Der Kosmos und die Sonne sind die älteste Uhr der Welt. Das deutsche Stonehenge liegt in Sachsen-Anhalt und erzählt Geschichten von Jahreszeiten, Landwirtschaft und Opferritualen. Ausgegrabene Steinbeile, Keramikurnen und Pfeilspitzen lüften Geheimnisse aus der Jungsteinzeit und der frühen Bronzezeit.
Es ist ein festes Band zwischen Sachsen-Anhalt und Angelsachsen, was geknüpft wurde. Im Übergang von der Jungsteinzeit zur Bronzezeit (also vor über 4000 Jahren) gab es einen kulturellen Austausch über alle heutigen europäischen Landesgrenzen hinweg. Die Mächte, mit denen sich die Menschen auf beiden Seiten des heutigen Ärmelkanals herumschlugen, waren gewaltig und nicht von Anfang der Menschheitsgeschichte an verstehbar. Der Kosmos, das Klima, die Jahreszeiten und die zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten für eine erfolgreiche Landwirtschaft konnten erst nach und nach entschlüsselt werden. Dem religiösen Fragen folgte die Suche nach Antworten auf Fragen, welche die Menschen an die sie umgebende Welt stellten; die Welt, in welche sie wortwörtlich hineingeboren wurden. Zwar wurde ein Großteil dieser Rätsel über die Jahrtausende hinweg gelüftet, doch vieles bleibt auch heute noch Spekulation. Die Grenzen des Wissbaren und Verstehbaren verschieben sich, die Naturwissenschaften in Zeiten der Moderne haben ganze Arbeit geleistet. Dennoch existiert ein kontinuierliches Band aus der Gegenwart in die Vergangenheit. Archäologen, Historiker, Soziologen, Philosophen, Theologen und Künstler versuchen zu erforschen, wer wir Menschen sind, woher wir kommen und wie wir wohl vor Jahrtausenden gewesen sein könnten. Was hat uns angetrieben? Was hat uns Zwänge auferlegt? Was hat uns dazu gebracht, rituelle Menschenopfer darzubringen oder gigantische Steinquader nach dem Kosmos und der Sonne auszurichten? Diese Spurensuche führt uns nach Stonehenge in Südengland; aber sie führt uns auch in den winzigen Ort Pömmelte in Sachsen-Anhalt. Er liegt etwa 20 Kilometer südöstlich von Magdeburg an der Elbe. Und die Wissenschaft belegt: Unser heutiges Ausflugsziel, das Ringheiligtum Pömmelte ist älter als das legendäre Stonehenge.
Stonehenge und das Ringheiligtum Pömmelte
Wenn wir mit dem Reisebus von der A 14 kommend die Ausfahrt Schönebeck nehmen, die Bundesstraße B 246a in Richtung Barby fahren und uns dann Richtung Pömmelte halten, haben wir es fast geschafft. In Zackmünde biegen Sie nach rechts ab und entlang von Feldern kommen Sie zum Parkplatz, der auch Raum für drei Reisebusse bietet. Der Aussichtsturm, welcher Teil der Anlage ist, die wir heute besuchen, ist eine gute Landmarke. Auf den allersten Blick stellt sich vielleicht eine leichte Enttäuschung ein, denn es sind keine tonnenschweren Megalithen (große Steine), die uns erwarten. In Kreisen angeordnete und in den Boden gerammte Pfähle erblicken wir; Gruben, kleine Wälle und Palisaden aus lang haltbarem Robinienholz. Es wird einem schnell klar, dass die Holzkonstruktionen unmöglich 4000 Jahre überdauert haben können. Es handelt sich hier also um eine Rekonstruktion, aber eine, die es in sich hat. Tatsächlich wurden hier nie wie in Stonehenge Steinquader zu Toren und Richtungsachsen aufgerichtet, aber es gibt dennoch ganz erstaunliche Übereinstimmungen, die zweifelsfrei belegen, dass es sich mit dem Ringheiligtum Pömmelte um einen Vorläufer von Stonehenge handelt. Der Durchmesser des äußeren Ringes hat 115 Meter, der innerste 80 Meter. Genau wie in Stonehenge. Und auch die Tatsache, dass hier ebenso wie in Stonehenge ein aus insgesamt sieben Ringen bestehendes Architekturdenkmal entworfen und umgesetzt wurde, zeigt Folgendes: Die kulturelle Tradition der Erschaffung ritueller, kosmischer Stätten wurde in nahezu identischer Form von Ort zu Ort weitergetragen.
Das Ringheiligtum Pömmelte – Opferstätte und astronomischer Kalender
Doch woher weiß man, wie es hier am Ringheiligtum Pömmelte vor Jahrtausenden ausgesehen hat? Zunächst einmal musste Pömmelte überhaupt erst entdeckt werden. Schon vor 50 Jahren gab es hier den Fliegerclub Schönebeck; noch immer gibt es den winzigen Flughafen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ringheiligtum Pömmelte. Fliegern dieses Vereins war ein kreisförmiger Pflanzenbewuchs aufgefallen, der nicht natürlich erklärbar schien. In den 90er Jahren schließlich gelang es mit Methoden der archäologischen Luftkartierung und Datenauswertung tatsächlich die zugrunde liegende Struktur zu identifizieren. Der Grundriss ließ Gemeinsamkeiten mit Kreisgrabanlagen aus der frühen Bronzezeit erahnen. So kam man nach und nach der Lösung des Rätsels auf die Spur. Der Mensch hat sich also im Laufe seiner kulturellen Entwicklung in die Lüfte erhoben und ist so auf seine Ursprünge gestoßen. Intensive Ausgrabungen begannen nach der Jahrtausendwende und dauerten über mehrere Jahre an. Es wurden Keramiken, Pfeilspitzen, Mahlsteine und Steinbeile ausgegraben. Schädel von Opfergaben wurden entdeckt. Eine Frau und ein Kind mit rituell durchstoßener Schädeldecke. Verbrannte Leichenreste in urnenähnlichen Gefäßen. Ein Puzzle der Spätsteinzeit und frühen Bronzezeit. An diesem Übergang wurde die Stätte für mindestens 300 Jahre genutzt. Eine Nachfolgeanlage liegt nur eineinhalb Kilometer entfernt in Richtung Schönebeck. Hier ist allerdings nichts rekonstruiert und die Spuren sind auf den Feldern verborgen. In Schönebeck im Salzlandmuseum sind Puzzleteile dieses Sonnenobservatoriums, Zeremonienplatzes, Opferstätte und womöglich Wettkampfplatzes zu besichtigen. Das Museum bietet auch Führungen am Ringheiligtum Pömmelte an. Von Anfang April bis Ende Oktober finden die jeden Dienstag um 11.00 Uhr und freitags, samstags, sonntags und an Feiertagen um 14.00 Uhr statt. Eine Anmeldung ist dafür nicht notwendig. Wenn Sie keine eigene Führung möchten, können Sie auch die Infotafeln vor Ort studieren. Den besten Überblick erlangen Sie ohnehin von dem fast 10 Meter hohen Aussichtsturm direkt neben der Stätte. Dort oben gelingt es Ihnen vielleicht, sich in die Gedanken Ihrer Urahnen einzufühlen. Schließlich sind Sie dort dem Himmel ein ganz kleines Stückchen näher als unten auf dem Boden.
Das Ringheiligtum Pömmelte ist Teil des Himmelsweges
Wir empfehlen aber, sich vor allem am Ringheiligtum Pömmelte selbst aufzuhalten. Es ist Teil eines sogenannten Himmelsweges, auf dem archäologische und astronomische Höhepunkte zu besichtigen sind. Ausflüge zum Sonnenobservatorium Goseck und zum Großsteingrab Langeneichstädt sind ebenso lohnenswert wie ein Besuch des Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale. Hier wird die legendäre Himmelsscheibe von Nebra aufbewahrt. Die über 3500 Jahre alte Bronzescheibe ist die bisher älteste entdeckte Darstellung des Kosmos. Sie zählt damit zum Weltdokumentenerbe der UNESCO – und somit, und dass ist viel bedeutender, zum einzigartigen Erbe der Menschheit auf diesem blauen Planeten Erde. Eine Arche Nebra finden Sie am originalen Fundort an der Unstrut südlich von Querfurt. Die Himmelsscheibe stellt unter anderem die Sommersonnenwende, die Wintersonnenwende und die Tagundnachtgleichen dar. Sommersonnenwende ist bekanntlich am 21. Juni und die Wintersonnenwende am 21. Dezember. Tagundnachtgleiche bedeutet (wie es der Name ja bereits sagt), dass an diesen Tagen die Nächte und Tage gleich lang sind. Sie markieren den astronomisch definierten Frühlingsanfang um den 20. März herum und den Herbstanfang um den 23. September herum. All das ist auch im Ringheiligtum Pömmelte zu erleben, direkt und mit dem ganzen Körper. Inmitten der Landschaft unter dem freien Himmel. Das Osttor und Westtor der wie Stonehenge konzipierten Stätte markiert zwei weitere markante jahreszeitliche Punkte. Vom Inneren der Kreise aus betrachtet (also vom Zentrum der Anlage aus) geht in Richtung Westtor die Sonne im August an dem Tag unter, der genau zwischen der Sommersonnenwende im Juni und der Tagundnachtgleiche im September liegt. Das Osttor zeigt exakt in Richtung Sonnenaufgang Anfang Februar (also zeitlich mittig zwischen Wintersonnenwende im Dezember und Tagundnachtgleiche im März); dieser 02. Februar ist folgerichtig als Lichtmess Feiertag vom Christentum übernommen worden. Viele Bräuche und Traditionen sind mit diesem astronomisch markierten Tag verbunden. Es war der Tag, an dem in der Landwirtschaft die Knechts- und Gesindejahre endeten. Ein neuer Zyklus des bäuerlichen Lebens begann. Ab Lichtmess endete die Zeit, zu der man bei künstlichen Lichtquellen wie Petroleumlampen in der Stube handwerkelte, Kleider stopfte und Garn spann. Der Futtervorrat für die Tiere sollte noch halb gefüllt sein, wollte man gut durch den Winter kommen. Außerdem gibt es den Spruch Neue Schuhe – Neue Liebe, der auf diesen Tag zurückgeht. Falls der Knecht eine Liebschaft mit einer Magd hatte, wurde er ausbezahlt, bekam neue Schuhe und musste weiterziehen. Wir schnüren nun auch unsere Ausflugsschuhe, gehen die wenigen Meter zum Reisebusparkplatz zurück und brechen auf nach Hause. Aber wir kommen bestimmt bald wieder nach Sachsen-Anhalt, um weitere Stationen des Himmelsweges zu erkunden. Wie schnell, das steht vielleicht in den Sternen!
Hinweise
Das Ringheiligtum Pömmelte finden Sie etwa einen Kilometer südlich von Zackmünde. Das liegt zwischen Schönebeck und Pömmelte. Ausschilderung vor Ort.
Das Salzlandmuseum ist in 39218 Schönebeck in der Pfännerstraße 41. Haben Sie Fragen zum Museum oder zur Führung am Ringheiligtum Pömmelte können Sie die Rufnummer 03471-686624410 wählen oder eine E-Mail an museum@kreis-slk.de schreiben.
Der Busparkplatz ist nur etwa 15 Meter vom Ringheiligtum Pömmelte entfernt; der Aussichtsturm und auch der Toilettenwagen vor Ort sind allerdings nicht barrierefrei und stufenlos zu benutzen.
Lesenswert
Es gibt einen tollen Bildband mit dem Titel Kathedralen der Steinzeit. Stonehenge und die Megalithkulturen in Europa. Großsteingräber, Steinkreise und Menhire: Entstehung und Bedeutung. Er kostet 32 Euro und ist im Jahr 2021 erschienen.