Wo stammt das erste Pils der Welt her? Aus Bayern, Böhmen oder Sachsen? Wir verraten es Ihnen. Außerdem lernen wir unfiltriertes Zwickelbier kennen und dürfen uns bei der Führung durch die Radeberger Brauerei sogar einen Kleinen zwitschern – da fährt man lieber nicht selbst, sondern kommt am besten gleich mit dem Reisebus!
Was für eine Szenerie, die sich auf dem Platz vor dem Rathaus in der böhmischen Kleinstadt Pilsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts abspielte. Die heutige tschechische Großstadt hatte damals keine 20.000 Einwohner und stand noch vor dem industriellen Boom, der vor allem durch das Maschinenbauunternehmen Škoda in seinem Gründungsjahr 1869 ausgelöst wurde. Ein paar Jahrzehnte zuvor also kam es zu Protesten in der Bevölkerung gegen die ortsansässige Brauerei. Das vergorene obergärige dunkle Bier war zu warm und wollte einfach nicht schmecken. Bierfässer wurden zum Rathausplatz gebracht und als Geste des Protestes dort absichtlich zerstört. Das Bier rann den Menschen zwischen ihren Füßen hinweg und versickerte im Kopfsteinpflaster. Trinken wollte das hier keiner mehr. Es musste also dringend Abhilfe geschaffen werden. Ein untergäriges Pils sollte gebraut werden, nur gab es das noch gar nicht. Jedenfalls nicht in Böhmen. In Bayern wurde man fündig. Josef Groll, seines Zeichens aus einer Brauereidynastie stammend, ging aus dem bayrischen Vilshofen nach Pilsen und brachte all sein Können mit. Der Braumeister hatte mit untergärigem Bier experimentiert. Dafür brauchte man durchgängig deutlich unter 10°C während der Gärung. Das gelang in Höhlen, die darüber hinaus mit echtem Eis gekühlt wurden. Kühlschränke wie heute gab es damals noch nicht! Solche Bedingungen waren auch in der böhmischen Stadt Pilsen gegeben und so entstand im Jahr 1842 das Pilsener Urquell. Ein leichtes, süffiges Pils aus regionalem Hopfen, hellem Malz und böhmischem Wasser.
Die Gründung der Radeberger Brauerei
Bei unserem heutigen Besuch der Radeberger Brauerei erfahren wir in einer gut zweistündigen Führung so einiges über die Geheimnisse des Bierbrauens, über die Entstehung des Standorts und über den Sprung in die Moderne. Höhepunkt ist natürlich die Verköstigung des fast honiggelben Endproduktes. Wir lernen zuvor, dass der Rittergutsbesitzer Gustav Philipp, der Webereifabrikant Johann Gottfried Schöne, der Stadtkämmerer Carl Hermann Rasche, der Oberbürgermeister August Max Rumpelt und das Reichstagsmitglied Heinrich Minckwitz einen enttäuschenden Abend hatten, bevor sie auf die glorreiche Idee kamen, die Aktienbrauerei zum Bergkeller zu gründen. Sie hatten sich an einem Winterabend des Jahres 1872 wie so oft in ihrer angestammten Weinhandlung getroffen und waren nicht so recht begeistert von dem angebotenen vergorenen Saft der Weintrauben. Da waren die vornehmen und solventen Herren im nahegelegenen Schloss Klippenstein vielleicht besseres gewöhnt. Das Bier sollte also vor allem eine geschäftstüchtige alternative Idee zum Weinanbau sein. Das nahe Dresden und insbesondere Radebeul hatte die besten Winzer. Radeberg sollte die besten Brauer bekommen.
Die Radeberger Brauerei – Bier brauen wie in Böhmen
Und so kam es am Ende auch. Schon 1885 wurde aus der der Brauerei mit lokalem Bezug die Radeberger Exportbierbrauerei. Vor allem nach Übersee sollte das Hopfengetränk geliefert werden und bald in die ganze Welt. Es hatte sich herumgesprochen, dass ein ganz besonders wohlschmeckendes Bier aus Sachsen stammt. Seine Majestät König Friedrich August III. ernannte es höchstoffiziell zum Tafelgetränk. Die Gründer hatten ihren Marketing-Job also sehr ernst genommen. Man wollte das beste Bier herstellen und dabei das böhmische Vorbild überflügeln. Klagen gegen die Verwendung des Begriffs Pils konnten jedenfalls abgeschmettert werden. Wir lernen also – ein Pils muss nicht unbedingt aus Pilsen kommen. Auch wenn es dort seine Ursprünge hat. Oder genauer gesagt, in Bayern. Aber wer will den Bayern im Bierbrauen schon etwas vormachen. Auf den Nenner kann man sich vielleicht einigen, auch wenn die Geschmäcker so verschieden sind wie die Menschen.
Die Geheimnisse der Radeberger Brauerei
Wir verraten Ihnen noch drei Geschichten zum Radeberger Bier. Bei der Führung durch die Radeberger Brauerei können Sie auch ein sogenanntes Zwickelbier genießen. Es ist trüber, weil noch Hefe durch das Bier schwebt. Es wird direkt vor dem letzten Filtrationsschritt abgezweigt und abgefüllt. Früher hatten die Braumeister einen sogenannten Zwickelhahn, bei dem sie auf ganz ähnliche Weise schon probieren konnten. Außerdem gibt es inzwischen von Radeberg ein Rotkehlchen-Bier. Sich einen zwitschern war hier wohl die ausschlaggebende Idee. Allerdings (und da ist man in der Fortführung der ursprünglich gegründeten Aktiengesellschaft konsequent weitergegangen) eigentlich nur durch den Aufkauf der Friedrichshagener Bürgerbrauerei, von der die Erfindung des Rotkehlchen-Bieres stammt. Ohnehin gibt es schon lange eine Radeberger Gruppe, zu der so einige Biersorten gehören. Und das alles wiederum gehört dann zu einem Teil des Oetker Konzerns. Aber wir wollen uns hier nicht weiter mit den aufregenden Marktgesetzen befassen, sondern Ihnen zum Ausklang empfehlen, wo Sie noch essen gehen können. Dafür müssen Sie sich gar nicht weit bewegen. Barrierefrei gelangen Sie zum Radeberger Brauerei Ausschank. Dieser befindet sich etwa 300 Meter von den modernen Produktionshallen entfernt. Im Hotel Kaiserhof finden Sie das Restaurant mit guter sächsischer Küche und dem Bier, dem wir heute unseren Tagesausflug mit dem Reisebus gewidmet haben. Hier gibt es Entenkeule, Hirschragout und Lammhaxe. Gemüse und Knödel eignet sich als Ergänzung. In den Sommermonaten entscheiden Sie sich vielleicht eher für einen Platz im Biergarten mit einem leichteren Fischgericht. Auch dazu kann man ja mal ein untergäriges Bier trinken. Wohl bekomms!
Hinweise
Die Führungen in der Radeberger Brauerei kosten pro Person 14 €, für 10-15jährige 5 € und für kleinere Kinder ist der Besuch kostenfrei. Die Gruppengröße ist auf 20 Personen beschränkt und Führungen können unter der Rufnummer 03528-454880 individuell zu folgenden Zeiten vereinbart werden: Dienstags bis samstags von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr, sowie an Feiertagen nach Absprache. Mit Terminwünschen können Sie auch eine E-Mail an brauereibesichtigung@radeberger.de senden.
Die Adresse der Radeberger Brauerei lautet: Dresdener Str. 2, 01454 Radeberg
Den Radeberger Brauerei Ausschank mit dazugehörigem Restaurant finden sie im Hotel Kaiserhof an der Hauptstraße 62 in 01454 Radeberg
Da die Brauerei auf Besuchergruppen eingestellt ist, kann der Reisebus vor Ort geparkt werden.
Lesenswert
Das Taschenbuch Bier – eine Geschichte von Hopfen und Malz ist für unter 10 € zu haben und taucht auch in die Entstehungsgeschichte des Bieres ein. Wo liegen die Ursprünge des Bierbrauens und was hat es mit dem heutigen Craftbeer-Trend auf sich? Geschrieben haben den kleinen Band Franz Meußdoerffer und Martin Zarnkow