründe für eine kleine Stadtbesichtigung. Da ist beispielsweise der fast 40 Meter hohe Wasserturm von Gräfenhainichen, der nach Voranmeldung beim Zweckverband für Wasserversorgung besichtigt werden kann (E-Mail: info@zwag-gehe.de / Telefon: 034953-22109). Von oben hat man eine tolle Aussicht über das Städtchen; immerhin ist der Wasserturm nach dem Kirchturm von Sankt Marien die zweithöchste Landmarke. Außergewöhnlich schnuckelig erscheint das Fachwerkrathaus von Gräfenhainichen. Durch seine markante Straßenecklage ist es ein Blickfang. Der Ort, schon im 13. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt, aber zu der Zeit Paul Gerhardts im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) völlig gebrandschatzt, hat sich dennoch einige markante Bauwerke erhalten. Der untere und obere Stadtturm stammen aus dem 14. beziehungsweise 15. Jahrhundert. Diese mittelalterliche Stimmung lohnt es auch zur Weihnachts- und Winterzeit zu erleben. Ohnehin passt das gut zu dem andächtigen Kirchenlyriker Paul Gerhardt, der für Kirchenlieder wie Ich steh an Deiner Krippen hier besonders bekannt ist. Wen die Verse am Beginn unseres Artikels an den Text von Der Mond ist aufgegangen von Matthias Claudius (1740-1815) erinnert haben, der liegt nicht ganz falsch. Matthias Claudius soll beeindruckt und inspiriert gewesen sein von Versen aus dem Gedicht Nun ruhen alle Wälder. Es wurde schon im Jahr 1647 von Paul Gerhardt verfasst. Mit friedlichen und demütigen Versen aus diesem sich mit einer Melodie von Johann Sebastian Bach verbindendem Gedicht wollen wir Sie heute entlassen: Nun geht, ihr matten Glieder / geht hin und legt euch nieder / der Betten ihr begehrt / Es kommen Stund und Zeiten / da man euch wird bereiten / zur Ruh ein Bettlein in der Erd.
Hinweise
Die protestantische Stadtkirche St. Marien befindet sich am Kirchplatz 3 in 06773 Gräfenhainichen. Einen Kontakt bekommen Sie über die Rufnummer: 034953-22060.
Die Paul-Gerhardt-Kapelle liegt an der Rudolf-Breitscheid-Straße 1 in 06773 Gräfenhainichen. Kontakt: kultur@graefenhainichen.de oder 034953-257618.
Das Paul-Gerhardt-Haus befindet sich an der Karl-Liebknecht-Straße 17 in 06773 Gräfenhainichen.
Das Gasthaus Hänicher Stübchen finden Sie an der August-Bebel-Straße 12 in 06773 Gräfenhainichen. Im Außenbereich bietet es 14 Sitzplätze, im Innern aber 30. Kontaktrufnummer für Reservierungen: 034953-134224.
Bei der Schwimmhalle und dem Sportplatz am westlichen Ende von Gräfenhainichen finden Sie einen großen Parkplatz, an dem Sie auch mit dem Reisebus stehen können.
Nach Gräfenhainichen kommen Sie gut, wenn Sie auf der A9 die Ausfahrt Dessau-Ost nehmen und dann über die B107 fahren. Alternativ können Sie direkt von Wittenberg über die B2 und die B100 kommen. Der Gremminer See mit seiner Stadt aus Eisen (Ferropolis) liegt in unmittelbarer Nähe und ist ebenfalls ausgeschildert.
Lesenswert
In protestantischen Gesangsbüchern finden Sie gut zwei Dutzend Liedtexte von Paul Gerhardt. Wenn Sie sich mit denen einmal bewusst befassen, brauchen Sie eigentlich keine Biografie mehr über den Theologen lesen. Sich Paul Gerhardt auf diese Weise anzunähern, wäre sicherlich in seinem Sinne gewesen.