Ein Stück Belgien in Chemnitz. Kennen Sie Henry van de Felde? Sollten Sie unbedingt. Von ihm stammt die Villa Esche. Jugendstilarchitektur in der zukünftigen europäischen Kulturhauptstadt. Wunderbar saniert mit originaler Innenausstattung und Museum.
In unserer Reihe über die Häuser der Kunstsammlungen Chemnitz stellen wir Ihnen heute eine Geschichte vor, die Kunst, Kultur und Wirtschaft zusammendenkt. Als Treffpunkt für Akteurinnen und Akteure aus diesen Feldern dient die Villa Esche im Chemnitzer Stadtteil Kapellenberg nämlich noch heute. Sie ist Tagungsort, Veranstaltungsort und Museum. Entstanden ist sie ganz zu Beginn des 20. Jahrhunderts und wurde von einem im belgischen Antwerpen geborenen Künstler und Baumeister gebaut. Die Rede ist vom Jugendstilarchitekten Henry van de Felde (1863-1957), der das Gebäude für einen Industriellen entwarf. Für den Textilfabrikanten Herbert Eugen Esche (1874-1962). Dieser bezog die nach ihm benannte Villa mit seiner Familie im Jahr 1903. Der erfolgreiche Unternehmer wollte sich ein Gesamtkunstwerk von dem Belgier erschaffen lassen, der schon im Jahr 1897 mit einer von ihm entworfenen Inneneinrichtung bei der Kunstgewerbeausstellung in Dresden für Furore gesorgt hatte. So war es nur konsequent, dass Henry van de Felde in der Villa Esche alles von den Bodenbelägen und Leuchten bis hin zu den Möbeln und sogar dem Besteck selbst designte.
Henry van de Velde – ein Multitalent aus Belgien
Henry van de Felde war ein unglaublich vielseitiger Mensch. Als sechster von acht Kindern zeigte er früh künstlerische Ambitionen. Nach einem Kunststudium in seinem Geburtsort Antwerpen und in Paris zog er sich mehrere Jahre vom Trubel der Gesellschaft zurück. Aber sein Interesse am Leben, seine Wissbegierde und sein Talent wollten weiter ans Licht. Er schloss sich Künstlerkolonien und –zirkeln an, erprobte sich vielseitig und brach doch seine Malereilaufbahn als Dreißigjähriger ab. Ein Glück muss man fast heute sagen; denn er wandte sich der Architektur und dem Design zu. Sein künstlerisches und kunsthandwerkliches Geschick konnte er nun voll zur Geltung bringen. Er entwarf erste Häuser und Interieurs. Er hatte sich dem Jugendstil verschrieben, wollte Teil einer neuen Bewegung sein und schrieb nebenher für die Berliner Kunstzeitschrift PAN. Später schloss er sich dem Deutschen Künstlerbund und dem Deutschen Werkbund an. Seite an Seite mit Architekten wie Bruno Taut und Karl Schmidt Hellerau. Von letztgenanntem wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine ganze Siedlung samt Festspielhaus bei Dresden entworfen, die Gartenstadt Hellerau.
Henry van de Felde und der Jugendstil
Nun haben Sie schon einiges erfahren über den Architekten, dem wir unseren heutigen Ausflug zur Villa Esche in Chemnitz zu verdanken haben. Das Henry van de Velde Museum gehört neben dem Museum Gunzenhauser, den Kunstsammlungen am Theaterplatz und dem Schloßbergmuseum zu den vier Häusern der Kunstsammlungen Dresden. Gezeigt wird im Henry van de Felde Museum, welches auch im Rahmen einer Führung besichtigt werden kann, das originale, vom Architekten persönlich entworfene Mobiliar im Speiseraum und im Musiksalon. Das Fin de Siècle (also die Epoche um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert) ersteht hier wieder auf. Ein Flügel ruht erhaben im Musiksalon. Manchmal sind hier sogar öffentliche musikalische Veranstaltungen aus dem Bereich der klassischen Musik zu erleben. In diesen Lebensräumen wird klar, wie die Gestaltung von Räumen mit ihrer Funktion in Wechselwirkung tritt. Und das war ja auch der Anspruch des Jugendstils, der sich von absoluten Symmetrien entfernte und wie beim organischen Bauen von Hans Scharoun mit den Formen etwas spielte. Eine Geländerwölbung hier, eine Fensternische dort, eine sorgsam gestaltete Linienführung bei Lampen und Deckenverzierungen. Das alles erleben Sie in der Villa Esche.
Die Zeit, bevor aus der Villa Esche das Henry van de Felde Museum wurde
Die Villa Esche hat eine klassische 20. Jahrhundert-Historie hinter sich. 42 Jahre lang war es privates Wohnhaus, auch während der Zeit des Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg. Nach 1945 sowjetische Militärkommandatur (Herbert Eugen Esche ging in die Schweiz), dann Gebäude der Staatssicherheit und später Bildungseinrichtung. Nach der Wende Verfall, dann um die neue Jahrhundertwende herum aufwendige Sanierung und letztlich Überführung in die Kunstsammlungen Chemnitz. Und somit bekam es letztlich die Würdigung, die das Haus als Gesamteinheit von Architektur und Innenausstattung verdient. In der ersten Etage sind weitere Ausstellungsobjekte zum Schaffen von Henry van de Felde zu besichtigen. Das Gebäude ist in beiden Etagen barrierefrei und auch für Rollstuhlfahrer zugänglich. Möchten Sie eine Führung durch das Gebäude erhalten, kommen zu den regulären 5€ Eintritt (ermäßigt 3€) noch einmal 7€ (ermäßigt 4,50€) hinzu. Kinder unter 10 Jahren haben in Begleitung von Erwachsenen freien Eintritt. Wenn Sie sich frühzeitig mit der Villa Esche in Verbindung setzen, können Sie auch für Gruppen eine Reservierung in der vornehmen Remise unter dem Dach ergattern – dort werden Sie dann durchaus elegant verköstigt und dazu gibt es eine gute Auswahl an Weinen.
Hinweise
Das Henry van de Felde Museum in der Villa Esche finden Sie in der Parkstraße 58 in 09120 Chemnitz. Es hat Donnerstag bis Sonntag von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr geöffnet. Davon abweichend sind die Öffnungszeiten des Restaurants wie folgt: Di, Mi, Do 11.30 Uhr bis 15.00 Uhr, Fr und Sa außerdem von 16.30 Uhr bis 22.00 Uhr
Sie können das Museum über kunstsammlungen@stadt-chemnitz.de oder über die Telefonnummer 0371-4884424 erreichen. Zum Parken empfehlen wir Ihnen die Parkstraße oder die Richard-Wagner-Straße. An der Richard-Wagner-Straße 55 gibt es außerdem einen öffentlichen Parkplatz mit Zugang zum Henry van de Felde Museum. Dort hängt es von der Auslastung ab, ob Sie dort auch mit dem Reisebus stehen können.
Lesenswert
Seit 2002, also nach der Sanierung der Villa Esche ist der reich bebilderte Band Henry van de Veldes Villa Esche in Chemnitz: Ein Gesamtkunstwerk zwischen Jugendstil und Sachlichkeit erschienen. Erhältlich ist er für 30€ und bietet einen sehr guten und genauen Überblick zur Architektur und Nutzungsgeschichte des Gebäudes. Ebenso werden die Objekte vorgestellt, die von dem Jugendstilkünstler für die Villa Esche entworfen wurden.