Kennen Sie den Roman Die Vermessung der Welt? Die hat ja tatsächlich einmal stattgefunden, sonst gäbe es keine Landkarten. Im sächsischen Königreich wurde besonders gewissenhaft vermessen. Entdecken Sie mit uns einen Leuchtturm der Landvermessung. Staunen Sie mit uns über Jahrtausende alte Grundlagen der Mathematik.
Achttausendneunhundertacht Meter, vierundsechzig Zentimeter und acht Millimeter. Das ist die Zahl, die uns heute beschäftigen wird. Und es ist die exakte Entfernung zwischen den zwei Orten, die wir heute besuchen wollen. Wir begeben uns gemeinsam in die Niederungen der Mathematik und in die der sächsischen Landschaft. Genauer gesagt fahren wir mit dem Reisebus in den Großraum Großenhain gut 20 km nördlich von Meißen. Die Orte, die wir besuchen werden, mögen zunächst vielleicht etwas unspektakulär wirken und doch wurde hier Geschichte geschrieben. Und zwar die Geschichte der königlich-sächsischen Triangulierung in den Jahren 1862-1890. Die Triangulierung (heute eher Triangulation) ist eine frühe Landvermessungstechnik. Wir werden noch erklären, wie sie funktioniert, doch für den Moment reicht es aus zu verstehen, dass es nicht nur hochgelegene Landmarken brauchte zur Vermessung der Welt. Sondern es benötigte auch längenmäßig exakt definierte Entfernungen in der Landschaft – eine solche, die Großenhainer Grundlinie, besuchen wir heute.
Die mathematischen Grundlagen für die Großenhainer Grundlinie
Bevor wir die zwei Standorte bei Raschwitz und bei Quersa besuchen (der dritte auf dem Flughafen Großenhain ist am unspektakulärsten rekonstruiert und diente schon bei seiner Erbauung lediglich zu Kontrollmessungen) etwas Theorie: Wir können uns aus dem Lateinischen (tri = drei; angulus = Winkel, Ecke) leicht herleiten, dass Triangulation etwas mit Mathematik und insbesondere mit Dreiecken zu tun haben muss. Und ja, nicht nur der uns allen aus Schulzeiten vertraute Pythagoras [a2 + b2 = c2 ] hat sich mit Verhältnissen und Beziehungen von Winkeln, Seitenlängen und Flächen in Dreiecken (Trigonometrie) befasst. Ptolemäus (er lebte im 2. Jahrhundert nach Christus) gehört auch zu den Helden der Antike, denen wir den heutigen Ausflug zu verdanken haben. Er wirkte als Astronom, Mathematiker und Geograf – es gelang ihm, die Lage tausender Orte mit Koordinaten und Winkeln zu bestimmen. Viel von dem Wissen, was der königlich-sächsischen Triangulierung vorausging, stammt aus der Antike und auch aus dem arabischen Raum. Jedenfalls war es im 18. und 19. Jahrhundert schwer in Mode alles zu vermessen, was möglich war. Um eine Fläche von damals etwa 16.000 m2 zu vermessen (heute umfasst Sachsen in etwa eine Größe von 18.000 m2), brauchte es diese Methode der Dreiecksberechnung. Und eine der wichtigen Grundlinien beim Anpeilen von Landmarken (Hügel, Berge, Türme) war eben die von 1869-1872 in die Landschaft gezimmerte Großenhainer Grundlinie. Dafür bedurfte es in erster Linie der beiden Bauten am Start- und Endpunkt und eine langwierige genaue Vermessungsmethode für den Abstand zwischen den beiden Orten. Darüber geben auch Infotafeln an allen drei Standorten Auskunft.
Die Großenhainer Grundlinie und dutzende steinerne Vermessungspunkte
Wir begeben uns also auf die Spuren der sächsisch-königlichen Landvermessung. Viele der Orte des sich immer weiter ausdehnenden Netzes an Dreiecken liegen in der Höhe. Sogenannte Punkte erster Ordnung sind etwa 50 bis 60 km voneinander entfernt und es war jeweils möglich, von einem Standort aus drei weitere Standorte zu erblicken. Der Fichtelberg oder der Friedrich-August-Turm auf dem Rochlitzer Berg und der Dresdener Borsberg sind hier als Beispiele genannt. Aber wir wollen uns heute zu den Ursprüngen bewegen. Die Grundlage bildet die Großenhainer Grundlinie. Da sie in ihrer Länge exakt vermessen werden konnte (unter anderem, weil die Entfernung noch verhältnismäßig überschaubar war), dient sie als Grundseite für ein erstes in die Landschaft hinein gedachtes riesiges Dreieck. Dank einfacher Mathematik wurde es so möglich, auch Entfernung über dutzende Kilometer relativ exakt zu bestimmen. Wenn Sie süchtig werden sollten nach dem Aufspüren solcher Triangulationspunkte, können wir Sie beruhigen. Es gibt auch heute noch weit über hundert erhaltene Standorte, welche oftmals noch immer durch die ursprünglich errichteten steinernen Säulen markiert sind. Das sind mitunter tolle Wanderungen und Tagesausflüge. Unsere heutigen Ziele sind aber gut mit dem Reisebus erreichbar.
DIe Rekonstruktion der Großenhainer Grundlinie
Das Basishäuschen Quersa war nie völlig zerstört und konnte originalgetreu rekonstruiert werden. Mit dem Reisebus können wir es wie folgt erreichen: fährt man die Bundesstraße B 98 von West nach Ost, so biegt kurz vor dem Großenhainer Ortsteil Quersa die Quersaerstraße in Richtung Brockwitz ab; dort angekommen trifft sie auf den Luchsweg. Hier besteht auch die Möglichkeit zu parken. Zu Fuß geht es einen Kilometer nach Osten (entlang der Straße) und dann weiter 500 Meter über einen Feldweg nach Süden. Dann stehen Sie vor dem Basisende Quersa. Für das andere Basisende Raschütz fahren Sie die Bundesstraße B98 nach Osten und biegen südlich in die nach Raschütz führende Wildenhainer Straße ein; unmittelbar bevor die Siedlung anfängt (die erste abbiegende Straße heißt Heideblick) ist auf der rechten Seite eine gute Parkmöglichkeit am Rande von Feldern. Hier sind es 500 Meter zu Fuß nach Westen, bevor Sie zur Infotafel und zu einer gut sichtbaren Holzkonstruktion gelangen. Hier wurde die ursprüngliche Architektur des Basishäuschens auf gute Weise veranschaulicht. Das Objekt, welches hier stand, war ohnehin baugleich mit dem von Quersa. Also am besten fahren Sie zuerst nach Quersa und dann nach Raschütz. Und im Anschluss zum Großenhainer Marktplatz zwischen Marienkirche und Rathaus. Das Rathaus ist ein ebenfalls sehr sehenswertes Sandsteingebäude im Neorenaissancestil aus dem Jahr 1867. Außerdem gibt es hier einen Bäcker, eine Eisdiele und einen Imbiss. So gestärkt geht es freudig im Reisebus auf die Heimfahrt.
Hinweise
Die Wissenschaft von der Vermessung und Darstellung der Erdoberfläche heißt übrigens Geodäsie. Heute wird das alles in erster Linie von Satelliten gemacht.
Die Anfahrt zu den beiden Basisenden Quersa und Raschütz entnehmen Sie bitte dem Haupttext. Wollen Sie auch die Basismitte der Großenhainer Grundlinie sehen, besuchen Sie den privaten kleinen Großenhainer Flughafen. Dort können Sie auch Rundflüge bei der örtlichen Flugschule machen. Allerdings nehmen die natürlich keinen ganzen Reisebus mit. Infos unter der E-Mailadresse info@born-2-fly.de oder unter der Telefonnummer 03522-5285889 / Die Adresse lautet: Flugschule Born-2-Fly GmbH, 01558 Großenhain
Lesenswert
Wir empfehlen einen Blick in die mathematische Formelsammlung aus Schulzeiten. Außerdem ist das Taschenbuch Die Vermessung der Welt von Daniel Kehlmann aus dem Jahr 2005 sehr unterhaltsame Lektüre.