Ein Dom, der keiner sein dürfte. Ein protestantischer Revolutionär, der hingerichtet wurde. Ein geheimnisvoller Doppelgänger in Lettland. Das alles sind Geheimnisse, die der Dom St. Marien in Zwickau verbirgt. Buskompass weiß mehr und lüftet die spannendsten Geschichten zur gotisch-barocken Kathedrale.
Es war ein düsterer, verregneter Tag, an dem der kleine Robert durch das ehrwürdige Portal schritt, das ihm schon vertraut war, solange er denken konnte. Er hatte etwas Lampenfieber, obwohl ihm der Organist Johann Kuntsch (1775-1855) immerzu versicherte, dass er seine Sache gut machen werde. Schließlich galt Robert schon im zarten Alter von elf Jahren als Wunderknabe. Dennoch war er an diesem Tag dankbar, dass er das Kirchenschiff nicht mit eigenen Schritten ganz durchmessen musste unter dem hohen Rippengewölbe des gotischen Kirchenbaus. Er durfte entlang des Taufbeckens, an dem er selbst getauft worden war (so hatte man es ihm erzählt), seitlich an den Bankreihen vorbeihuschen und sich in der Sakristei noch einmal in Ruhe auf seine Aufgabe besinnen. Und auch wenn er den Dom St. Marien in Zwickau (damals war er noch kein Dom) später als etwas dunkel und phantastisch in Erinnerung behalten sollte, so brachte er doch auch an diesem Abend in seiner Geburtsstadt etwas Licht ins Dunkel des Gewöhnlichen. Am Klavier spielte er zum Oratorium Das Weltgericht. Wir befinden uns im Jahr 1821; ein Jahr zuvor hatte die Komposition von Friedrich Schneider (Musik) und August Apel (Text) seine Uraufführung am Leipziger Gewandhaus erlebt. Die Stadt, in der der kleine Robert mit 18 sein Studium beginnen und in der er 1840 mit seiner fast zehn Jahre jüngeren Frau Clara (1819-1896) in eine gemeinsame Wohnung ziehen sollte. In dieser befindet sich heute das Clara Schumann Museum. Den Nachnamen hat der kleine Robert (1810-1856) mit in die Ehe eingebracht.
Der Dom St. Marien und die Naturgewalten
Unser Ausflug nach Zwickau bringt uns ins Herz der Altstadt. Zum Dom St. Marien. Ein Dom ist er übrigens erst seit 1935, als der Reichserzbischof die Kirche kurzerhand zum Dom erklärte. Ein Bischofssitz war aber Zwickau nie. Folglich war es in der Nachkriegszeit umstritten, ob die Zwickauer Marienkirche den Titel Dom weiterführen sollte. Die Bevölkerung entschied sich dafür und Zwickau behielt seinen Dom. Anlass der Beförderung zum Dom war die 800 Jahrfeier zum Bestehen der Kirche St. Marien. So lange reicht die Geschichte wieder einmal in die Vergangenheit, der wir bei unserer Busreise auf den Grund gehen. Das kommt zwar nicht genau hin, wenn wir uns auf die Gemeindequellen stützen, die das Gründungsjahr der Stadtpfarrkirche St. Marien um das Jahr 1180 herum datieren. Aber sei es drum. Was als romanischer Bau begann, wurde im 15. und 16. Jahrhundert zur gotischen Kathedrale umgestaltet. Das nächste einschneidende Ereignis war dann der Blitzeinschlag von 1650, der kurzerhand die Haube des Turmes vernichtete.
Der Dom St. Marien und sein Doppelgänger
Waren Sie schon einmal in der lettischen Landeshauptstadt Riga? Falls ja, könnten Sie in Zwickau ein erstaunliches Erlebnis haben. Die St. Petri Kirche in Riga hat einen nahezu baugleichen Kirchturm. Und in der Tat stammt ihre Architektur aus derselben Feder. Der sächsische Zimmermannmeister Marquard entwarf den charakteristischen barocken Helm, der den Dom St. Marien in Zwickau schmückt – und eben seinen Bruderturm in der damaligen wichtigsten deutschen lutherischen Gemeinde im heutigen Lettland. Allerdings musste Riga 1973 komplett wieder aufbauen; im Zweiten Weltkrieg war die St. Petri Kirche abgebrannt und eingestürzt. Der Dom St. Marien hatte etwas mehr Glück; zwar wurde auch er durch Bombardierungen kurz vor Kriegsende in Mitleidenschaft gezogen, aber die beschädigte Südfassade konnte gerettet und restauriert werden. Und somit ist der aufsehenerregende Turm immer noch das höchste Gebäude von Zwickau. Während die Kirche außerhalb der Gottesdienste dienstags bis samstags zum Gebet und zur Andacht geöffnet hat, ist die Turmbesteigung (insbesondere für größere Gruppen) nur nach vorangegangener Kontaktaufnahme möglich. Dann können Sie auch erfahren, in welche Restaurierungsarbeiten der berühmte, in Dresden wirkende Barockarchitekt Gottfried Semper von 1839 bis 1841 involviert war. Oder Sie fragen einmal nach, in welchem Jahr der Reformator Thomas Müntzer (1489-1525) an der Kirche gewirkt hat, die nach der Wittenberger St. Marienkirche die zweite Reformationskirche überhaupt war. Müntzer ist übrigens so früh gestorben, da er in seinem Nebenberuf Revolutionär und Mitkämpfer im Bauernkrieg war; dafür bezahlte er mit einer Distanzierung durch Martin Luther und mit seiner Hinrichtung.
Der Dom St. Marien und seine Kostbarkeiten
Noch ein paar Höhepunkte erwähnen wir, bevor wir Ihnen empfehlen, wo Sie sich die Beine vertreten und ordentlich essen gehen können. Der Dom St. Marien in Zwickau hat zwei der ältesten Glocken Sachsens. Seit 1658 schlagen die beiden als Nachfolgerinnen der vom Blitzeinschlag von 1650 zerstörten Originale. Betreten Sie den Dom, sind Sie sicherlich von der Höhe seines Innenraumes überrascht. Wie viele gotische mittelalterliche Kirchen ist sie mit einem beeindruckenden Netzrippengewölbe versehen. Diese Unterform der Kreuzrippengewölbe hat mehr als die sonst üblichen vier sich selbsttragenden und durch einen zentral liegenden Schlussstein im Zentrum verorteten Rippen. So wird zur Freude der heutigen Statiker mehr Druck an die Mauern nach unten abgegeben. Allerdings ist das auch notwendig, denn durch den inzwischen beendeten Steinkohlebergbau unter der Stadt Zwickau wäre ein weniger stabiles Tonnengewölbe vielleicht schon eingestürzt. Um sage und schreibe 3,70 Meter ist der Dom St. Marien in Zwickau in den letzten Jahrzehnten abgesunken; der Boden und die gesamte Stadt Zwickau sind durch die leeren Schächte zusammengesackt. Inzwischen hebt sich der Dom wieder durch die Flutungen der Überreste der menschengemachten Maulwurfsgänge. Das alles setzt der Natursteinkirche, die außerdem durch Abgase und Industrie angefressen ist und inzwischen eine Schräglage von 1,30 Meter hat, gehörig zu. Hoffen wir, dass sie nicht eines Tages in sich zusammenbricht und wertvollste Kulturschätze in ihrem Inneren begräbt. So etwa den berühmten über 500 Jahre alten Flügelaltar von Michael Wolgemut (1434-1519), dem Lehrmeister von Albrecht Dürer (1471-1528). Auch barocke Beichtstühle aus dem 16. Jahrhundert und die Skulpturengruppe der Pietà (Beweinung Christi) des in Zwickau geborenen und verstorbenen Bildhauers Peter Breuer (1472-1541) wären vermutlich für immer verloren.
Der Schwanenteich mit Blick auf den Dom St. Marien
Den Reisebus, den Sie in der schönen Altstadt von Zwickau ohnehin nicht abstellen können, parken Sie lieber in der Parkstraße am Schwanenteich. Ein ruhiges größeres Gewässer im Park, lediglich 500 barrierefrei zurückzulegende Meter vom Dom St. Marien in Zwickau entfernt. Und wenn Sie nach einem Spaziergang Lust verspüren, essen zu gehen, werden Sie in der Altstadt von Zwickau ganz sicher fündig. Traditionell und in Sichtweite des Domes ist beispielsweise das Brauhaus Zwickau. Das hat täglich von 9.00 Uhr bis 23.30 Uhr geöffnet und bietet protestantisches Fischessen (Saiblingsfilet an Essigtomaten & Paprikaschaum mit Kräutertagliatelle) oder deftig katholischen Schmaus (Sächsischer Sauerbraten an Gewürzkuchensauce mit Rotkohl & Kartoffelklößen). Für den ungetauften Veganer bieten sich Brauhausrösti mit Buttergemüse an. Wir wünschen Ihnen jedenfalls, dass Sie einen leckeren und hochinteressanten Tag in Zwickau verbringen. Und da die Stadt noch viel mehr zu bieten hat als einen Dom, der eigentlich keiner sein dürfte, lesen Sie im Buskompass bestimmt schon ganz bald wieder von uns.
Hinweise
Der Dom St. Marien in Zwickau steht am Domhof 10 in 08056 Zwickau.
Möchten Sie in einer Gruppe oder auch allein den Turm besteigen, nehmen Sie bitte im Vorfeld Kontakt über die Rufnummer 0375-2743510 auf. Auch an die E-Mailadresse kg.zwickau-stadt@evlks.de können Sie sich wenden.
Das Brauhaus Zwickau finden Sie in der Peter-Breuer-Str. 12-20 in 08056 Zwickau. Für Reservierungen können Sie die Rufnummer 0375-3032032 wählen.
Hörenswert
Klänge der Zwickauer Domorgel können Sie auf einer Aufnahme von 1974 genießen. Der damals größte Orgelneubau der DDR stammt vom Orgelbauer Eule und die Frontansicht (das Prospekt) zeigt die stilisierte Form einer Taube. Weisheit und Frieden auf die Ohren finden Sie, wenn Sie im Musikalienhandel nach Klangwelt Der Orgel – ETERNA – 8 26 804 fragen. Selbstverständlich werden Sie zum Bestellen aber auch im Internet fündig.