Ein Fürstengrab im Sand. Germanische und römische Grabbeilagen. Ein Jahrtausendfund aus dem dritten Jahrhundert fasziniert die Wissenschaft. Wir reisen in die Gegend des Fundortes und laufen über eine Wanderdüne aus der letzten Eiszeit!
Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Sie sind am Meer und laufen über eine Sanddüne. Disteln und karge Vegetation, wohin das Auge reicht. Plötzlich treten Sie gegen einen festen Gegenstand. Der Fuß schmerzt. Erst fluchen Sie. Aber dann grübeln Sie, wo sie gegengetreten sein könnten; schließlich ist hier weit und breit nur Sand. Sie schauen nach unten, eine hölzerne Ecke guckt vorsichtig aus dem Sand hervor. Aber als Sie mit den Händen etwas graben, merken Sie schnell, das ist kein Treibholz, sondern eine große hölzerne Kiste. Oder besser gesagt: ein Teil von ihr – der Teil, den der Zahn der Zeit übrig gelassen hat. Sie graben weiter und plötzlich halten sie einen großen Ring aus purem Gold in den Händen. Sie finden einen ledernen Gürtel, Trinkgefäße und Bruchstücke eines Schildes. Ganz offenbar sind sie auf eine Grabkammer gestoßen. So ähnlich ist es ehrenamtlichen Denkmalpflegern im Jahr 1990 ergangen. Nur dass sich die wahre Geschichte nicht am Meer zugetragen hat, sondern auf einer Sanddüne im Zerbster Land in der Nähe von Gommern bei Magdeburg.
Germanen und Römer in Gommern – das Fürstengrab
Es war das Jahr 1990. Seit zehntausend Jahren hatte der Wind die Sanddünen im Umland der heutigen kleinen Gemeinde Gommern in Sachsen-Anhalt hin und her gewendet. Ein Relikt der letzten Eiszeit. Das sich von Skandinavien aus wie ein Schild über die Ostsee ausdehnende Eis hatte Massen von Geröll vor sich hergeschoben. Irgendwann schmolzen die enormen Gletscher wieder ab und die sich bildenden Flüsse spülten Steine und Sand mit sich. Der Sand lagerte sich ab und Winde türmten ihn auf, schoben ihn zusammen, machten kompakte Dünen aus ihm. Nicht umsonst spricht man vom Magdeburger Urstromtal. Nach der deutschen Wiedervereinigung war es dann so weit: Im Zuge von Sanierungen und Bautätigkeiten wurden die Dünen zu großen Teilen abgetragen. Dabei stieß man auf ein Urnengräberfeld und auf einen 1700 Jahre alten Sensationsfund. In einer heute nicht mehr existierenden Sanddüne nordwestlich von Gommern wurde ein römisch-germanisches Fürstengrab entdeckt. Die Trümmer einer zwei mal drei Meter großen Kiste aus Eichenholz. Darin ein römischer Dreifuß mit Steinen eines möglicherweise mit Go verwandten Strategiespieles. Außerdem ein Messingbehälter für römischen Wein, mit Beschlägen versehene Krüge für germanisches Bier und wertvoller Schmuck. Einen goldenen, 500 Gramm schweren Halsreif, für den 100 römische Goldmünzen eingeschmolzen worden sein mussten, fand man und einen in Hunderte Bruchstücke zerfallenen Schild. Wenn Sie hierbei an die Varusschlacht (im Jahr 9 nach Chr.) und an den Cherusker Arminius (17 v. Chr. – 21 n. Chr.) denken müssen, dem mit dem Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald ein monumentaler Erinnerungsort zwischen Mythos und Wahrheit geschaffen wurde, dann liegen Sie gar nicht so falsch. Denn auch in den folgenden drei Jahrhunderten wagten sich die Römer immer mal wieder östlich des Rheines und nördlich der Donau ins Germania magna (Großes Germanien). Und ein Fürstenkönig wie der bei Gommern gefundene war möglicherweise wie der Cherusker Arminius im Römischen Reich ausgebildet worden und kämpfte als Söldner in den Gebieten der ehemaligen germanischen Heimat. Mehr zur Geschichte des Fürstengrabes aus der Sanddüne erfahren Sie im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale.
Die Sanddüne und das Fürstengrab
Wenn Sie mit dem Reisebus den Aussichtsturm am kleinen Kulksee ansteuern, finden Sie Parkplätze direkt an der Pretziener Straße am südlichen Ende von Gommern. Dann sind Sie auch direkt an der Wanderdüne am Fuchsberg, dem durch Ablagerungen nach der letzten Eiszeit entstanden Naturphänomen. Der Sand ist also nicht einfach Überbleibsel einer Tagebauhalde, sondern gewissermaßen ein zerbröselter Zeitzeuge. Der Kulksee allerdings ist das Restloch eines ehemaligen Steinbruchs, der schon vor über einhundert Jahren seinen Betrieb einstellte. Einen Überblick über die gesamte Szenerie gewinnen Sie am besten vom fast 20 Meter hohen Aussichtsturm. Ein schöner etwa 500 Meter langer Weg führt Sie oberhalb der Wanderdüne entlang. Danach geht es durch ein winziges Wäldchen hindurch zum sich gut in die kleinräumige Landschaft einfügenden Bau. Der Weg ist allerdings nicht barrierefrei. Wenn Sie dann oben auf dem Aussichtsturm stehen, denken Sie vielleicht an das Fürstengrab von Gommern und fragen sich möglicherweise, ob noch weitere Geheimnisse und Schätze im Boden der norddeutschen Börde auf ihre Entdeckung warten. Das wird die Zeit zeigen. Einstweilen begnügen Sie sich vielleicht mit einem Rundgang über den Gesteinsgarten Gommern. An dem kommen Sie automatisch vorbei, wenn Sie die kleine Runde um den See vollenden. Hier werden unter freiem Himmel feste Natursteine wie Quarzit gezeigt, die auch beim Bau des Magdeburger Doms verwendet wurden. Über die nah gelegene Ehle und Elbe konnten Steine außerdem gut verschifft und in Gebiete gebracht werden, in denen sich zum Bauen weniger geeignete Gesteinsschichten im Untergrund aufspüren ließen.
Die Geschichte der Wasserburg Gommern
Nach dem Rundgang bei der Wanderdüne am Fuchsberg empfehlen wir Ihnen, noch nach Gommern zu fahren. Sicherlich haben Sie vom Aussichtsturm aus bereits den weißen Kirchturm der aus dem 17. Jahrhundert stammenden Kirche St. Trinitatis erblickt. Ihr ehemals romanischer Vorgängerbau aus dem Jahr 1192 wurde im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) endgültig zerstört. Noch auffälliger ist der Wehrturm der Wasserburg Gommern; ihn sehen Sie, wenn Sie nach Nordosten schauen. Leider sind das angeschlossene Hotel und die dazugehörige Gastronomie seit Ende 2022 geschlossen. Seither wird die Immobilie bei Maklern der Region zum Kauf angeboten. Die ganze Region Gommern ist also gespannt, wie es mit dem besonderen Objekt weitergeht. Auf eine lange Geschichte blickt es jedenfalls zurück. In neuerer Zeit war es Frauengefängnis unter den Nationalsozialisten, Gefängnis der sowjetischen Siegermacht nach dem Zweiten Weltkrieg, Lehrlingsheim zu Zeiten der DDR und im wiedervereinigten Deutschland letztlich Standesamt. Hier konnte sich dann also binden, was zusammen gehörte. Die Geschichte der Wasserburg Gommern beginnt allerdings gut 1000 Jahre vorher; im Jahr 948 wurde sie gegründet und zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Gegen die damalig schon feuchte und sumpfige Umgebung behauptete sich die Wasserburg Gommern mit einem Schutzwall und einem doppelten Wassergraben. Davon ist einer noch heute vorhanden, die ehemalige hölzerne Hebebrücke ist allerdings längst durch einen steinernen Bau ersetzt. Heute wie damals fließt die Ehle ganz nah vorbei. Durch die landwirtschaftliche Nutzung und die Wiesen der Umgebung ist es allerdings heute deutlich trockener, als es früher gewesen sein dürfte. Auch wenn die Zukunft der aktuell kaum noch genutzten Wasserburg momentan unsicher ist, so bietet es sich doch an, dem Ort beispielsweise am Tag des offenen Denkmals im September 2023 einen Besuch abzustatten. Und bis 2024 hat sich dann ganz bestimmt auch ein neuer Eigentümer gefunden und die Region um das Fürstengrab in der Sanddüne kann wieder nach vorne schauen!
Hinweise
Den Parkplatz beim Kulksee finden Sie in der Pretziener Straße in 39245 Gommern
Die Wasserburg Gommern hat die Adresse: Walther-Rathenau-Straße 9-10, 39245 Gommern
Die Kirche St. Trinitatis finden Sie Am Kirchplatz 2 in 39245 Gommern
Lesenswert und Sehenswert
Noch immer erhältlich ist der Band Gold für die Ewigkeit – Das germanische Fürstengrab von Gommern. Es kostet 25€ und ist reich bebildert mit den Fundstücken von der Sanddüne bei Gommern.
Die deutsche Serie Die Barbaren machte vor einiger Zeit Schlagzeilen. Sie erzählt die Geschichte der Varusschlacht und die des Germanen und Cheruskerfürsten Arminius.