157 Stufen zum Glück, zweieinhalb Kilometer bis zum Deich und eine Handbreit über dem Wasser. Das verspricht der Leuchtturm Westerheversand in Nordfriesland. Wir erzählen Ihnen Geschichten von ausgestorbenen Berufen, Wattvögeln und Leuchtturmkontrollzentren.
Wer einen der schönsten Leuchttürme an der Nordsee besuchen will, muss einiges auf sich nehmen. Er muss auf die etwas abgelegene Halbinsel Eiderstedt in Nordfriesland reisen und sich dann bis nach Westerhever durchschlagen. Dort hinter dem Deich beginnt das Abenteuer. Vom großen Parkplatz am Tourismusvereinshaus Westerhever-Poppenbüll geht es los. Aber erst mal heißt es regenfeste und winddichte Kleidung raus, gutes wasserdichtes Schuhwerk anlegen und sich mit geschmierten Broten und heißem Tee für die etwa 45-minütige Annäherung vorbereiten. Je nach Jahreszeit kann das eine Herausforderung sein. Noch vor dem kleinen Anstieg über den Deich wird auf Schautafeln darüber informiert, dass es lebensgefährlich sein kann, wenn man sich vor dem Ausflug nicht über die Gezeiten informiert. Ebbe und Flut treiben hier ihr Spiel und können Wattenmeer und Salzwiesen in wenigen Minuten zu einem nassen Abenteuer werden lassen. Aber schon der Blick vom Deich auf den Leuchtturm Westerheversand begeistert und lässt unseren Entschluss wachsen: Kein Wind, kein Wetter soll sich heute zwischen uns und diese rot-weiß gestrichene einsame Trutzburg am Rande des Meeres stellen.
Los geht es zum Leuchtturm Westerheversand!
Nun beginnt das Abenteuer: Uns bläst heute ein frischer Wind ins Gesicht, aber der Scheitelpunkt der Flut ist vorbei und der Weg zum Leuchtturm Westerheversand scheint möglich. Der etwa 2,5 Kilometer lange Hinweg verläuft größtenteils über steinerne verlegte Platten. Hier und da ist der Weg allerdings noch ein wenig überflutet und wir müssen schauen, dass wir trockenen Fußes hindurch kommen. Abkürzungen über die Salzwiesen sind aus Naturschutzgründen untersagt. Man würde aber auch nicht weit kommen, das Gelände ist von Gräben und kleinen Wasserströmen durchzogen. Hier leben an die Vegetation angepasste Wattvögel und ziehende Gänse fliegen hoch über unsere Köpfe hinweg und machen lautstark auf sich aufmerksam. Auch Singvögel wie der in Deutschland stark gefährdete Wiesenpieper brütet von März bis August gerne im Schutze dichter Vegetation auf feuchten Wiesen; die schleswig-holsteinische Westküste zählt zu einem seiner Verbreitungsgebiete.
Der Leuchtturm Westerheversand und seine Geschichte
Desto mehr wir uns dem 40 Meter hohen Leuchtturm Westerheversand nähern, umso größer und prächtiger erscheint er uns. Er ist gar nicht ganz so freistehend, wie wir anfangs noch dachten. Er bildet zusammen mit zwei ehemaligen Leuchtturmwärterhäuschen ein liebevolles Ensemble, das ihn von seinen nahezu baugleichen Leuchttürmen auf Pellworm und auf Sylt unterscheidet. Er steht hier viel freier als auf den Inseln, wo jene sich an die Nähe der Deiche schmiegen. Für den Leuchtturm Westerheversand wurde ein gutes Stück vom Deich entfernt inmitten der Salzwiesen eine künstliche Erhebung geschaffen; eine sogenannte Warft. Es handelt sich dabei um eine stabile Aufschüttung mit dem Zweck, insbesondere den gefährlichen Sturmfluten zu trotzen. Unweit vom Leuchtturm Westerheversand sehen wir übrigens einen zweiten solchen Hügel in der ansonsten gänzlich flachen Landschaft. Der Schafberg rettet die deichpflegenden Tiere vor dem Ertrinken, wenn das Wasser mal wieder besonders hoch steigt. Der 1907 errichtete Leuchtturm brauchte im feuchten, vom Meer umspülten Untergrund allerdings weit mehr als eine kleine Aufschüttung, um bis heute hier stehen zu können. Nicht weniger als 127 Eichenpfähle wurden ins Erdreich gerammt. Darüber wurde ein Sockel aus Stahlbeton gebaut, in dessen Inneren sich ein Trinkwasserreservoir befand. Den Abschluss des Fundamentes bildet ein Sockel aus Klinkersteinen. Hierdrauf steht der eigentliche Leuchtturm, der bis zu 50 Kilometer ins offene Meer hinaus strahlt und dessen Licht bei gutem Wetter bis nach Helgoland zu sehen ist.
Die Technik von Westerheversand
Der Leuchtturm Westerheversand wird schon seit Jahrzehnten nicht mehr von einem Leuchtturmwärter betrieben, sondern aus dem 25 Kilometer entfernt liegendem Ort Tönning im Hinterland gesteuert. Es gilt ja auch kein Holzfeuer mehr zu entfachen oder eine Petroleum- oder Gasleuchte zu entzünden. Sondern eine 2000-Watt-Xenon-Kurzbogenlampe. Erst die Spiegel und Prismen sorgen übrigens für die enorme Strahlkraft; 2000 Watt hat ja schon der heimische Wasserkocher, mit dem wir unseren Kräutertee für die Leuchtturmwanderung aufgegossen haben. Wichtig ist auch das Intervall, mit dem der Leuchtturm blinkt. Das ist eine internationale Kennung und die ist bei jedem Leuchtturm anders. So ist eine eindeutige Identifizierung von hoher See aus möglich. Der Leuchtturm Westerheversand blinkt beispielsweise in folgendem Intervall: 1 Sekunde dunkel, 2 Sekunden hell, 1 Sekunde dunkel, 2 Sekunden hell, 1 Sekunde dunkel, 8 Sekunden hell. Danach wiederholt sich das Intervall.
Über den Wolken – Aufstieg zum Leuchtturm Westerheversand
Wenn wir es geschickt angestellt haben, sind wir natürlich nicht nur aufs Geratewohl bis zum Leuchtturm Westerheversand hinaus gewandert. Sondern wir haben uns im Vorfeld beim Tourismusverein Westerhever-Poppenbüll zu einer Führung angemeldet. Allerdings ist diese nur in Kleingruppen möglich und es sind 157 Stufen zu bewältigen, bevor man mit einem überwältigenden Blick auf das Meer, die Salzwiesen und zurück auf die Halbinsel Eiderstedt belohnt wird. Die Führungen werden montags, mittwochs, donnerstags und samstags um 10.00 Uhr, 11.00 Uhr, 13.00 Uhr, 14.00 Uhr und 15.00 Uhr angeboten. Anfang November bis Ostern gibt es diese Möglichkeit leider nicht; außerdem muss man acht Jahre alt sein, um dabei sein zu können. Aber Achtung: Planen Sie lieber eine Stunde ein, um vom Parkplatz am Tourismusvereinshaus ganz sicher rechtzeitig am Leuchtturm zu sein. Es wäre doch wirklich schade, wenn Sie wegen eines Getränks und Fischbrötchens beim Imbiss am Deich die Führung verpassen.
Über die Salzwiesen zurück zum Deich – Abschied vom Leuchtturm Westerheversand
Ein besonderes Erlebnis bereitet Ihnen der Rückweg vom Leuchtturm Westerheversand zum Deich. Zumindest wenn Sie zwischen Juni und September mit dem Reisebus unterwegs sind. Denn dann ist es ein schönes kleines Abenteuer, den wegen seiner geringen Breite von nur 45 cm in nur eine Richtung begehbaren Stockenstieg aus dem Jahr 1929 zu erkunden. Dabei handelt es sich um einen historischen geklinkerten Pfad, der etwa zwanzig Jahre nach Bau des Leuchtturms Westerheversand angelegt wurde. Das brachte ein wenig mehr Komfort und einen manchmal sogar trockenen Fußes zum einsamsten und schönsten Arbeitsplatz der Welt: zu dem des Leuchtturmwärters. Da es auch den Stockrichter nicht mehr gibt (ein weiterer ausgestorbener Beruf), musste beim Wechsel zum neuen Jahrtausend der Weg aufwendig saniert und rekonstruiert werden. Auch über drei hölzerne Brücken bringt einen der Erlebnispfad mit Tradition. Der Stockrichter war für die Ausbesserung der Stockenstiege durch die Salzwiesen zuständig. Die Betonplatten, über die Sie beim Hinweg zum Leuchtturm gelaufen sind, wurden erst zu Beginn der 80-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts verlegt. Wenn Sie Wind und Wetter richtig schön durchgepeitscht haben, freuen Sie sich jetzt sicher auf den warmen Reisebus und vielleicht sogar Wechselkleidung; wenn Ihnen Petrus wohlgesonnen war, können Sie sich vermutlich kaum satt sehen an der leisen und zugleich doch irgendwie atemberaubenden Natur jenseits der Deiche von Eiderstedt. Aber bekanntlich lässt sich das Wetter ohnehin nicht beeinflussen und die spannenden Wechsel der Natur gehören gerade im Norden und an der Küste unbedingt dazu!
Hinweise
Der Tourismusverein Westerhever-Poppenbüll liegt am Ende des Ahndelweges in 25881 Westerhever direkt am Deich. Hier befindet sich auch der große Parkplatz und von Ostern bis Ende September finden Sie hier auch einen Imbiss. Barrierefrei zugängliche Toiletten gibt es ebenfalls; der Weg zum Leuchtturm und der Aufstieg selbst sind es aber nicht.
Kontakt zum Tourismusverein Westerhever-Poppenbüll bekommen Sie unter der Rufnummer 04865-1206 oder Sie schreiben eine E-Mail an kontakt@westerhever-nordsee.de / Insbesondere für Führungen müssen Sie sich unbedingt mit ausreichend Vorlauf anmelden – die Tour ist verständlicherweise begehrt.
Nach der A23 aus Richtung Hamburg halten Sie sich an die B5 (Richtung Tönning) und wechseln dann auf die B202 in Richtung Sankt Peter Ording. Von Garding aus fahren Sie nach Norden in Richtung Poppenbüll und Westerhever.
Lesenswert
Es gibt einen fantastischen Fotoband, der den Leuchtturm porträtiert. In Wort und Bildern. Er heißt Leuchtturm Westerheversand: eine Reise durch Licht und Zeit und ist für 14,95 € im Buchhandel erhältlich.