Kennen Sie den Herrscher der Ottonen? Was hat es an der ehemaligen innerdeutschen Grenze mit mittelalterlichen Ruinen auf sich? Und was hat der verstorbene ostdeutsche Schauspieler Ulrich Mühe mit alledem zu tun? Folgen Sie dem Buskompass in ein Gebiet, das lange Niemandsland war und heute ein lohnendes Ausflugsziel ist.
Nur fünf Tage vor dem Mauerfall am 09.11.1989 initiierte der in Grimma in Sachsen geborene Schauspieler und Theaterregisseur Ulrich Mühe (1953-2007) gemeinsam mit vielen anderen Ostberliner Theatermenschen die größte nicht staatlich gelenkte Demonstration der DDR am Berliner Alexanderplatz. Über eine halbe Million Menschen demonstrierten friedlich für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit – es war die Zeit der friedlichen Revolution in der Deutschen Demokratischen Republik. Mühe war politisch engagiert und ist auch vielen Westdeutschen aus dem 2006 erschienenen und mit einem Oscar prämierten Stasi-Polit-Thriller Das Leben der Anderen bekannt. Mühe selbst war in der DDR während seines Wehrdienstes bei der NVA (Nationale Volksarmee) als Grenzsoldat an der Berliner Mauer eingesetzt. Am sogenannten Todesstreifen an den Ländergrenzen der ehemaligen DDR hatte er keinen Dienst, auch wenn es ihn viel später im Leben privat hierhin verschlagen sollte. Mühe hatte sein Sommerhaus im beschaulichen kleinen Ort Walbeck unmittelbar an der Landesgrenze von Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Und hierhin verschlägt es uns auch bei unserem heutigen Ausflug mit dem Reisebus. Ulrich Mühe selbst ist übrigens in seinem Sommerhaus in Walbeck im Alter von nur 54 Jahren gestorben und auf dem örtlichen Friedhof beerdigt.
Die Ruine Walbeck und die Straße der Romanik
Zwischen dem bereits in Niedersachsen stehendem Lappwald und dem noch auf sachsen-anhaltischem Grund wachsenden Rehm-Wald liegt unser Ausflugsziel. Inzwischen wieder baulich gesichert und teilweise saniert, verbrachte die seit 1980 denkmalgeschützte Ruine Walbeck seit 1952 viel Zeit mit sich selbst. Sie lag im Sperrgebiet der innerdeutschen Grenze und konnte nur mit Passierschein oder von Anwohnern betreten werden. Damit war sie einerseits dem Klima und Verfall ausgesetzt, andererseits konnte sie so nicht abgerissen oder verändert werden. 40 Jahre währte dieser Dornröschenschlaf. Im Grunde nicht viel für ein Gebäude, deren Geschichte über 1000 Jahre in die Vergangenheit reicht. Erst einmal aber ist es eine ästhetische Freude, die Ruine Walbeck so in der Landschaft liegen zu sehen. Die Kraft der alten Gesteine ist unmittelbar zu spüren. Der Blick gleitet über Mauern empor zu den romanischen Rundbögen und verliert sich dort, wo die Giebel und Dächer vergangener Zeiten angesetzt haben. Heute ist die Ruine Walbeck Teil der Straße der Romanik, zu der in Sachsen-Anhalt mehrere Dutzend architektonisch und geschichtlich interessante Bauten gehören.
Von der Stiftskirche zur Ruine Walbeck
Die Ruine Walbeck war eigentlich mal die Stiftskirche St. Marien, St. Pankratius und St. Annen. Dass sie überhaupt existiert, ist einem besonderen Umstand und einer kuriosen Rechtsprechung zu verdanken. Zur Zeit der Ottonen (919-1024 n. Chr.) begab es sich, dass ein Graf in ein Komplott gegen Otto den Großen (912-973 n. Chr.) beteiligt war. Zur Strafe sollte er seine eigene Burg schleifen und diese in eine Kirche verwandeln. Diese Stiftskirche stand (später um Westflügel und Anbauten erweitert) viele Jahrhunderte lang hier in der Hügellandschaft des Allertals. Der Grundbau war der einer typischen Saalkirche der damaligen Zeit – eine einfache Kreuzform mit etwa 30 Metern Länge und 15 Metern Breite. Gleich zur Einweihung gab es übrigens eine Glocke, die nach einem Brand im Jahr 1011 zwar zerstört, aber auch umgehend für den Wiederaufbau erneut gegossen wurde. Diese Glocke existiert noch, wenn sie auch nicht in der Ruine Walbeck zu besichtigen ist. Aber trösten Sie sich: Aktuell bekommt sie niemand zu Gesicht – sie ist wohl in den Archiven des Berliner Bode-Museums verschwunden. Das wäre doch mal ein lohnendes Projekt: die Glocke wieder an den ihr gemäßen Platz zurückzubringen.
Der mysteriöse Sarkophag eines Grafen unter der Ruine Walbeck
Ein weiterer Schatz konnte in der ehemaligen Stiftskirche und heutigen Ruine Walbeck geborgen werden. Der Sarkophag des in der Stiftskirche beigesetzten gesetzesbrecherischen Grafen wurde in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts entdeckt und wurde in die Dorfkirche von Walbeck verbracht. Dort ist er zu bewundern. Auch sonst bietet Walbeck interessante kleine Ausflugsziele an, die bei einem Besuch für sich sprechen. Sind Sie beispielsweise begeisterte Schwimmerinnen und Schwimmer, so möchten wir Ihnen das kleine Naturbad Walbeck empfehlen. Es kostet keinen Eintritt und ist ganzjährig jederzeit zugänglich. Und wenn Sie den Reisebus (den Sie gleich an der Ruine Walbeck abstellen können) noch einmal umparken möchten, dann empfehlen wir Ihnen am nordöstlichen Ortsausgang die Waldgaststätte Barriere-Rehm. Am Rande des Rehm-Waldes erhalten Sie hier gutbürgerliche deutsche Küche. Donnerstags bis samstags hat die Küche von 17.00 Uhr bis 22.00 Uhr geöffnet, an Sonn- und Feiertagen von 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr und von 17.00 Uhr bis 20.00 Uhr. Dann verfestigen sich bei einer wohltuenden Mahlzeit die Eindrücke der 1000-jährigen Baukunst bei Ihnen noch ein wenig. Dabei wurde übrigens teilweise getrickst. Was wie massive Steinblöcke in der grob verputzten Mauer wirkt, sind nur relativ dünne Steinplatten, die plan an den Wänden angebracht wurden. Auch die Verfugetechniken waren noch nicht besonders weit entwickelt. Anders sah es mit den kleinen Rundfenstern aus, den sogenannten Oculi. Die waren wie Wagenräder konstruiert und wurden samt ihrer hölzernen Trägerkonstruktion ins Mauerwerk eingemauert.
Hinweise
Um zur Ruine Walbeck zu gelangen, müssen Sie in dem sehr kleinen Ort Walbeck lediglich die Bergstraße finden und von dort aus einen kleinen Hang herauf fahren – dort oben über dem Allertal sind die Mauern der ehemaligen Stiftskirche zu entdecken.
Die Waldgaststätte Barriere Rehm hat die folgende Adresse: Barriere 167, 39356 Walbeck. Für Reservierungen können Sie die Rufnummer 0176-80015244 wählen oder eine E-Mail an barriererehm.hotel@gmail.com schreiben.
Das Naturbad Waldeck finden Sie an der Helmstedter Straße in 39356 Walbeck.
Lesenswert
Wer richtig einsteigen möchte in die Welt der Burgen, Schlösser und Kirchen des Mittelalters, dem empfehlen wir Das Reich im Mittelalter. Kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500 von Stefan Weinfurter aus dem Beck Verlag; der Band kostet etwa 40 € und danach können Sie ganz sicher Ottonen von Saliern unterscheiden und problemlos über Bauten wie die Ruine Walbeck referieren.
Ein Kommentar
Lieber Nico,
in Walbeck war ich zufälligerweise auch mal. Habe die Geschichte um Uli Mühe entdeckt. Ich war in der Gegend, weil wir eine Kirche restauriert haben. Die Kirche in Hödingen, die heute eine sogenannte Radfahrerkirche ist. Und auch sehr sehenswert. Wir, das waren Restauratoren und ich. Ich habe da einige Tage auf dem Gerüst gearbeitet und einen Himmel mit Sternen restauriert! Das war echt eine Erfahrung!
Die Ruine in Walbeck haben wir daher nicht geschafft, zu besichtigen.. Sehr interessant Dein Beitag! Die ganze Gegend ist interessant und trotzdem irgendwie vergessen und unbekannt. Grüße! Karin Frucht