Eine Mumie im sächsischen Waldenburg. Exotische Vögel, eingelegte Amphibien und Kuriositäten. Ein historisch erhaltenes Naturalienkabinett lockt uns in den Südwesten von Sachsen. Und wer es lieber etwas reißerisch mag: auch ein Kalb mit zwei Köpfen und einen Fischmenschen gibt es zu bestaunen.
Überbordend. Durcheinander. Überholt. Was wurde nicht alles schon über die Ausstellung geschrieben und erzählt, die wir Ihnen heute vorstellen wollen. Wir möchten Ihnen ein anderes Bild vermitteln und Sie von Herzen motivieren, sich auf das in heutigen Zeiten vielleicht etwas befremdlich wirkende Naturalienkabinett Waldenburg einzulassen. Der Reisebus bringt uns ganz nah an die sächsisch-thüringische Grenze zwischen A4 und A72. Nordöstlich von Zwickau und nordwestlich von Chemnitz. Im Schatten des Schlosses Waldenburg liegt das ehemalige Wirtschaftsgebäude des Schlosses, in welches gleich von Beginn an die Sammlung des Fürsten Schönburg-Waldenburg einzog. Das war im Jahr 1847 und zugleich die Rettung für die noch deutlich ältere Ausstellung. Zuvor war sie im ehemaligen Reitstall untergebracht worden. Die dortigen mikroklimatischen Bedingungen setzten dem Naturalienkabinett Waldenburg aber derartig zu, dass ein Neubau her musste.
Das Naturalienkabinett Waldenburg ist Naturkundemuseum und Wunderkiste
Doch was gibt es hier im Naturalienkabinett eigentlich alles zu entdecken? Der Begriff ist etwas veraltet. Das ist aber ganz bewusst so gewählt und war schon immer so. Denn inzwischen gehören die gesamte Ausstellung, die Präsentation und das Gebäude unter Denkmalschutz. Hier am originalen Standort befand und befindet sich seit über 150 Jahren die Wunderkiste einer sammel- und dokumentationswütigen Zeit. Viele Schätze wurden hier zusammengetragen, in erster Linie geologische, botanische und animalische. Es gibt Mineralien und Gesteinsproben zu entdecken. Wir finden in Spiritus eingelegte Fische, Amphibien und Reptilien. Eine riesige bunte Vogelschau aus aller Herren Länder. Farben, Formen, glitzernde Gefieder. Käfer und Schmetterlinge von gigantischer Größe und dann wieder so winzig, dass sie fast kleiner wirken als die Stecknadeln, auf die sie aufgespießt sind. Es gibt sogar dramatisch spektakuläre Fehlbildungen zu bestaunen, die uns daran erinnern, dass zu allen Zeiten versucht wurde, mit Effekthascherei und Sensation auf sich aufmerksam zu machen. So wird etwa ein Kalb, welches mit zwei Köpfen zur Welt kam, ausgestellt. Sogar ein fehlgebildeter menschlicher Fötus, der als sogenannter Hühnermensch von Taucha im 18. Jahrhundert Bekanntheit erlangte, wird gezeigt. An dieser Stelle verstehen wir schon etwas den Vorwurf der Beliebigkeit, mit der hier Objekte und Phänomene zusammengetragen wurden. Aus heutiger Sicht würde man sagen, es fehlt etwas der rote Faden. Allerdings ist es dann durchaus konsequent, dass sich das Naturalienkabinett Waldenburg selbst als historisches Relikt darbietet. Die Ausstellung selbst liegt auf dem Seziertisch, sie ist der Zeitsprung, der in uns die Vergangenheit führt. Wir müssen uns vorstellen, dass nur die Mächtigen und Wohlhabenden Ausstellungen dieser Größenordnung zusammentragen konnten. Sie tätigten Ankäufe bei anderen Sammlern, bei Privaten, Apothekern und dem reichen Bürgertum. Sie sammelten Objekte und Trophäen aus aller Welt. Von Jagden, Expeditionen, Eroberungen, Schenkungen. Auch das Naturalienkabinett Waldenfels hat eine solche Historie. Das Fürstengeschlecht Schönburg-Waldenburg erweiterte über Jahrzehnte hinweg ihre Sammlung. Eine große Ausstellung aus der Leipziger Löwen Apotheke aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde in Gänze übernommen. Die Sammlung der Apothekerfamilie Linck. Spektakulär ist auch die Sammlung an Vögeln des Zuckerbäckers Oberländer; offenbar konnte man auch als Konditor zu Geld kommen und einem außergewöhnlichen Hobby frönen. Das Interesse an Wissenschaft mischt sich mit der Lust an Exotik. Schematisch Geordnetes findet hier seinen Platz neben außergewöhnlichen Einzelexemplaren.
Eine echte Mumie im Naturalienkabinett Waldenburg
Als Beispiel für eine letzte Kuriosität soll uns ein Objekt dienen, welches im Jahr 1846 den Weg nach Waldenburg fand. Also gerade noch rechtzeitig vor der Eröffnung des Ausstellungsgebäudes. Die Sammlung hatte sich ja schon längst von der mineralischen, botanischen und zoologischen Ausstellung weiterentwickelt hin zu völkerkundlichem Interesse. Und so verwundert es dann schon fast nicht mehr, hier auf einen Sarkophag mit Mumie zu stoßen. Ja, Sie haben richtig gelesen. Das Naturalienkabinett Waldenfels huldigt hier dem ägyptischen Totenkult. Die Mumie Shep-en-Hor ruht hinter Glas über 2600 Jahre nach ihrem Ableben in der sächsischen Provinz. Sicher auch früher oder später ein Thema für die aktuell in aller Munde geführte Provenienzforschung – gemeint ist die redliche Aufarbeitung der Herkunft von Objekten. Viele Präparate und Ausstellungsstücke in Museen weltweit gehen auf Ankäufe aus kolonialen Zeiten zurück und entsprechend umstritten ist das Thema der Rückgaben heute. Prominentestes Beispiel aus aktueller Zeit ist die Rückgabe von Gebeinen und Schädeln der Herero aus Namibia, die in deutschen Museen lagerten. Herero sind ein Hirtenvolk, das während der Besatzungszeit (1884-1915 existierte Deutsch-Südwestafrika) vom Völkermord durch die Deutschen bedroht war. Das Große spiegelt sich also oft im ganz Kleinen. Auch das Naturalienkabinett Waldenburg ist bemüht, die Herkunft der Objekte in ihrer Sammlung nach und nach aufzuarbeiten. Ob auch das Thema Rückgaben für einige der kulturellen Schätze ein Thema sein wird, steht dann auf einem anderen Blatt. Das herausfordernde Thema tut allerdings der Faszination dessen keinen Abbruch, was wir in Waldenburg zu sehen bekommen.
Schloss Waldenburg
Bevor es auf die Rückreise geht, schauen Sie doch nochmal in den Schlosspark des unweit gelegenen Schlosses Waldenburg. Nachdem das Schloss mit einer bis ins 12. Jahrhundert zurückgehenden Burghistorie nach Bränden und Zerstörungen Mitte des 19. Jahrhunderts letztlich gänzlich abgetragen wurde, entstand, was wir heute erblicken. Die vierflügelige Schlossanlage (die auch heute ein Museum zur Geschichte des Schlosses und des Ortes Waldenburg beherbergt) hat im Zentrum ein achteckiges Türmchen mit roten Ziegeln. Die verputzte Fassade harmoniert mit dem umgebenden kleinen Schlosspark und das Eingangsportal mit seinen drei Rundbögen wirkt eher einladend als herrschaftlich abschreckend. Kleine Giebel, Balkone und Erker machen ebenfalls Lust zum Betrachten. Ein Schlosscafé mit kleinen Speisen gibt es ebenfalls, wenn Sie sich vor der Rückfahrt und nach dem Besuch des Naturalienkabinettes Waldenburg noch etwas stärken möchten. Im Reisebus werden Sie ganz sicher viel Gesprächsstoff haben zu den zahlreichen Objekten und Präparaten der Ausstellung. Bestimmt werden Sie Lieblingsstücke für sich finden können. Mitnehmen können Sie diese allerdings nicht. Schließlich haben wir heute gelernt, dass eine Sammlung insbesondere auch deshalb wertvoll sein kann, weil sie als historisch und geschlossen gilt.
Hinweise
Die Adresse des Naturalienkabinetts Waldenburg ist der Geschwister-Scholl-Platz 1 in 08396 Waldenburg. Kontakt können Sie über die Rufnummer 037608-22519 oder per E-Mail an museum@waldenburg.de aufnehmen.
Es gibt einen zum Museum gehörenden großen Parkplatz, wo Sie auch mit dem Reisebus stehen können. Er liegt etwa 200 Meter vor der eigentlichen kleinen Zufahrt zum Naturalienkabinett Waldenburg, etwas in der Kurve der Bundesstraße B180.
Die Öffnungszeiten in den Wintermonaten (Oktober bis März) sind täglich außer Montag von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr. In den Sommermonaten (April bis September) ist jeweils eine Stunde länger geöffnet, also bis 17.00 Uhr.
Die barrierefreie Begleitausstellung, die sehr auf Multimedia, neue Vermittlungsmethoden und einige exemplarische Objekte aus der Hauptausstellung setzt, ist seit 2019 leider aufgrund einer Havarie auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die historische Ausstellung, die wir Ihnen heute empfohlen haben, ist aber in vollem Umfang besuchbar.
Lesenswert
Spannende Einblicke bietet das Buch Räume öffnen sich: Naturhistorische Museen im Deutschland des 19. Jahrhunderts von Carsten Kretschmann
Einfacher gehalten und unterhaltsam ist das Buch Wissensdinge: Geschichten aus dem Naturkundemuseum. Es kostet 29,90€