Wir besuchen einen Fuchs, der zu Gänsen predigt und wir begegnen mittelalterlichen Schnapsbrennern. Und ganz nebenbei sind wir dabei zu Besuch im ältesten Backsteinbau Norddeutschlands. Das Kloster Jerichow steht in Sachsen-Anhalt an der Elbe.
Wenn Sie schon einmal den Elberadweg entlanggefahren sein sollten, dann ist sie Ihnen mit Sicherheit schon aufgefallen. Denn im flachen Land bei Jerichow ragen die beiden Türme des Klosters Jerichow mit ihren 59 Metern Höhe gut sichtbar empor. Zumal in der naturgeschützten Elbauenlandschaft Erhebungen rar sind. Heute wollen wir uns einmal die Zeit nehmen und dieses besondere denkmalgeschützte Ausflugsziel direkt anfahren. Dafür bietet sich ideal der Reisebus an. Was sich beim Abstrampeln auf dem Fahrrad manchmal in die Länge zieht (der Elberadweg verläuft über mehrere hundert Kilometer), kann sich bei einem Ausflug mit dem Reisebus sehr kurzweilig gestalten. Jedenfalls haben wir so ausreichend Zeit, um die einmalige Klosteranlage aus Backstein zu besichtigen. Sie war nicht das erste Gebäude in der Gegend. Schon vor dem 12. Jahrhundert (das Kloster wurde ab dem Jahr 1149 erbaut) gab es hier eine Burg: die Burg Jerichow. Sie war aus einer slawischen Siedlung entstanden. Auf der östlichen Seite der Elbe hatte sie sich auf einer leichten Anhöhe gleichsam zwischen den Fluss gegraben. Umleitungen des Elbwassers ermöglichten einen Wassergraben, der dann nur noch von einem Damm geschützt werden musste. Noch heute verlaufen Altarme der Elbe unweit von Jerichow; der große Strom selbst liegt etwa 5 Kilometer nach Westen. Dennoch ist das Kloster Jerichow auch von Tangermünde aus gut zu sehen. Tangermünde liegt bereits auf der westlichen Elbseite. Von der soeben erwähnten Burg Jerichow ist übrigens nichts erhalten geblieben. Sie existiert nur noch in Erinnerungen und auf alten Gemälden. Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) hat sie sehr gelitten, sie verfiel und wurde im 18. und 19. Jahrhundert ganz abgetragen. Sie fand als Baumaterial gute Verwendung und im späten 19. Jahrhundert wurde sogar die leichte landschaftliche Erhebung eingeebnet und ein kleiner Park angelegt.
Die Ursprünge des Klosters Jerichow
Wir wollen einmal zurückspringen in die Zeit des Mittelalters, als es vor ziemlich genau 900 Jahren losging mit der Geschichte des Klosters Jerichow. Ohne den Wanderprediger Norbert von Xanten (1085-1134) gäbe es jedenfalls diesen romanischen Prachtbau mit seinen gotischen Kirchtürmen gar nicht. Norbert ließ sich für eine Weile im heute nordostfranzösischen Prémontré nieder und gründete dort eine Abtei. Der Orts- und Klostername leitet sich vom lateinischen premonstrare (auf deutsch zeigen) ab und verweist wohl darauf, dass es sich um ein von Gott gezeigten, sprich auserwählten Ort handelte. Wenn das nicht ein guter Grund war, sofort einen ganzen Orden zu gründen. Gesagt getan: Der Prämonstratenserorden war ins klerikale und weltliche Leben gerufen. Sie kennen sicherlich Benediktiner- oder Zisterzienserorden, aber die Prämonstratenser waren auch für uns neu. Diese klösterliche Gemeinschaft steht nicht nur für eine in sich gekehrte, erbaulich betende und schweigende Gemeinschaft, sondern ihnen lag auch das Seelenheil der anderen am Herzen. Also zog man weiter umher und kam gerade rechtzeitig an der Elbe an, als der Bischof von Magdeburg mit den Elbslawen fertig geworden war. Ein Probst mit dem schönen Namen Isfried nahm sich der Sache an und so wurde bald schon weiter gebaut. Der an der Straße der Romanik liegende Backsteinbau Kloster Jerichow sollte nicht das letzte Gebäude seiner Art in der näheren Umgebung werden.
Das Kloster Jerichow wurde im Stil der Backsteinromanik errichtet
Die schlichte, kompakte und massive Backsteinkirche hat eine besondere Entstehungsgeschichte. Ihr Fundament steht auf Natursteinen. Aber die waren auch schon im 12. Jahrhundert selten in der Elbauenlandschaft. Und so bediente man sich einer Technik, die nach dem Ende des Römischen Reiches nördlich der Alpen lange ausgestorben war. Backsteine aus Lehm und Sand wurden seit jeher luftgetrocknet (wenn es das Klima hergab) und später gebrannt (bei Temperaturen zwischen 600 Grad und 1300 Grad). Stabile Bauwerke ließen sich damit errichten, wenn die Brenntechnik fortgeschritten war. Man benötigte Ziegelbrennöfen und umso heißer die Temperaturen waren, desto wetterbeständiger konnte das Zielprodukt werden. Diese architektonische Wiederentdeckung führte in der späteren sogenannten Backsteingotik im Norden Europas zu vielen Kirchenbauten mit ihrer unverputzten klaren Optik. Auch an den Türmen von St. Marien und St. Nikolas am Kloster Jerichow sieht man an den Fensterformen, dass sie zur Zeit der Gotik entstanden sind – und zwar in den Jahren von 1256-1262. In der Architektur gab es deutliche bauliche Übergänge von der Romanik zur Spätromanik zur Gotik. Aber das Baumaterial ist hier im hohen Norden unverändert durch die Epochen gewandert. Das Kloster Jerichow ist erhalten geblieben (auch weil das Geld für Umbauten gefehlt hat) und in seiner überwiegenden Architektur der sogenannten Backsteinromanik zuzuordnen. Damit ist er zugleich Norddeutschlands ältester Backsteinbau. Man war auch früher dran als die nordischen Regionen. Beispielsweise ist die berühmteste Kirche Dänemarks, der Dom von Roskilde, ebenfalls den Backsteinen zu verdanken. Er wurde auch im 12. Jahrhundert errichtet, aber deutlich später als das Kloster Jerichow.
Führungen im Kloster Jerichow
Wenn Sie an einer Führung teilnehmen (10 € pro Person, ermäßigt 7 €), erfahren Sie noch mehr zur Architektur von Kloster Jerichow. Der Kreuzgang im Zentrum existiert noch, im Kirchschiff sind die fast monströs wirkenden, massiven Backsteinsäulen zu bewundern und die Kapitelle der Säulen in der Krypta zeugen von der Meisterschaft der Steinmetze vergangener Epochen. Auch ein Museum ist eingerichtet, in welchem Sie ein Modell der gesamten Anlage betrachten können. Eines der ältesten und gern betrachteten Objekte stammt aus der Zeit vor dem Kloster. Ein Schwert der Slawen hängt in einer gläsernen Vitrine. Aber auch das Außengelände mit seinem im mittelalterlichen Stil rekonstruierten Klostergarten beeindruckt; es gibt einen Hochbeetbereich, in dem Sie Kräuter probieren und berühren dürfen. Dies gehört zum möglichst barrierefrei erfahrbaren museumspädagogischen Konzept von Kloster Jerichow. Auch an Mobilitätseingeschränkte ist gedacht – es wurde ein Aufzug eingebaut, so dass viele Bereiche des Klosters für eine große Anzahl unterschiedlichster Besucher erfahrbar wird. Reste der ehemals ein Kilometer langen Klostermauer sind erhalten. Es wird schnell klar, dass für den Bau dieser Mauer und des Prachtbaus der Backsteinromanik Unmengen an Ziegeln hergestellt worden sein müssen. Und dem ist auch so: Schätzungen nach liegt die Zahl bei etwa fünf Millionen. Die wird weder der Bischof von Magdeburg noch der Probst Siegfried selbst hergestellt und aufgeschichtet haben. Vielleicht hat aber zumindest der ehemalige Wanderprediger Norbert von Xanten mit angepackt.
Der Fuchs im Mönchsgewand – eine Fabel aus dem Kloster Jerichow
Im Kloster Jerichow wurden übrigens nicht nur Ziegel hergestellt. Von jeher braute man Bier, um die Mönche in der Fastenzeit mit den notwendigen Kalorien zu versorgen. Und im 16. Jahrhundert wurde Schnaps gebrannt. Zur Zeit Martin Luthers wurde das Kloster Jerichow nämlich zum Gutshof umgewandelt. Es gab zwar Umnutzungen der Gebäudeareale, aber zum Glück für die Nachwelt wurde kaum etwas abgerissen. Der ehemalige Schlafsaal der Mönche (das Dormitorium) wurde zum Getreidelagerplatz; da war es kein weiter Weg mehr bis zum Brennen von Schnaps. Auch in späteren Jahrhunderten wurde hier Korn aus Getreide gebrannt; eine wichtige Einnahmequelle im mit Getreideanbau gesegnetem Jerichower Land. Aber natürlich war so die Grenze zur Weltlichkeit endgültig überschritten und wir können uns denken, was vielleicht die Mönche des Prämonstratenserordens darüber gedacht hätten. Vielleicht passt dazu die Geschichte, die auf einer Säule im Kreuzgang abgebildet ist. Im besten Fabelstil sehen wir hier einen als Ordensbruder der Prämonstratenser verkleideten Fuchs, der den Gänsen predigt. Die Gänse sind das Volk und der Fuchs sollte den Hütern des Klosters selbst eine Warnung sein, damit sie nicht bösartig und listig das Volk bekehren, sondern reinen Herzens und von Glauben erfüllt. Als postreligiöser säkularer Mensch von heute (auch die gibt es ja reichlich) kann man sich ein Schmunzeln über diese religiöse Selbstdarstellung nicht ganz verkneifen.
Hinweise
Das Kloster Jerichow liegt rechtsseitig der Elbe westlich des Naturpark Westhavelland. Von der A2 aus fahren Sie über die B107 nach Genthin und weiter nach Jerichow. Die Adresse lautet: Am Kloster 1, 39319 Jerichow
Kontakt zum Kloster Jerichow (auch für Anmeldungen zu Führungen) können Sie unter der Rufnummer 039343-285 oder Sie schreiben eine E-Mail an kloster.jerichow@kulturstiftung-st.de
Die Öffnungszeiten sind von April bis Oktober montags bis sonntags von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Von November bis März dienstags bis sonntags von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr.
Eine Essensgelegenheit direkt an Ort und Stelle bietet das Wirtshaus Klostermahl. Kontakt unter der Telefonnummer 039343-926270. In den Sommermonaten gibt es auch einen schönen Freisitz. Bitte kontaktieren Sie das Wirtshaus in jedem Fall, wenn Sie mit einer großen Reisegruppe vorbeischauen wollen. Geöffnet ist dienstags bis sonntags von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr und natürlich gibt es gutbürgerliche Küche mit reichlich Auswahl zu moderaten Preisen.