Kennen Sie das Geheimnis fliegender Teppiche? Können Sie Flechten von Knüpfen und Weben unterscheiden? Wissen Sie, wie alt der älteste Teppich der Welt ist? Wir entlocken dem Vogtland die Geheimnisse des Fernen Orients.
Der erste Teppich kam nicht mit dem Reisebus nach Europa. Schon im Jahr 330 v. Chr. brachte Alexander der Große (356-323 v. Chr.) Orientteppiche von seinen Feldzügen nach Indien und Persien mit. Das machte Eindruck, aber erst gut 1000 Jahre später wirklich Schule in Europa. Als nämlich die Mauren Spanien eroberten und sich glanzvolle Städte in Andalusien zu Zentren der Teppichindustrie entwickelten. Die Ornamentik der damaligen Teppiche schlug sich auch in der Architektur nieder – man denke an die wunderbare Alhambra in Granada. Und tatsächlich wurde der namensgebende Granatapfel (Granada führt ihn sogar im Stadtwappen) ein sehr beliebtes Symbol in Teppichen der damaligen Zeit. Eine solch große weltumspannende Geschichte bringt uns heute in das beschauliche 10.000 Einwohner zählende Oelsnitz im Vogtland. Auf Schloss Voigtsberg gibt es ein Teppichmuseum, welches an die Geschichte des Teppichs erinnert. Und an die Reise, welche die Teppichindustrie seit ihrem Einzug in Europa hinter sich gebracht hat; vor allem wie sie überhaupt erst zur Industrie wurde.
Die Geschichte der Teppichherstellung im Teppichmuseum auf Schloss Voigtsberg
Im Grunde begann alles in vergangenen Zeiten mit dem Flechten, einer Art Vorstufe des Webens. Nomadische Völker dekorierten ihre Jurten und verhängten deren Eingänge mit geflochtenen Flachtextilien. Der älteste Teppichfund stammt aus einem Grab im Süden Sibiriens; vor 2500 Jahren wurde er geknüpft und durch den Permafrostboden in die Gegenwart gerettet. In ganz ähnlichem Stil entwickelten sich die Orientteppiche. Zunächst wurde tierische Wolle verwendet, viel später auch Baumwolle. Inzwischen gibt es natürlich auch aus rein synthetischen Fasern hergestellte Teppiche; da ist der Unterschied zur Kleidungsproduktion nicht groß. Mit einem Orientteppich alter Schule hat das natürlich nichts mehr zu tun. Die Farben wurden früher ebenfalls rein pflanzlich oder tierisch gewonnen; Indigoblau, rote Gehölze, leuchtendes Fuchsin. Die Mustergestaltung hat sich weitestgehend bis heute erhalten. Es gibt geometrische Muster, florale Formen und figürliche Darstellungen. Da unterscheidet sich jetzt das Möbelhaus des 21. Jahrhunderts nicht unbedingt von der Antike.
Die Geschichte von Schloss Voigtsberg
Schloss Voigtsberg selbst war natürlich nicht immer Teppichmuseum. Es hat eine sehr abwechslungsreiche Karriere hinter sich: es war schon Internat, Berufsschule, Polytechnische Einrichtung der DDR, Flüchtlingslager, Standort für Segelflieger und einiges mehr. Aber seine Ursprünge, über die Sie auch einiges bei einer Führung erfahren können, liegen weit in der Vergangenheit. Im 12. Jahrhundert ging es los, im 14. Jahrhundert wurde Schloss Voigtsberg zum Sitz der Wettiner ausgebaut und im 30-jährigen Krieg (1618-1648) wurde sie mehrfach geplündert und fast völlig niedergebrannt. Da alle Zerstörung auch einen Keim für einen Neuanfang in sich trägt, wurden die Reste der Burganlage zum Schloss umgebaut. Ein alter, ursprünglich 30 Meter hoher Wartturm hat sich erhalten, auch wenn er heute nur noch auf 22 Meter kommt. Er kann auch ohne Burgführung oder Besuch des Teppichmuseums im Tausch gegen einen kleinen Taler erklommen werden; mit Reisegruppenrabatt wird nur ein Euro fällig. Da Schloss Voigtsberg (der Name verrät es) auf einem kleinen Hügel oberhalb des etwa 400 Meter hoch gelegenen Oelsnitz steht, hat man von hier einen guten Überblick in Richtung Schöneck im Vogtland; der sogenannte Balkon des Vogtlandes ist ebenfalls eine Busreise wert. Schloss Voigtsberg hat außerdem ein kleines Mineralienkabinett, welches besichtigt werden kann. Im Schlosshof gibt es eine tolle Möglichkeit zur Verköstigung: der Freisitz am Rande eines Panoramabalkons gehört zum Schlossrestaurant im Torhaus. Hier bekommen Sie vogtländische Küche serviert und können sich im Vorfeld ihres Ausfluges schöne Plätze reservieren lassen. Natürlich können Sie auch lediglich einen sächsischen Kaffee oder ein kühles Bier genießen, verbunden mit dem direkten Blick auf den alten Wartturm.
Das Teppichmuseum Oelsnitz und die Stadtgeschichte
Aber kehren wir noch einmal zurück zum Teppichmuseum. Die Teppichstadt Oelsnitz, so wird sie tatsächlich genannt, blickt stolz auf ihre Geschichte zurück. Es gibt den Satz: Was für Meißen das Porzellan ist, ist für Oelsnitz der Teppich. Das ist richtig, denn abgesehen vom Bergbau hat auch die Textilindustrie seit dem 16. Jahrhundert eine wichtige Bedeutung im Vogtland. Zu der Zeit wurden schon in England zahlreiche Teppiche nach orientalischem Vorbild entworfen. Die englische Teppichtradition sollte auch für Oelsnitz im Vogtland folgenreich sein. Die englische Grafschaft Axminster war eine der führenden in der Teppichindustrie, die im 18. Jahrhundert durch Webstühle zunehmend technologisiert wurde. Diese Art der Axminster-Teppiche sollten ab 1880 auch in Oelsnitz hergestellt werden. Das Unternehmen Koch & Kock (auch die Niederländer mischten mit) veränderte in Oelsnitz alles. Die Unternehmensgründer hatten zuvor die britische Insel bereist und sich gut vorbereitet. Waren zuvor in Oelsnitz nur Korsetts für und von Frauen hergestellt worden, so gab es nun schlagartig viele Arbeitsplätze auch für die Männer. Das Unternehmen expandierte, man suchte immer mehr Weber und ein regelrechter Aufschwung erfasste den kleinen Ort im Vogtland. Man war so erfolgreich, dass König Albert im Jahr 1890 der Teppichfabrik einen Besuch abstattete. Außerdem wurden die Teppiche auf der Weltausstellung im Jahr 1893 in Chicago präsentiert. Die riesige Fabrik vor den Toren des Ortes brachte also Aufschwung und beendete endgültig alle Beschaulichkeit. Von nun an wurden Baumwolle, tierische Wolle und Leinen verarbeitet. Man wurde der größte Produktionsstandort in Deutschland und damit einher ging trotz aller Fabrikschlote ein Hauch von Orient. Mit der orientalisch angelehnten Markengründung Halbmond setzte man ebenfalls einen Volltreffer. Wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht wurden nun Träume war. Im Grunde ging die Teppicherfolgsgeschichte auch zu DDR-Zeiten weiter. Der Volkseigene Betrieb (VEB) Halbmondteppich war weiterhin erfolgreich und seit der Wiedervereinigung gibt es die Halbmond Teppichwerke GmbH. Wir haben also heute gelernt, dass ein Reisebusausflug nichts mit dem angestaubten Klischee vom Heizdecken- und Teppichverkauf zu tun hat, sondern eine bereichernde Erfahrung sein kann, die uns Handwerk, Industriekultur und Landeskunde nahebringt. Das Gemeinschaftserlebnis und der gastronomische Genuss sind hier noch gar nicht erwähnt – überzeugen Sie sich selbst bei einer Reise ins schöne Vogtland!
Hinweise
Schloss Voigtsberg finden Sie in der Schloßstraße 32 in 08606 Oelsnitz. Einen Parkplatz gibt es am Schloss. Telefon:037421-729484 Weitere Informationen und Reservierungen für Führungen: museen@schloss-voigtsberg.de
Der Eintritt für das Schloss inklusive Besteigung des Wartturmes kostet 8 € / für Reisegruppen ab 10 Personen nur noch 4 €. Die Öffnungszeiten sind täglich außer montags von 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr
Führungen durch das Teppichmuseum kosten 6 € und dauern etwa eine Stunde
Das Schlossrestaurant im Torhaus mit vogtländischer Küche und Freisitz hat ebenfalls montags Ruhetag. Auch am Dienstag ist es geschlossen. Von Mittwoch bis Samstag hat es 11.00 Uhr bis 21.00 Uhr geöffnet. Am Sonntag von 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Küchenschluss ist täglich um 20.00 Uhr, am Sonntag um 17.00 Uhr. Kontaktnummer für Reservierungen und Absprachen: 037421-720206
Lesenswert
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Die Märchen aus Tausendundeiner Nacht gibt es als Gesamtausgabe im Handel, aber auch als Hörbuch zu erwerben – so träumen Sie sich durch die Nacht und in den Fernen Orient