Niederländer haben ihre Spuren in Schleswig-Holstein hinterlassen. Der 2000 Einwohner beherbergende Ort Friedrichstadt gilt als Klein-Amsterdam. Grachten durchziehen das Städtchen zwischen Treene und Eider. Auch Frikandeln und Pommes Spezial bekommt man hier unweit der nordfriesischen Küste.
Es ist schon toll, wenn man bei schönem Wetter entlang von Mittelburggraben und Fürstenburggraben durch die kleine historische Altstadt spaziert. Richtige Grachten sind es, die hier die Planstadt aus dem frühen 17. Jahrhundert durchqueren. Kleine Segelboote sieht man, das ein oder andere Sportboot, Paddler und auch Ausflugsboote. Trauerweiden stehen an den Ufern, Linden bilden Alleen und das Kopfsteinpflaster wird von alten Straßenlaternen beschienen. Auch an den deutlich breiteren Sielen lässt es sich entlanglaufen; sie verbinden die im Süden an Friedrichstadt vorbeifließende Eider mit der aus der Region Flensburg kommenden Treene. Diese geografische Lage an der Einmündung des aus Nordosten kommenden Flusses in die Eider machte Friedrichstadt schon vor hunderten von Jahren interessant. Dazu kamen besondere historische Umstände, über die wir Sie vor einem Besuch mit dem Reisebus aufklären wollen. Ansonsten werden Sie vielleicht die typischen nordfriesischen, mit Reet bedeckten Häuser vermissen. Stattdessen erwarten Sie schmale hohe Treppengiebelhäuser im Stile der niederländischen Renaissance.

Die Gründung von Friedrichstadt
Es war im Jahr 1621, als der Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf (das heute einheitliche Bundesland war damals in viele verschiedene Herzogtümer zerschnitten) einen besonderen Plan hatte. Jener Friedrich III. (1597-1659) wollte sein Herzogtum zu einem Knotenpunkt in einem Handelsreich aufbauen, das von Spanien über Norddeutschland bis nach Russland, Indien und China führen sollte. Etwa 150 Jahre später sollte zumindest der dann gebaute Eider-Kanal eine Schifffahrt von der Ostsee bis zum heutigen Eidersperrwerk an der Eidermündung ermöglichen. Das war dann noch keine transkontinentale Seidenstraße, die mitten durch Nordfriesland und an Friedrichstadt vorbei führte, aber immerhin für die Zeit wirtschaftlich relevant; der Eider-Kanal war ein Vorläufer des Nord-Ostsee-Kanals. Und der ist heute immerhin die meistbefahrene künstliche Seeschifffahrtsstraße der Welt. Aber soweit war es noch lange nicht im frühen 17. Jahrhundert. Es war zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648), der in die Amtszeit von Friedrich III. fiel, als der Beschluss gefasst wurde, Niederländer in den hohen Norden einzuladen. Das 17. Jahrhundert sollte ohnehin das Goldene Zeitalter der Niederländer werden. In Amsterdam wurden noch vor dem Dreißigjährigen Krieg neue Banken und Warenbörsen gegründet, die zu einem Aufschwung im Handel führten. Vom Deichbau bis zur Architektur und Kunst war man weit vorne in Europa; später auch, was die Seeflotte und die Überseekolonien anging; 1621 jedenfalls gab es jedenfalls ein besonderes Anwerbeangebot: Die Niederländer sollten Friedrich III. ein prosperierendes Städtchen errichten; dafür wurde die Amtssprache zeitweise Niederländisch und es herrschte (ungewöhnlich für die Zeit) eine große religiöse Toleranz – die in der Heimat verfolgten Remonstranten (Anhänger einer protestantischen Religionsgemeinschaft) siedelten im großen Stil über und erbauten in wenigen Jahren Friedrichstadt. Vom Reißbrett aus entstand eine Schachbrettstadt, die zwischen die beiden Flüsse Eider und Treene eingepasst wurde. Noch heute ist die historische Altstadt im Grunde eine Insel. Dass der Aufschwung für Friedrichstadt im 17. Jahrhundert letztlich nicht endlos weiterging (noch heute hat man dieselbe Einwohnerzahl wie damals), lag eigentlich nur daran, dass letztlich der Dreißigjährige Krieg und dessen Auswirkungen die Region bedrohte. Einmal wurden in Friedrichskoog alle Sieltore der Stadt geöffnet, um die gesamte Umgebung zu fluten; damit sollte die Einnahme der Stadt durch die schwedischen Truppen verhindert werden. Viele Niederländer zogen nach Ende des Dreißigjährigen Krieges außerdem zurück in ihre Heimat. Denn die Einstellung der Verfolgung der Remonstranten tat ihr übriges – wer lebt schon gerne dauerhaft im Exil? Dennoch gibt es bis heute eine Kirche und eine Gemeinde der Remonstranten in Friedrichstadt.

Friedrichstadt als Stadt der religiösen Toleranz
Bei einem Stadtrundgang durch Friedrichstadt können Sie neben der Remonstrantenkirche noch die protestantische Kirche Sankt Christopherus, die katholische Sankt Knud Kirche, eine Kirche der Mennoniten und die teilweise wieder aufgebaute ehemalige jüdische Synagoge besichtigen. Die im 17. Jahrhundert ausgerufene und durchaus strategische religiöse Toleranz hatte Früchte getragen; zahlreiche Religionsgemeinschaften siedelten sich in Friedrichstadt an. Beispielsweise stellte das Judentum vom frühen 19. Jahrhundert an für gut 100 Jahre die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Friedrichstadt; heute gibt es keine jüdische Gemeinde mehr, nur noch einen schön gelegenen Friedhof aus dem 17. Jahrhundert direkt am Ufer der Treene auf der Nordseite der historischen Altstadt. Und eben das Gebäude der ehemaligen Synagoge, welches sich heute als Kultureinrichtung versteht und sich mit jüdischer Geschichte und Kultur auseinandersetzt. Vernichtet und ausgebrannt wurde die Synagoge wie vielerorts in Deutschland in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Noch während der Naziherrschaft wurde das Gebäude zum Wohngebäude umgebaut; die verbliebenen Juden waren nach Hamburg geflohen und die meisten von dort aus in die Vernichtungslager verbracht worden. 1985 wurde man sich der historischen Verantwortung als ehemalige Stadt der religiösen Toleranz bewusst und Friedrichstadt erwarb das Gebäude zurück, stellte die historische Westfassade wieder her und eröffnete ein Kulturzentrum.

Friedrichstadt – Perle der niederländischen Renaissance
Der wahre Höhepunkt neben den verschiedenen Gotteshäusern und der ehemaligen Synagoge ist aber der Marktplatz mit den in einer Reihe angeordneten niederländischen Renaissancebauten. Selbst die verwendeten Baumaterialien stammen zu einem Großteil aus den Niederlanden; im dünn besiedelten, feuchten, rohstoffarmen und abgelegenen Nordfriesland war nicht viel zu bekommen gewesen. Also baute man mit heimischen Handwerkern, heimischen Traditionen und heimischer Sprache und errichte so ein Klein-Amsterdam an der Eider. Am Marktplatz steht außerdem ein weißblaues Pumpenhäuschen aus dem Jahr 1879 – man merkt halt schnell, Friedrichstadt ist eine Stadt an und mit dem Wasser. Besonders sind auch die sogenannten Hausmarken. Das sind Vorläufer oder Ergänzungen zu den Hausnummern in Friedrichstadt gewesen. Mit über der Tür angebrachten Reliefs wurde auf den Eigentümer des Hauses verwiesen. Eine Mühle symbolisiert hier den Müller, ein Fisch den Fischer und so weiter. Auch nach der Zeit der Stadtgründung und bis heute wurden und werden Häuser mit diesen Bildern verziert, die das Besucherherz entzücken. Da Friedrichstadt heute fast ausschließlich von seinen Touristen lebt (aus der großen Handelsmetropole scheint letztlich nichts geworden zu sein), versteht man sich hier auf Stadtmarketing und Besuchskultur. Die Häuser sind hübsch saniert, es gibt Cafés, Restaurants, Wein- und Souvenirläden. Alles ist aber abgesehen von der Haupteinkaufsmeile so diskret, dass der Charme von Klein-Amsterdam jederzeit zu spüren ist. Am intensivsten natürlich an den Grachten und kleinen Kanälen.

Hinweise
Über Stadtführungen zum ehemaligen jüdischen Leben in Friedrichstadt können Sie sich bei der Touristeninformation Am Markt 9 in 25840 Friedrichstadt erkundigen. Die Telefonnummer lautet 04881-93930 Oder Sie schreiben eine E-Mail an info@friedrichstadt.de.
Die ehemalige Synagoge befindet sich Am Binnenhafen 17, 25840 Friedrichstadt.
Die Remonstrantenkirche in Friedrichstadt befindet sich in der Kirchenstraße, 25840 Friedrichstadt.
Die Sankt Christopheruskirche befindet sich Am Mittelburgwall 40, 25840 Friedrichstadt.
Die Kirche Sankt Knud befindet sich Am Fürstenburgwall 15, 25840 Friedrichstadt.
Die Kirche der Mennoniten befindet sich Am Mittelburgwall 21, 25840 Friedrichstadt.
Einen Freisitz mit Blick auf den Mittelburggraben und den historischen Marktplatz gibt es am Hotel Klein Amsterdam – das dazugehörige Restaurant mit dem Namen Holländische Stuben serviert die Gerichte am Freisitz oder im historischen und gemütlichen Nebengebäude des Hotels. Reservierungen können Sie unter der Rufnummer 04881-93900 vornehmen. E-Mail: info@hollaendischestube.de.
Mit dem Reisebus müssen Sie sich einen Parkplatz außerhalb der historischen Altstadt suchen. Etwa im östlichen Teil der Stadt rund um die Eiderallee. Es ist ohnehin viel schöner, sich den Grachten und alten Gebäuden zu Fuß anzunähern. Und anstrengend ist das auch alles nicht, da es hier im hohen Norden genau so flach ist wie in den Niederlanden.
Die Anfahrt nach Friedrichstadt erfolgt über die B202 aus Richtung Rendsburg an der A7. Es liegt in einem Dreieck zwischen Schleswig, Rendsburg und der Halbinsel Eiderstedt.
Lesenswert
Zu Friedrichstadt gibt es einen Historischen Stadtbegleiter, der 2017 im Boyensverlag erschienen ist und Sie noch tiefer in die Geschichte des Holländerstädtchens eintauchen lässt. Preis als Taschenbuch: 9,95 €.