Wie ein Huhn zum Symbol für ein Adelsgeschlecht wurde und wie es passieren kann, dass man in ein Reh verwandelt wird, erfahren wir bei unserem Ausflug zur Johanniterburg Kühndorf. Die liegt am Rande eines thüringischen Vulkans und der A71.
Die Johanniterburg Kühndorf gehört zwar zur Burgenstraße Thüringens, aber sie ist als einzige in diesem Verbund Privatbesitz. Daher ist es auch notwendig, sich vorher anzumelden, wenn Sie als Reisebusgruppe die Burg besichtigen möchten. Nur im Rahmen von Führungen besteht die Chance für Erkundungen in dem alten Gemäuer. Und alt sind die Gemäuer wirklich: Im Jahr 1315 kommt die vormalige Burg in den Besitz des Johanniterordens – der bringt das notwendige Kapital auf, um die Burg in weiten Teilen abzureißen und eine robuste, prächtige Festung für den Ritterorden zu erbauen. Tatsächlich steht die heutige Johanniter-Unfall-Hilfe, die zu den größten europäischen Hilfsorganisationen gehört, in der Tradition dieser Johanniter. Denn schon die im frühen 12. Jahrhundert existierende Krankenbruderschaft kümmerte sich seit jeher um kranke und hilfebedürftige Menschen. Der damalige Papst stellte die Johanniter deswegen von der Verpflichtung frei, die sogenannte Zehntelabgabe zu erbringen. Und auch im Heiligen Römischen Reich unter Kaiser Barbarossa (1122-1190) waren sie von Steuern befreit; das ermöglichte finanzielle Spielräume. Die wurden hier im thüringischen Hügelland wunderbar genutzt. Es ist ein großes Glück, dass die Johanniterburg als einzige ihrer Art im deutschsprachigen Raum erhalten geblieben ist.
Das Adelsgeschlecht Henneberg wirkte auch auf der Johanniterburg Kühndorf
Vor genau 440 Jahren ist das Adelsgeschlecht Henneberg ausgestorben. Georg Ernst Fürst zu Henneberg (1511-1583) hatte keinen Nachfolger mehr, welcher die Burg hätte übernehmen können. Sie fiel an das Kurfürstentum Sachsen. Damit war Fürst Henneberg der letzte Hahn auf dem Berg. Den Hahn, genauer gesagt eine Henne, trug das aus Franken stammende Adelsgeschlecht Henneberg auch im Wappen. Die Volkssage dazu lautet wie folgt: Ein Herr von edlem Geschlecht suchte Frieden und eine bequeme Stätte zu bauen; da kam er nach Franken an einen Ort und fand einen Berg im Land, der ihm gefiel. Als er nun hinritt, ihn zu beschauen, flog vor ihm auf eine Birkhenne, die hatte Junge; die nahm er sich zum Wappen und nannte den Berg Hennenberg. Dieser Berg liegt nur 30 Kilometer südwestlich von Kühndorf mit seiner Johanniterburg. In Henneberg befindet sich eine Burgruine, die ebenfalls besichtigt werden kann. Der Hahn gilt als kampflustig, aggressiv und wachsam – kein schlechtes Symbol für einen Ritterorden. Die erwählte Henne, zumindest wenn man ihr die Charaktereigenschaft der Fürsorglichkeit zuschreiben mag, eignet sich wiederum gut für die dem Helfen verpflichteten Johannitern.
Die Johanniterburg Kühndorf erleben
Auf den Eingang zur Johanniterburg Kühndorf führt eine kopfsteingepflasterte ansteigende Straße zu. Trutzig begrüßt einen zur Linken ein erster sogenannter Breitwohnturm. Ein weiterer solcher Koloss steht nach hinten versetzt auf der rechten Seite. Sie sind mit dem Gemäuer der Burg verbunden und stehen anders als so manche reine Wehrtürme nicht frei. Wie ihr Name schon ausdrückt, wurde in ihnen gewohnt und somit war es notwendig, an die Infrastruktur der Burg angeschlossen zu sein. An vielen Stellen in der Burg selbst gibt es kleine Kreuzgewölbe, freie Holzdeckenbalken, kapellenartige Rundungen im Mauerwerk und viele alte Materialien. Die Sanierung in den neunziger Jahren (seitdem befindet sich die Johanniterburg Kühndorf in Privatbesitz) wurde mit viel Augenmerk und Sorgfalt vorgenommen. Im Innenhof der Burg gibt es Galerien, hölzerne angebaute Balkone, überdachte Treppen, niedrige Eingänge mit gebogenen Stürzen aus rotem Stein. Vieles wirkt verschachtelt und nach Fachwerk; dennoch wurde hier mondän gelebt, folgt man den Ausführungen der Gastgeber bei einem Besuch. Weniger schick, aber dafür sehr bodenständig ging es während der DDR-Zeit zu. Eine typische Geschichte für feudale Besitztümer zu jener Zeit: Nach der Enteignung der damaligen Besitzer und nach der Unterbringung von Aussiedlerfamilien auf dem Burggelände in den Nachkriegsjahren wurde im späteren Volkseigentum Schulspeisung angeordnet.
Die Johanniterburg Kühndorf als Gerichtssaal und Filmkulisse
Bei einer Führung, die sich je nach Bedarf auf die Unterburg oder auch auf die Oberburg erstreckt, gibt es einige spannende Gewölbe zu entdecken. Der Hennebergsaal und der Johannitersaal lassen sofort erahnen, dass es hier repräsentative Feste und Essen gegeben haben mag. Die Kapelle erinnert daran, dass es sich um einen Orden handelte, deren Glaube ihm die Verpflichtung auferlegte, sich auch um die Alten und Kranken zu kümmern. Noch bevor die Johanniterburg Kühndorf im Jahre 1815 auf Grundlage der europäischen Neuordnung beim Wiener Kongress an Preußen abgetreten werden musste, hatte auch das Kurfürstentum Sachsen auf der Burg bereits ein Gerichtszimmer eingerichtet. Hier gibt es aufschlussreiche und historisch interessante Wappen an den Wänden zu besichtigen und auch die Abbildung einer Justitia als Verkörperung des Rechts und der Gerechtigkeit mit einer Waage in der Hand finden wir hier. Weniger ernst zu ging es auf der Johanniterburg Kühndorf, als im Jahre 2008 das Märchen der Gebrüder Grimm Brüderchen und Schwesterchen verfilmt wurde. Eine tolle Kulisse für das verwunschene Märchen, in dem die Schwester ihrem in ein Reh verwandelten Bruder beisteht, bis es letztlich zur erlösenden Rückverwandlung kommt. Hexen, böse Stiefmütter und finstere Wälder sind da natürlich inbegriffen. Nicht nur die Umgebung des nahen Thüringer Waldes, sondern auch die niedrigen Tore, die Materialien, Türme und verschachtelten Höfe und Räume erinnern an Märchenzeichnungen aus der Kindheit, die die Fantasie entzündeten. Machen Sie sich Ihr Bild in der Realität mit einer schönen Busreise an den Fuß des ehemaligen Dolmar-Vulkans.
Hinweise
Die Adresse der Johanniterburg Kühndorf lautet Schloßstraße 17 in 98457 Kühndorf. Für eine Führung (ab 15 Personen möglich) wählen Sie bitte die Rufnummer 036844-306586 oder schreiben Sie eine E-Mail an kontakt@johanniterburg.de
Über die A71, die das thüringische Erfurt mit dem fränkischen Schweinfurt verbindet, gelangen Sie nach Kühndorf. Nehmen Sie die Ausfahrt Meinigen Nord, fahren in Richtung Wasungen und dann weiter in Richtung Kühndorf. Dort ist dann die Johanniterburg ausgeschildert. Wo die Neue Dolmarstraße auf die Schloßstraße trifft, gibt es eine gute Parkmöglichkeit für den Reisebus. Noch genauere Unterlagen erhalten Sie bei Buchung einer Führung.
Lesenswert
Einen 2015 erschienenen umfangreichen Band zur Historie und Baugeschichte können Sie erwerben, wenn Sie sich an die Kontakt-E-Mail-Adresse kontakt@johanniterburg.de wenden.
Außerdem können wir Ihnen natürlich das Märchen Brüderchen und Schwesterchen der Gebrüder Grimm empfehlen. Das Märchen wurde 2008 von Wolfgang Eißler verfilmt.