Die Pest, das Feuer und der 30-jährige Krieg haben zugeschlagen. Doch ein lebendiges und historisch gewachsenes Scheunenviertel hat sich im brandenburgischen Kremmen bei Oranienburg erhalten. Außerdem besuchen wir eine 700 Jahre alte Feldsteinkirche und einen modernen Pfahlbau am Kremmener See.
Wir sehen in Blau einen linksgewendeten goldenen Adler mit roten Fängen, der sich auf einer rot bewehrten silbernen Gans festkrallt und seinen Schnabel in ihren Hals schlägt. So klingt es, wenn das Stadtwappen von Kremmen bei Oranienburg wissenschaftlich beschrieben wird. Im Vergleich dazu, dass auf dem Wappen des gesamten Landkreises Oberhavel die Gänse noch im Flug dahingleiten und der Adler sauber abgetrennt in einem extra Feld ausharrt, durchaus brutal. Schaut man genau hin, entdecken wir, dass die gleitenden Gänse der Oberhavelregion in Wirklichkeit grazile Schwäne sind. Aber im brandenburgischen Kremmen, das wir heute mit dem Reisebus besuchen, ist es eindeutig eine Gans, deren letztes Stündlein geschlagen hat. Vielleicht liegt es daran, dass es hier so viel Landwirtschaft, Scheunen und Nutztiere gibt. Von Schweinen und Schafen bis zu Kühen und den Gänsen für das Weihnachtsfest ist hier alles dabei. Die Idee dahinter ist aber vermutlich eine andere: Seit dem 16. Jahrhundert findet man auf Stadtsiegeln einen sich Beute schlagenden Raubvogel. Da krimmen auf Mittelhochdeutsch in etwa totkratzen meint, wird die Sache interessant und der Kreis schließt sich. Es handelt sich vermutlich um eine bildliche Veranschaulichung des Stadtnamens. Kremmen ist sprachlich nicht weit weg von krimmen und die Geschichte reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück. Zu der Zeit wurde dem brandenburgischen Kremmen das Stadtrecht verliehen.
Nördlich des Scheunenviertels – der Marktplatz von Kremmen
Besuchen wir den Marktplatz von Kremmen, fällt sofort seine Aufgeräumtheit auf. Immer wieder wurde er umgestaltet und noch keine zwanzig Jahre liegt die letzte umfassende Raumneugestaltung zurück. Am 08. Mai 2005 wurde der Platz 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Gedenken an die Kriegstoten eingeweiht. In diesem Rahmen war im Jahr 2004 ein sowjetisches Ehrendenkmal entfernt worden, welches auf ein preußisches Kriegerdenkmal gefolgt war. Dieses war bereits nach dem Zweiten Weltkrieg beseitigt worden. Und reisen wir noch weiter in der Zeit zurück, können wir uns eine wuchtige Säule mit einem Adler darauf vorstellen – dieses Denkmal sollte an den deutsch-französischen Krieg von 1870/1871 erinnern. Eine sterbende Gans war damals allerdings nicht vorgesehen von den Steinmetzen. Das Wappen mit der martialischen Szene kam also vorerst nur ans Rathaus. Das Rathaus selbst steht seit 1841 an seinem Platz und wurde im neoklassizistischen Stil erbaut. Der Vorgängerbau war nach einem Stadtbrand im frühen 17. Jahrhundert zerstört worden. Danach kam man 200 Jahre ohne Rathaus klar. Interessant sind auch die Bürgerbauernhäuser hier im Stadtzentrum. Man erkennt sie an den großen Türen, die Toreinfahrten für die Pferdefuhrwerke waren. Nach vorne hatte man eine bürgerliche repräsentative Fassade, nach hinten verwandelten sich die Gebäude in Höfe für die Tierhaltung. Noch bis in die 50-er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden hier Kühe und Schweine mitten über den Marktplatz getrieben.
Das Scheunenviertel in Kremmen
Aber noch deutlich berühmter als die Bürgerbauernhäuser von Kremmen ist das Scheunenviertel. Es liegt am südlichen Stadtrand und wurde nach einem für Kremmen schrecklichen 17. Jahrhundert erbaut. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) hatte gewütet, die Pest suchte die Stadt heim und es gab mehrere sehr folgenreiche Stadtbrände. Deshalb wurde noch im 17. Jahrhundert beschlossen, die Scheunen außerhalb der Stadtmauern zu errichten. Dadurch war man natürlich weniger vor Plünderern geschützt, aber die Gefahr, dass sich ein Scheunenbrand auf die mittelalterlichen Altstadthäuser ausbreitete, war gebannt. Denn tatsächlich konnte und kann sich Heu selbst entzünden, wenn (so paradox es klingt) der Wassergehalt zu hoch ist nach der Mahd und das Heu dann falsch gelagert wird. In einem ehemaligen feuchten Moorgebiet (in Brandenburg Luch genannt) eine tatsächlich reale Gefahr. Über siebzig Scheunen entstanden letztlich so; inzwischen sind es nur noch etwa 50 und die meisten stammen aus dem frühen 19. Jahrhundert. Aber damit sind sie dennoch Deutschlands größtes erhaltenes historisches Scheunenviertel. Und dank der Sanierungen, Investitionen und Eigentümerwechsel nach dem Ende der DDR hat sich das ganze mittlerweile zum Glück zu einer kleinen Sensation an Lebendigkeit verwandelt.
Das Leben brummt im Scheunenviertel Kremmen
Wenn wir mit dem Reisebus das Scheunenviertel in Kremmen ansteuern, merken wir gleich, dass das kein abgelegener Ort in der tiefen Provinz ist; doch wie verwundert sind wir, wenn wir beim Blick aus dem Reisebusfenster genau das lesen: tiefste Provinz. Hierbei handelt es sich um eine Theaterscheune. Den werbewirksamen und erheiternden Namen haben sich die Theatermacher einfallen lassen. Aber ein Theater ist nicht die einzige Nachnutzung im (fast möchte man sagen) ehemaligen Scheunenviertel. Es gibt ein Bistro, ein Café, einen Hofladen, einen Friseur, eine Bikerscheune mit angeschlossener Gastronomie, eine Musikerscheune, eine Möbelscheune, Ausstellungsflächen für Kunst und ein Museum für landwirtschaftliches Gerät aus der Region. Einen guten Überblick erhalten Sie, wenn Sie zunächst den Touristeninformationspunkt (TIP) aufsuchen. Er hat von März bis November dienstags bis sonntags von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr geöffnet und von Dezember bis Februar dienstags bis freitags von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr. Der TIP ist natürlich ebenfalls in einer Scheune untergebracht und präsentiert sich mit einer freundlichen Fensterfront. Überhaupt wirken die vielen Scheunen mit ihren roten Ziegeldächern und dunkel gebeizten Holztoren sehr einladend. Es ist also ein Stadtviertelbummel angesagt, der Ihnen viel Abwechslung bringen wird. Vielleicht haben Sie Lust, im Scheunenviertel zu essen. Ausreichend Platz und eine gutbürgerliche Küche mit wechselnden Gerichten verspricht beispielsweise die Bikerscheune.
Die Sankt Nikolai Kirche in Kremmen
Eine Sehenswürdigkeit in Kremmen wollen wir Ihnen nicht vorenthalten. Die ältesten Steine im Ort finden Sie, wenn Sie vom Marktplatz aus zwei Parallelstraßen nach Norden gehen. Die Kirchstraße ist leicht zu finden und ihr Name ist Programm. Die Sankt Nikolai Kirche stammt in Teilen noch aus dem 13. Jahrhundert. Zumindest auf der Nordseite hat sich eine Mauer aus Feldsteinen erhalten, welche dann im 15. Jahrhundert mit in der Region gewonnen Klinkersteinen deutlich erhöht wurde. An der Fassade lässt sich das auch heute noch ganz wunderbar ablesen. Auch das an dieser Stelle angebrachte riesige Kirchenfenster wurde erst zu späterem Zeitpunkt eingefügt. Einen Schlüssel zur Besichtigung der Kirche können Sie am Pfarrhaus am Kirchplatz 1 bekommen. Dafür nehmen Sie als Reisegruppe bitte im Vorfeld Kontakt auf: entweder über die E-Mail-Adresse kontakt@kirche-kremmen.de oder unter der Rufnummer 033055-229947. Dann steht einem Besuch der weißgehaltenen dreischiffigen Kirche mit ihren Sterngewölben nichts mehr im Weg. Und wenn Sie dann im Herbst wieder ins Freie treten und den Blick zum Himmel wenden, können Sie vielleicht eine Gruppe ziehender Kraniche entdecken. Die mögen die Region Oberhavel mit ihrem hohen Anteil an Naturschutzgebieten, feuchten Wiesen und Kanälen. Gänse, die das Stadtwappen von Kremmen kennen, meiden den 7000 Einwohner großen Ort aber lieber.
Hinweise
Kremmen liegt nördlich der A10 von Berlin nach Werder an der Havel. Bevor sich die Autobahn nach Süden wendet, verlassen Sie die A10 an der Ausfahrt 30 (Oberkrämer) und fahren über die Orte Vehlefanz und Schwante bis Kremmen.
Die Adresse des Scheunenviertels in Kremmen lautet: Scheunenweg in 16766 Kremmen. Es gibt einen großen Parkplatz an der Berliner Straße, wenn Sie in den Ort reinfahren.
Den Touristeninformationspunkt (TIP) finden Sie am Scheunenweg 49 in 16766 Kremmen. Kontakt über die E-Mail-Adresse tip@kremmen.de und unter der Rufnummer 033055-21161.
Wenn Sie in der Seelodge am Kremmener See essen gehen wollen, ist die Adresse unter Zum See 4a in 16766 Kremmen zu finden. Für Reservierungen und Fragen können Sie eine E-Mail an info@seelodge.de schreiben oder sie wählen die Telefonnummer 033055-21599.