Wir erzählen die Geschichte von einem Seepferdchen aus Stein und einer versunkenen Insel in Hufeisenform. Von einem Diamantenhändler aus Nordfriesland berichten wir und von einem Heimatforscher, der das Wattenmeer groß raus gebracht hat. Alles verdichtet sich zu einer Erzählung über das nordfriesische Atlantis – und zu einem Besuch im Nordfriesland Museum in Husum.
Es waren schon sturmgepeitschte Tage gewesen, als es Mitte Januar des Jahres 1362 zur Katastrophe kam. Hinter den niedrigen Sommerdeichen, auf den etwas höher gelegenen Warften, auf denen die Häuser standen, stieg und stieg das Wasser. Die gigantische Sturmflut, die in der Nacht zuvor schon eine britische Küstenstadt hat im Meer versinken lassen, trieb die wilden Wassermassen unablässig höher und höher. Die Deiche brachen und schon schrie das Vieh auf den Wiesen. Die Menschen brachten sich noch auf den Dächern der Scheunen in Sicherheit, aber der vermeintliche Schutz war trügerisch. Alles riss und spülte der Blanke Hans mit sich; so wurde und wird hier im Norden das nordfriesische Meer bei Sturmflut gerufen. Es gab kein Entrinnen für Schafe, Kühe, Männer, Frauen und Kinder. Und so ging als Grote Mandrenke (in etwa das große Ertrinken) in die Geschichte ein, was in einer eisigen mittelalterlichen Winternacht für tausende von Menschen an Grausamkeit sicher kaum zu überbieten war. Eine ganze Stadt ging unter, samt Kirche, Marktplatz, dutzender Häuser und Brunnen. Es ist nicht untertrieben, von einem nordfriesischen Atlantis zu sprechen, welches in den Wellen versank; tief vergraben in Schlick, Watt und gesponnenen Legenden. In einem Gedicht von Detlev von Liliencron (1844-1909) aus dem Jahr 1883 heißt es: Ein einziger Schrei – die Stadt ist versunken / Und Hunderttausende sind ertrunken. Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch / Schwamm andern Tags der stumme Fisch. / Heut bin ich über Rungholt gefahren, / Die Stadt ging unter vor sechshundert Jahren.

Vor hunderten von Jahren im Meer versunken: das sagenumwobene Rungholt
Die Legende von Rungholt, so der Name des versunkenen nordfriesischen Atlantis, geht wie folgt: Bei einer derben Feier machten Männer ein Schwein betrunken und nötigten einen Pfarrer das arme, in ein Bett verfrachtete Tier zu salben, wie es bei Kranken üblich war. Erzürnt über diese Entweihung eines heiligen Sakraments betete der Pfarrer zu Gott und bat um Strafe für die Sünder und für den Hochmut der Betrunkenen. Noch in derselben Nacht soll der zürnende Gott Rungholt gestraft und für immer vom Erdboden getilgt haben. Für immer? Nicht ganz? Das Watt ist geduldig. Und so kam es, dass im Laufe der Jahrhunderte bei Ebbe Fundstücke im Wattenmeer auftauchten. Fundstücke, die sich nach und nach zu einem Kaleidoskop der Katastrophe verdichteten. Scherben von Tonkrügen, Metallfunde, Steine von Häusern und schließlich ganze Grundrisse von Brunnen, Deichen und Gebäuden wurden wieder ans Licht der Gegenwart gebracht. Mehr oder weniger deutlich. Mit jedem Atmen des Meeres. Während der Ebbe wurden die Spuren sichtbar, mit der Flut verschwanden sie wieder in der See. Einer der ersten, der auf eindeutige Zeichen stieß, war der Heimatforscher Andreas Busch (1883-1972). Es gab immer wieder mündliche Überlieferungen und auch Funde aus dem Watt, aber in den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts konnte eine Holzschleuse eindeutig als solche identifiziert werden. Ein Balken wurde geborgen, Jahrzehnte später noch weitere Schleusenbalken. Mit modernen Altersbestimmungsmethoden konnte ihre Jahrhunderte alte Herkunft bestätigt werden. Einer der Balken hat es in das Nordfriesland Museum geschafft, in welchem dem nordfriesischen Atlantis zu Recht viel Raum zugestanden wird. Wir besuchen es heute mit dem Reisebus.

Das Nordfriesland Museum in Husum erzählt viel mehr als die Geschichte vom nordfriesischen Atlantis
Der berühmteste Sohn der Stadt Husum ist Theodor Storm. Ihm zu Ehren gibt es ein Museum in einem ehemaligen Wohnhaus der Familie Storm; darüber hat der Buskompass bereits berichtet. Daneben gibt es ein Museum, das mit dem Begriff Heimatmuseum weit unter Wert verkauft würde. Nach Wunsch des 1924 in Brooklyn verstorbenen Stifters sollte es Museum, Bildungseinrichtung, Volkshaus, öffentlicher Ort und Kulturbau werden. Die Geschichte dahinter ist spannend: Der 1855 in Husum geborene Ludwig Nissen wanderte als 16-Jähriger nach New York aus, kam dort als Diamantenhändler zu Reichtum, besuchte erst 50 Jahre nach seiner Auswanderung seine Geburtsstadt wieder und vermachte ihr doch sein ganzes Vermögen. Davon wurde auf seinen testamentarischen Wunsch hin eine Stiftung gegründet, die es bewerkstelligte, von 1934-1937 das vom Mäzen gewünschte Ludwig Nissen Haus zu errichten. Das Portal des Klinkergebäudes ist beeindruckend; drei Rundbögen begrenzen das Gebäude zum nordfriesischen Himmel hin und lassen in ihrer abstrakten Form an die Wellen des Meeres denken. Die drei Plastiken in den drei Rundbögen zeigen einen Meeresgott in Pferdeform, einen Ochsen und einen Phönix. Symbolisch stehen sie für das Meer, das Land und die Erneuerung. Und das trifft es auch, was im Nordfriesland Museum gezeigt wird. Es geht um die Deiche, die Schleusen und das Meer. Präsentiert werden Informationen zur Fischerei ebenso wie zur Landwirtschaft und zu den Schafen, welche die Deiche schützen. Es geht um das beständige Bestreben nach Aufbau, Wiederaufbau, Besiedlung und Landgewinnung. Und mittendrin geht es um die Legende von Rungholt, die – so haben wir es inzwischen erfahren – keine erfundene Geschichte ist, sondern ein unglaublich spannendes Puzzle einer wahren Begebenheit. Einer Tragödie mit epochalem Ausmaß; zugetragen hat sie sich im nordfriesischen Wattenmeer. Direkt vor unserer heimischen Haustür. Bei einer Führung für die Busreisegruppe erfahren wir auf Wunsch noch mehr Details, Geschichten und Mythen rund um Rungholt. Es gibt Interaktionen für Groß und Klein, das Haus ist über Aufzüge barrierefrei zugänglich und der Eintritt kostet 7 €. Bei Gruppenführungen gibt es Paketpreise. Ein kleines Café gibt es ebenfalls im Haus.

Und was hat Husum jetzt mit dem nordfriesischen Atlantis zu tun?
Zum Abschluss wollen wir noch die Frage klären, warum das Nordfriesland Museum mit seiner Ausstellung zum nordfriesischen Atlantis ausgerechnet in Husum gelandet ist; wir wollen also den geografischen Begebenheiten auf den Grund gehen. Direkt vor Husum liegt die eingedeichte Halbinsel Nordstrand. Von Nordstrand aus kann man mit der Fähre in 30 Minuten zu der ein Stück weiter draußen in der Nordsee liegenden Insel Pellworm hinüber schippern. Pellworm wurde dank niederländischer Deichbauerfahrung komplett eingedeicht und liegt einen Meter unter dem Meeresspiegel; nach einer Jahrtausendflut im Jahr 1634 konnte Pellworm auf diese Weise als fast einziges Stück Land langfristig gesichert werden. Denn nachdem Rungholt schon gut 250 Jahre zuvor im Meer versunken war, spaltete die aufgrund drehender Winde von zwei Seiten hereinbrechenden Jahrtausendflut die verbliebene große Hauptinsel Strand in zwei Teile. Ursprünglich umfasste das 200 Quadratkilometer große Strand ein Gebiet von Pellworm bis Nordstrand und bildete auf der Landkarte die Form eines umgedrehten Hufeisens. Nun aber wurde ihr Kernland 1634 unumkehrbar hinfort gespült. Der Dreißigjährige Krieg (ab 1618) und Pestepedemien hatten zur Vernachlässigung des Deichschutzes geführt. Übrig blieben nach der Jahrtausendflut das Wattenmeer und im Norden eine kleine Hallig, die aufgrund ihrer höheren Lage als zunächst unbesiedeltes Hochmoor ebenfalls überlebte. Sie heißt wunderbar selbsterklärend Nordstrandischmoor. Im Nordfriesland Museum lernen wir, dass der Torf des Moores großen Anteil an den Sturmflutkatastrophen hatte; beziehungsweise daran, dass der Untergrund nicht standhielt. Man hatte sich über Jahrhunderte wortwörtlich den Boden unter den Füßen weggegraben; das Vorhaben hatte der Salzgewinnung gedient. Das brachte einigen Wohlstand (eher für die Händler als für die hart arbeitenden Torfstecher) und letztlich den Untergang. Selbst ein regionaler Dialekt, das Strander Friesisch ist für immer verloren. Aber wo Niedergang ist, ist immer auch Aufbruch: Husum, welches zuvor eine kleine, eher unbedeutende Stadt im Hinterland war, kam nun als Hafenstadt groß raus. Bis heute hat Husum einen kleinen, bei den Touristen sehr beliebten Binnenhafen und einen vorgelagerten größeren, etwas industriell anmutenden Frachthafen. Hier laufen die Fischkutter ein, welche die Fänge aus der Nordsee ans Festland bringen. Während man bei der Fahrt mit der Fähre von Nordstrand nach Pellworm direkt über das versunkene nordfriesische Atlantis reist, sind die Fischkutter von Husum aus auf einem etwas südlich von Rungholt gelegenen Kurs unterwegs, wenn sie auf die offene Nordsee hinaus fahren. So ist der Untergang einer kleinen regionalen Mittelaltermetropole mit dem Aufschwung einer kleinen Handelsstadt verknüpft, welche sich bis heute erfolgreich im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer behauptet hat.

Hinweise
Das Nordfriesland Museum in Husum finden Sie an der König-Friedrich-V.-Allee in 25813 Husum. Es hat ganzjährig dienstags bis sonntags von 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr geöffnet. Nicht aber an Weihnachten, Silvester und Neujahr. Um eine Führung zu vereinbaren, schreiben Sie bitte eine E-Mail an kasse@museumsverbund-nordfriesland.de oder wählen die Rufnummer: 04841-2545.
Von der A7 zweigen Sie bei der Abfahrt Schleswig in Richtung Schuby ab und folgen der B201 nach Husum. In Husum steuern Sie am besten den großen Parkplatz am Binnenhafen Husum an der Gaswerkstraße an. Dann können Sie den Weg zum Friesland Museum noch mit einem Abstecher beim Binnenhafen oder beim Theodor-Storm-Museum verbinden.
Lesenswert
Der Band Rungholt: Rätselhaft und widersprüchlich ist anlässlich einer Sonderausstellung im Nordfriesland Museum im Jahr 2016 erschienen. Er ist für 27,95 € noch immer im Buchhandel erhältlich. Neuste Informationen erhalten Sie dann am besten bei einer Führung mit der Busreisegruppe im Museum.