Wohnen im Kunstwerk, Baugestaltung in Hochform.
Hochkarätig schräg, herzerfrischend farbig, selten nur schnurgerade und immer mit was Grünem.
„Haa haa herrlich,“ lacht Ludwig laut und kehlig, als er und sein alter Schulfreund unterwegs durch Sachsen-Anhalt einen spontanen Abstecher in die Landeshauptstadt unternommen haben. Und nun hier, unweit des Magdeburger Domplatzes, zum ersten Mal dieses eindrucksvolle Gebäude in Augenschein nehmen. Ein Bauwerk, das aus dem übrigen Architektur-Arrangement zwischen den Plattenbauten der Hauptstraße Breiter Weg, einer schmalen Gasse der Kreuzgangstraße und dem mittelalterlichen Dom, visuell buchstäblich hervorragend, wie herauszuspringen scheint.
Von Game-Klassikern und Comic-Art zu Architektur-Kunst in der Gegenwart
„Das ist ja wie bei Day of the Tentacle,“ so führt Ludwig weiter fort: „aber völlig real und echt, wie großartig.“ Die beiden laufen mal ein paar schnelle Schritte um das bestaunte Haus, mal bleiben sie stehen. Eilen da um eine Säule, stoppen dort wieder andächtig abrupt, werfen sich verblüffte Blicke zu und deuten auf Details der quirlig lebhaften Außenfassade.
Was vielen unter den alten Hasen eingefleischter Gaming-Freunde und nahezu jedem Computerspiele-Fan der 1990er sofort ein Begriff ist, sollte allen anderen an dieser Stelle kurz erklärt werden:
Das PC-und Videospiel Day of the Tentacle war der offizielle Nachfolger des Game-Klassikers Maniac Mansion aus dem Jahr 1987, welcher als wegweisend für das damals noch völlig neue, sogenannte Point-and-Click-Genre im Adventure Stil gilt und ab da seinen Siegeszug in der digitalen Spielewelt antreten sollte. In dieser Neuauflage von 1994 waren alle optischen Elemente: Charaktere, Umgebung, Landschaft und insbesondere jede Art von Bauwerken, Gebäuden und Inneneinrichtung in einem bis zum äußersten ausgereizten, knallig bunten Comic-Art-Style gestaltet. Mit klaren Stichen, kantigen Outlines, fetzigen Farben, wild überzeichneten Proportionen und wirklich niemals einfach nur rechtwinkligen Formen klickte der Spieler sich durch eine clever komponierte Mission skurriler Typen, schwarzhumoriger Späße und kniffliger Rätsel.
Aus zweier Welten Verschiedenheit: verblüffend Verbindendes
Und so ist es durchaus treffend in der Analogie – wir als zufällige Zeugen dieser Szene an Ort und Stelle – in Beobachtung spontaner Bewegtheiten zweier Schulfreunde. Ihre Begeisterung in Bezugnahme des Wesenhaften zweier zunächst so unterschiedlich erscheinender Designbereiche, plötzlich so verwandt und plausibel in ihrer Verbindung. Eben typisches dieser hier beschriebenen Attribute, der sehr spielerisch anmutenden Gestaltungsmittel in der Baukunst jenes berühmten Architekten Friedensreich Hundertwasser zu finden und an allen Orten auf der Welt zur Wiederkehr in seinen Meisterstücken. Ein Künstler, den in seiner Heimat Österreich womöglich jedes Kind kennt, immerhin im Wiedererkennungswert seiner einmaligen Gestaltungsweise, die spätestens beim näheren Hinschauen weit mehr zum Sinn und Inhalt hat, als nur um eines bloßen bunten Auffallens Willen Mittel und Zweck zu sein.
Werte über Trends und Trallala
Der gebürtige Wiener, der in seiner Karriere vor allem zunächst als Maler bekannt wurde, empfand und erfand seine charakteristischen Ausdrucksmittel nie als seinem Schaffen vorgelagerte abstrakte Konzepte, sondern immer als folgerichtige Um- und Übersetzungen eines Schaffensprozesses, seiner direkt angewandten Erkenntnisse in Spurensuche nach Lebendigkeit und Individualität. Als solche nicht wie hundertfach beschworene Lippenbekenntnisse, aber selten so konkret faktisch bis ins Letzte praktizierter Werte wie die des Herrn Tausendsassa Kunstgenie Hundertwasser. Leitlinien, denen er sich in so radikaler wie hingebungsvoller Weise verpflichtet fühlte und in der Tat immer wieder aufs Neue von der Idee zu gelebter Baukunst Beweis führte. Beispielhaft dabei in seiner Vermittlung sind bei ihm der Anspruch, das sonst so typisch Serielle und Standardisierte kommerzieller Architektur weitgehend als möglich in Frage, bestenfalls in sein genaues Gegenteil zu stellen.
Alles außer Architektur nach Allerweltsrezept
Wo die konventionelle Funktionalität, insbesondere die der Moderne mit klarer Tendenz zur maximalen Reduktion und vermeintlichen Vereinfachung ihrer Ausdrucksmittel ein Ideal zu finden suchte, setzt das Design von Hundertwasser Gebäuden, wie hier in Magdeburg die Grüne Zitadelle, auf jenen paukenschlagenden Kontrast dazu. In allerlei, wie mitunter verschwenderisch bestellten Schmuck- und Zierelementen, welche in ihrer Sprache von Funktion nicht mehr und nicht weniger Gebrauchswert sind, als dem eines – ach du liebe Güte – radikal ästhetischen. Dem einer Unverwechselbarkeit und Originalität. Denn obgleich kennzeichnende Charakteristika, das heißt jener erwähnte Wiedererkennungswert seiner Häuser und Bauten offensichtlich sind, gleicht doch keines wie eins dem anderen. Sind es dabei nicht nur die immer wiederkehrende Einbindung und Verflechtung von organischen Naturkomponenten wie Bäumen und Pflanzen – sowohl direkt in wie ans Bauwerk – ermächtigten und verpflichten gleichermaßen die Bewohner und Nutzer seiner extravaganten Konzeptionen auch die für Hundertwasser von großer Bedeutung geltenden Obliegenschaften von sogenanntem Fensterrecht und einer Baumpflicht.
Geschenk im Angedenk‘ – neuer Stolz einer gebeutelten Stadtgeschichte
In einer der einst wohlhabendsten und fortschrittlichen Metropolen des Mittelalters, dann jedoch ausgesprochen schwer wie mehrfach von historischen Verwüstungen und Kriegshärten heimgesuchten Stadt an der Elbe vollendete hier der Ausnahme-Künstler sein Lebenswerk. Mit gebürtigem Namen Friedrich Strowasser getauft und mit Anfang des 20. Jahrhunderts als einer der grandiosen Vorzeige-Absolventen des seinerzeit revolutionären Pädagogik- und Bildungskonzepts der Montessori Schulen setzte er sein letztes bauliches Manifest gegen Wohnen und Leben als Massenware, Einheitsnorm und Gleichmacherei.